neue Gewohnheiten

Ich führe eine neue Gewohnheit ein. Ich plane, zu schreiben, zu einer festen Uhrzeit. Sonntag bis Donnerstag, jeden Abend um 21:00 Uhr.

Freitag und Samstag nehme ich mir dann die Zeit, hinzuschauen, was dabei herausgekommen ist, um was meine Gedanken drehen und was ich mir mitteilen will.

Warum?

Weil ich (wieder) so lange nicht geschrieben habe. Und weil mir das aber doch so gut tut. Und wenn ich es nicht tue, kann ich nicht nachlesen, wie es mir gegangen ist. Also, es ist schon eine Form von Tagebuch, und wo könnte ich das besser umsetzen, als hier? Dafür habe ich mir ein schreibendes Daheim in Form dieses Blogs erstellt.

Über das Schreiben

Mein eigentlicher Auslöser ist ein Buch. Eines, dass ich 1999 von einer großartigen Freundin zu Weihnachten geschenkt bekommen habe. Eine Freundin von damals, ich ich im Heute regelmäßig vermisse. Sie und die Zeit, die sie mit mir repräsentiert.
Nein, sie ist nicht gestorben – wir haben uns nur sehr auseinandergelebt, schon vor langer Zeit. Unserer Freundschaft kam das Leben dazwischen. Ich weiß noch, wie wir ihren 30. Geburtstag zu zweit verbracht haben, auf ganz eigene Weise. Spazierendgehend am Abend, in der Umgebung, uns lange, intensiv unterhaltend. Über diese eine Frage, wie es wohl werden wird, jetzt? Mit 30, wird man da nicht erwachsen? Und was kann das am Ende bedeuten?

Ich hatte zu dem Zeitpunkt bereits zwei Kinder und war eventuell in Teilen bereits erwachsen. Zumindest hatte ich Verantwortung. Wenn ich heute so darüber nachdenke, dann hatte ich sehr viel keine Ahnung, und schon gleich nicht vom Erwachsen sein. Ich war einfach lebendig, ohne viel darüber nachzudenken. Die Zukunft hat sich eher diffus angefühlt, als seien das Themen, die mich niemals betreffen. Themen, die nur für die Anderen sind. Ich war voll und ganz im Jetzt, im Erleben meiner Zeit. Im Grunde ein sehr schöner Zustand.

Meine Freundin und ich, wir waren – stark, autark, lebendig, abenteuerlustig, verrückt. Abhängig und unabhängig. Und wir wollten schreiben.
Ihr Geschenk zu Weihnachten 1999 war die Bibel der Schriftsteller, Über das Schreiben, von Sol Stein.

Komplexe Lektüre

Ich habe das Buch damals nicht lesen können. Es war mir zu komplex, zu fordernd, zu einschränkend, zu anstrengend. Ich wollte doch einfach nur schreiben. Ich habe nicht eingesehen, dass es dazu Übung braucht und Anleitung und etwas mehr als nur ein „hier bin ich!“
Mir war nach „hier bin ich“. Regeln waren schon damals nicht so mein Ding und üben war etwas, dass ich nicht gekannt oder gekonnt habe. Übung nur unter Druck. Mir selbst einen Übungsryhtmus erschaffen, dazu hatte ich nicht mal im Ansatz ein Bedürfnis.


Das Buch las sich wie das Regelwerk für den erfolgreichen Autoren und ich dachte so bei mir – nein Danke! Ich lasse mir doch meinen Stil nicht absprechen! Ich schreibe, so rotzig und eigenwillig, wie ich das will.

Hauptsächlich hat das Buch mich verunsichert (und tut es heute noch), weil ich dem Vergleich mit echten Schriftstellern gedanklich nicht standhalten konnte. Also, alles wisssende Menschen, die belesen sind, die Ahnung von ihrem Thema haben, die tief in ihre fiktiven Figuren eintauchen und die sogar Research zu ihren Themen machen. Allein die Vorstellung strengt mich heute noch an.
Ich will keine fiktive Geschichte erzählen, keine Familie erfinden, keinen Krimi spannen. Ein Sachbuch über Depressionen oder Resilienz will ich auch nicht schreiben. Ich will nur eine Geschichte erzählen. Meine. Da kenne ich die Gefühle, ich kann sie spüren. Ich wollte und will weiterhin mich erzählen.

Damals fühlte ich mich direkt falsch damit. Wer will auch meinen Alltag lesen? Wer will wissen, wie ich groß geworden bin, wie meine Zeit im Internat war, wie ich danach keinen Schulabschluß gemacht habe, wie ich beim Zirkus gelebt und schwanger geworden bin und wie ich die erste Ehe in den Sand gesetzt habe? So mit 30, da hatte ich schon ein bisschen was erlebt.

Keine Liebe mehr

Heute, mit 52, lächele ich ein wenig wehmütig. Es war so wunderbar leicht und dabei sehr sehr anstrengend damals. Ich hatte eine Trennung hinter mir. Und ich hatte Liebeskummer, wegen eines Typen, der mich nach Strich und Faden angelogen hat. Liebeskummer, der absolut existenziell war. Ich habe über nichts anderes mehr sprechen können. Alle Gedanken drehten sich um ihn und um unsere Geschichte. Ich kann heute nur hier sitzen und mit dem Kopf schütteln, weil – ich all das nicht mehr ernsthaft fühlen will. Eine Geschichte, die ich heute nicht mehr erzählen könnte. Nicht mal mehr im Ansatz fühlen könnte. Ich bin, was romantische Gefühle angeht, einfach abgestellt. Da ist nichts. Ich habe nicht mal mehr im Ansatz das Interesse, jemand kennenzulernen. Liebe kann mir gestohlen bleiben. Sie macht nur doof im Kopf.

Dabei ist das natürlich schon schön, doof im Kopf zu sein.

Überlegungen zum Üben

Zurück zum Buch. Über das Schreiben. Es schüchtert mich heute noch ein, aber nicht mehr ganz so doll. Ich werde Sol Stein’s Bibel jetzt endlich mal durchlesen. Und die Übungen und die Ideen mal zumindest aufschreiben und ausprobieren. Heute weiß ich, wie wichtig Übung ist und ich habe Möglichkeiten gefunden, das für mich auch umzusetzen. Oder sagen wir – ich arbeite daran, Möglichkeiten gefunden zu haben! Regelmäßig üben, an einem Thema dranbleiben, mich hineinfuchsen, das sind weiterhin Dinge, die mich herausfordern. Ich bin so ein sprunghafter Mensch. Vielleicht schreibe ich doch Kurzgeschichten aus dem Wahnsinn der Alleinerziehenden mit Scannerpersönlichkeit?

Und wo starte ich? Na, hier. Wo auch sonst. Hier kann ich mich wiederfinden und nachlesen, ausprobieren. Das Internet ist groß und geduldig und hat jede Menge Platz. Glaube ich.

Ich wüsste nicht, wie und wo ich sonst anfangen soll. Ich habe immer noch dieses eine Thema vor Augen, dieses eine Ziel. Ich will schreiben. Ein Buch. Ich will das schon, seit ich 11 Jahre alt bin. Ich habe in den letzten 30 Jahren von ganz unterschiedlichen Menschen gehört, dass ich bitte ein Buch schreiben soll. Mehrfach habe ich das gehört. Schreib doch bitte ein Buch. Ich kaufe das dann auch. Dabei ist mir das Ergebnis „Buch wird gekauft“ gar nicht bewusst wichtig. Mir geht es mehr darum, es wirklich zu tun. Darum, dass ich anfange, dass ich mich herausfordere, dass ich einen Weg finde, mich selbst im Üben zu begleiten. Darum geht es doch wirklich.

Der Inhalt ist dann fast schon nebensächlich. Der findet sich, in all dem um mich.

Für wen schreibe ich?

Also ein Buch – so mit Anfang, mit Ende, mit Handlung, mit Figuren, mit Beschreibungen, mit Witz und mit Ironie und mit Tränen der Erschöpfung. Also, Erschöpfung muss schon auch drin vorkommen, finde ich.
Wie schreibt man das? Mit was fängt man an?

Wie strukturiert man ein Buch?

Wie geht man ein solches Projekt an?

Vielleicht, indem man erstmal das Ziel formuliert? Die große, erste Frage? FÜR WEN SCHREIBE ICH?

Also, diese mich verunsichernde Frage kann ich inzwischen ganz gut beantworten. Für Alle und vor allem für Frauen, für Mütter. Menschen, die schwierige Beziehungen hinter sich oder eine Trennung vor sich haben, die versuchen, Job und Familie zu vereinbaren, die erschöpft sind, die müde sind, die traurig sind, die Hoffnung brauchen in all dem. Menschen, die wissen dürfen, dass es besser werden wird. Dass sie sich irgendwann dieses Sofa von Kontrast werden leisten können. Dass sie irgendwann einen ganzen Tag frei haben werden und dann die Fließen im Bad schrubben, oder die Waschmaschine reinigen. Oder halt NICHT!

Ich schreibe, damit andere fühlen. Sich. Wohl. Unwohl. Aufgewühlt. Beruhigt. Fröhlich. Amüsiert. Schmunzelnd.

Ich will unterhalten.

Ich will dich unterhalten.

Der Glaube an uns selbst ist der Schlüssel

Soweit bin ich schon. Dass ich das schreiben kann UND ES GLAUBE! Ich habe nicht mehr das Gefühl, dass „andere unterhalten“ nicht ausreichend sei. Das hatte ich noch vor drei Jahren, da dachte ich – okay, das ist zu wenig. Es müsse schon mehr Substanz haben. Es müsse relevant sein, einen Mehrwert haben, Menschen sollen vielleicht auch Tipps bekommen. Wenn du mich liest, wirst du in 30 Tagen glücklich oder so. Ohne klares, messbares Ziel braucht es doch kein weiteres Buch mehr? Ist ja nicht so, dass nicht schon alle Geschichten erzählt wären, so wie alle Akkorde schon komponiert wurden. Aber genau da setzt es an – warum nicht? Was spricht ernsthaft dagegen, einfach nur zur Unterhaltung zu schreiben? Außer, meine eigenen Unsicherheiten? Nicht gut genug zu sein? Nicht gebraucht zu sein? Nur, weil mir mal gesagt wurde, dass die Welt mein Talent nicht braucht – heißt dass nicht, dass das die Wahrheit ist!

Die Welt braucht mein Talent!

Wenn ich nicht dran glaube, wer sollte es sonst tun?

Feierabend

Und jetzt ist es 21:30 Uhr. Die Zeit ist rum. Ich lese morgen gegen, korrigiere, geben Überschriften drauf und stelle es dann online. Es wird eine Art Buch-Entwicklungs-Tagebuch und ich bin gespannt, wie lange ich dieser Inspiration folgen werde. Sol Stein sagte, ein guter Schriftsteller übt. Er übt und er schreibt. Jeden Tag. Zur selben Uhrzeit. Also – morgen, 21:00 Uhr.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert