farbenfroh

Mein Leben ist verstellt mit Kisten voller Farbe. Die fünf Wassermalkästen kann ich eventuell noch erklären und auch die Stockmalkreiden sind natürlichen Ursprungs. Für die frühe Entwicklung der Kinder, fürs Malen. Die Wassermalkästen für die Schule. Nach Möglichkeit bei Schulbeginn ein schöner Kasten, sauber und voller Hoffnung. Ein Neustart ins nächste Schuljahr, dass ein sauberes, frohes Schuljahr werden darf.

Ich erinnere, dass es für mich als Kind jedes Jahr genau so war. Es gab neue Hefte. Es gab neue Stifte. Es gab neue Bücher aus der Schule. Es war ein Neustart. Mit dem neuen Schuljahr auch die Motivation, dass ich in diesem Jahr meine Hefte ordentlich führen werde. Ich war wirklich motiviert, die neue Ausstattung gab mir das Gefühl, dass ich neu starten kann. Dass mir das zugetraut wird. Dass ich in diesem Jahr mein Hausaufgabenheft endlich vorbildlich führen kann. Dass ich ganz besonders ordentlich schreiben werde. Immer alle Datumsangaben unterstreichen werde. Dass ich täglich die Stifte spitzen werde und selbstverständlich alle Hausaufgaben täglich sofort erledigen werde. Dass ich alles in allem ein ordentliches, erfolgreiches Schulleben führen werde. Und dann kam die Realität und hat mich auflaufen lassen. Das erste mal über den Rand schreiben im Heft, das erste mal die Hausaufgaben nicht direkt erledigt, das erste mal das Datum vergessen, das erste mal das Geodreieck verloren, das erste mal den Füller daheim vergessen – und dann wars das. Ich hatte meine Erwartungen nicht erfüllt, und danach habe ich mich nur noch wie ein Versager gefühlt. Maximal zum Halbjahr habe ich es nochmal versucht, endlich gut genug zu werden.
Spätestens zum nächsten Schuljahr bin ich erneut gestartet. Diesmal! Ich war wieder guter Hoffnung, mit einem neuen Wasserfarbmalkasten werde das alles besser werden. Diesmal würde es gelingen!

Funfact – es gelang nie. Ich habe die Schule in 13/1 in Absprache mit meinen Lehrern beendet. Mangels Anwesenheit und mangels Noten, die ausreichend für ein Abitur gewesen wären. Dadurch, dass ich problemlos versetzt wurde aus der 12. in die 13. Klasse (heute wäre das: aus Q2 in Q3), habe ich das Fachabitur als Schulabschluss. Immerhin. Und das trotz schlecht geführter Hefte und fehlenden Hausaufgaben …

Zu hohe Erwartungen an mich selbst? Kann ich! Besser, als Heftführung.

Mit K5 habe ich die letzten Tage die Schulvorbereitungen getroffen. Unter anderem habe ich die eine fehlende Blau aus einem alten Wasserfarbmalkasten seiner Brüder herausgebastelt. Er bekommt keinen neuen Malkasten. Wir haben ja noch fünf Stück im Keller!

Er hätte gern einen neuen Malkasten gehabt. Das ist ja auch wunderbar, wenn alle Farben noch ganz jungfräulich unbepinselt sind und man das Gefühl hat, ganz der Erste zu sein! Das ist doch ein hoffnungsvolles Bild, das dabei entsteht.

Die Hoffnung aber habe ich mal ganz pragmatisch in Frage gestellt. Wir haben uns die bereits anwesenden Malkästen angesehen und er stellte fest – verdammt, sind das viele 😉
So viele Farben, teilweise nicht mehr froh, aber würde man sie sauber machen, wären sie wieder strahlend. Wie neu.

Die Option, seinen Kasten sauber zu machen hat er noch nicht angenommen. Das war ihm dann doch zu mühselig. Wie sagte er? Der wird nach einmal malen gleich wieder dreckig. Das ist schon okay so, hauptsache, ich habe alle Farben. Außerdem mache ich den eh in der Schule immer nach dem Malen sauber.

Gut – somit ist er gebraucht froh. Gebrauchte Freude ist nachhaltige Freude! Es braucht auch keine neue Motivation, die hat er auch noch gebraucht. Aus dem Vorjahr. Man kann auch gebraucht motiviert sein!

Die „gekaufte Motivation“ habe ich jahrelang gespielt. Daher auch die Kistenweise Farbe in meinem Leben. Ich habe alles mögliche neu gekauft, um mich motiviert zu fühlen. Das hat sich angesammelt und inzwischen kann ich mich oft nicht von den einfachsten Stiften oder von den Plakatfarben trennen. Dabei malen die Stifte schlecht und die Farben sind schon eingetrocknet …

Tatsächlich bastele ich ungern! Ich sitze NICHT regelmäßig am Tisch und male mit Aquarellstiften frohe Bilder. Ne. Tue ich nicht. Dennoch habe ich Kistenweise Material hier stehen, als wäre das hier ein Kindergarten … (und mit fünf eigenen Kindern ist es das eventuell auch)

Bei den Schulmaterial-Vorbereitungswochen hat mein Sohn vorhin ein Malbuch gefunden. Mit Weltraummotiven. Das hatte ich ihm mal gekauft, als Füller in der Ferienzeit. Es hat sich inzwischen herausgestellt, er malt nicht gern und schon gleich gar nicht gern aus. Das Malbuch aber – von dem kann er sich nicht trennen. Das schleppt er seit drei Jahren hinter sich her.

Wir konnten uns vorhin einigen – er schenkt das Malbuch jetzt dem Nachbarsjungen, der ist im richtigen Alter dafür. Einen Teil der Stifte stellen wir zum Verschenken vor die Tür. Die Stockmalkreiden verkaufen wir auf Ebay und die ganzen unbrauchbaren Buntmalstifte, die wir angesammelt haben in vielen Jahren, die sind in den Müll gewandert. Irgendwann ist es auch gut. Wir dürfen uns trennen, auch von Farben. Außerdem, von überzogenen Erwartungshaltungen. Vor allem an uns selbst.

Von meinem Sohn erwarte ich keine Wunder. Er darf übermalen, vergessen, seine Stifte zu spitzen oder die Haushaufgaben zu machen. Alles kein Drama. Und vor allem kein Grund, sich danach gehen zu lassen. Es braucht keinen neuen Wassermalkasten, um ein erfolgreiches Schuljahr zu haben. Auch der alte Malblock hat noch sechs Blatt, die gern bunt bemalt werden wollen. Mit Farben aus dem alten Wasserfarbmalkasten. Übrigens auch mit Pinseln, die schon meine Tochter genutzt hat. Die sind immer noch toll – da habe ich damals echt Qualität gekauft 😉

Neu kaufen kann toll sein. Isso. Aber an neu gekaufte Dinge oder leere Hefte die Erwartung zu knüpfen, dass es mit ihnen alles besser wird. Oder leichter. Oder erfolgreicher. Das ist Humbug. Ich kann Unmengen von Dingen neu kaufen, Farben, Hefte, Wassermalkästen. Sie lösen meine Erwartungen ganz sicher nicht.

Meine Erwartung an Neues ist – etwas überzogen. Auch im Bastelbereich …

Ich räume also weiter auf, auch die vielen Farben in den vielen Kisten, und schaffe mehr Ordnung in meinem Erwartungshaushalt. Eventuell schmeiße ich die Kiste mit dem Krepppapier und den Plakatfarben auch einfach direkt weg? Weil – 20 Jahre nicht benutzt, ganz ehrlich, keine dieser Farben ist noch froh 😉

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