Heilung einen Raum geben. Der keine Regentonne ist. Kein stehendes Gewässer, aus der Luft gefischt. Ein offener Raum, mit Durchzug, damit die alten Gedanken gehen und neue Gedanken kommen können. Damit Staub tanzen kann, in strahlendem Licht. Regentonnen sind bis auf den Grund geschlossen. Man stelle sich vor, kopfüber in einer Regentonne zu landen und dann in verzweifeltem Raum zu ertrinken.
Sympathie mit dem Tod. As always. Ich mache meist Witze darüber, tatsächlich aber bin ich schon in einstelligen Lebensjahren fasziniert davon gewesen. Wie es wohl wäre. Wenn ich die Hand auf das Bügeleisen legte. Und das waren noch die harmlosen, anziehenden Überlegungen, denen ich Raum gab. Mich selbst verletzend. Ich konnte mich kaum beherrschen, die Hand wirklich aufs Bügeleisen zu legen. Auf der Straße einfach stehen zu bleiben. Von der Brücke zu springen. Sehnsucht.
Wie viele Menschen wohl ähnlich denken? Auch schwermütig auf Brücken stehen und sich fragen, wie es sich wohl anfühlt, zu fallen? What, if?
What, if, und dann geht ein Leben zu Ende, und wer erinnert sich? Welche Melodien werden gespielt? Welche Gefühle werden sichtbar?
Heute vor 9 Jahren ist mein jüngster Sohn geboren. Pure Liebe, in mein Leben gekommen, damit ich heilen kann. Um reifer zu werden, weniger sehnsüchtig einem Ende und mehr sehnsüchtig einem Anfang zustrebend.
Geboren, vormittags, daheim, mit Unterstützung meiner Hebamme, die mich eigentlich in die Klinik begleiten wollte. Dazu kam es nicht mehr und nach einer sehr schnellen und dabei angenehmen Geburt war er da. In meinem Schlafzimmer. Auf dem Boden. Schrie mich an und pinkelte gleichzeitig unter mein Bett. War da, einfach da. Meine ersten Gedanken nach allen Geburten waren gleich. Es war jedesmal ein “Endlich ist es vorbei” 😉
Der Schmerz der Geburt, der sowieso unbeschreiblich ist, ist von einer Sekunde zur anderen vorbei. Kein Raum mehr für den Schmerz. Nur noch Erleichterung, Freude, ein Moment von unfassbarem Reichtum an Glücksgefühlen. Ob ich deshalb so viele Kinder habe? Um zu spüren? Um mich zu spüren?
Und dieser Geruch. Neugeborene Menschen riechen verlockend nach Leben.
Wunderschön! Erhabene Momente, in denen die Zeit still zu stehen vermag.
In den Monaten nach seiner Geburt kamen die letzten, intensiven, traurigen Gedanken und Gefühle. Zum Sterben schöne Verzweiflung. Im Leben geblieben für seine Geschwister. Im Leben geblieben, verbunden, an die Leben meiner älteren Kinder. Ihn, das Baby, wollte ich mitnehmen, auf meine Reise. Ihn, mit dem ich noch verbunden war, über Monate hinweg, wie wir verbunden sind mit unseren Babys. Auf magische Weise, als wäre die Nabelschnur noch nicht gekappt.
Seine Geschwister sind es, die uns das Leben retteten. Damit, dass sie da waren. Anwesend. Fordernd. Rücksichtlos. Ihre Bedürfnisse benannten. Ihr Leben lebten. Lachten. Den Raum füllten, mit Staub tanzten. Ich konnte sie nicht allein lassen. Wer hätte sich um ihre Seelen kümmern sollen? Es blieb nur – nicht zu gehen. Zu bleiben. Einen Raum zu öffnen, um zu heilen. Gesund zu werden.
Nicht in die Regentonne zu fallen.
Es gibt halt nicht viel. Außer Leben oder Sterben. Dazwischen ist nur – ein Raum, den wir füllen können. Mit Licht, Liebe und Lachen.
Ich habe heute gefeiert. Das Leben. Das Wunder des Lebens. Mit all meinen Kindern. Alle um mich zu haben, und sie alle waren klein. Sie alle waren zarte Wesen, denen ich Pupsküsse auf den Bauch gegeben habe. Sie alle haben gelacht beim wickeln. Sie alle haben laufen gelernt und sich mehr als einmal an meinen Beinen festgehalten. Sie alle haben vertrauensvoll meine Hand genommen. Sie alle haben sich auf mich verlassen. Und tun es noch heute. Ich habe geliebt, mehr als ich es selbst je für möglich gehalten hätte.
Und es dauert an. Die Liebe, sie dauert einen ewigen Augenblick.
Ohne euch, wer wäre ich? Mit der Hand auf dem Bügeleisen und dem Kopf in der Regentonne? Ich bin traurig geboren. Ich möchte nicht traurig sterben.
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