Niemand sollte allein sein, an einem Tag wie Silvester. Sagte meine Freundin (oder ist es eher eine gute, vor allem – alte – Bekannte aus der Schulzeit?), und blieb dabei, dass ich sie besuchen kommen solle an Silvester.
Ich habe also Ja gesagt. Weil, ich hatte schon ein paar Silvester allein. Jedes Mal war ich sehr stolz darauf, wie gut ich das gewuppt habe, allein! Ich brauche nämlich niemand! Ich kann ganz allein mit mir Schokoladenpudding essen, bis mir schlecht ist, dann früh ins Bett gehen und mir einbilden, dass ich nicht traurig bin. Dass ich nicht allein bin. Dass ich gern allein bin.
Dass ich nicht einsam bin.
Dass ich schlecht verbunden bin.
Nicht nicht, nur nicht gut. Schlecht halt.
Ich habe Bindungsprobleme. Heute. Und auch gestern. Eventuell auch morgen. Ich mag ja aber in Zukunft lieber im Jetzt sein und der Vergangenheit einen freundlichen Stinkefinger zeigen.
Vermutlich klappt das bedingt. Ab und an ist die Vergangenheit einfach sehr witzig oder sehr lehrreich. Und ab und an ist es wunderbar, sich in die Zukunft zu träumen. Beides hat, ziemlich sicher, meine Berechtigung.
Tatsache ist, ich bin heute Abend gar nicht allein! Ich habe geduscht und mir eine Gesichtsmaske gegönnt, ich bin auch bereits angezogen und habe ein kleines Gastgeschenk vorbereitet, die Wohnung ist sauber, die Jungs sind gut versorgt, ich weiß, wann meine Bahn hin (und auch, wann wieder zurück) fährt und – tja – also, ich wirke auf mich selbst wie ein Mensch, der im Leben steht. So ganz normal. Mit Plan. Ich konnte mich um alles im Vorfeld kümmern.
Klingt simpel. Ist erstaunlich, weil ich genau das im vergangenen Jahr und in vielen vergangenen Jahren nur unter Einschränkungen konnte, gar nicht konnte oder nur gedanklich konnte – also, ich wusste, wie es geht, und konnte dann genau gar nichts davon umsetzen. Es wurde dann hektisch gegen Ende. Panisch, nahezu. Hach, noch schnell dies. Huch, das habe ich vergessen. Himmel, ein Geschenk wäre eine Idee. Verdammt, wo ist das Handy? Ja, ich bin auch angekommen, meistens jedenfalls. Mitunter viel zu spät, man kannte das von mir. Oder auch gar nicht, dann kam eine kurzfristige Absage. Ich glaube, manchmal kam auch gar keine Absage.
Oft hatte ich Angst vor den Anderen. Vor deren Normalität, die ich mir zwar dringlich gewünscht, aber die ich nie verspürt habe. Normal, was ist das? Wenn ich heute mit Pedi spreche, höre ich, wie sie mich damals wahrgenommen hat. Und irgendwie war ich wohl ein wenig exotisch und bin es geblieben. Heute, mit meinen fünf Kindern von drei Männern. Tja. Ganz gerade Wege fand ich ja schon früher eher langweilig.
Ich war ein bunter Hund, damals, zu Schulzeiten. Die Einzige, die eine eigene Wohnung hatte und keine Eltern in der Nähe. Die sich neben der Schule noch Geld dazuverdienen musste, um was zu essen zu haben. Die schon sehr früh auf eigenen Beinen stand, eigentlich – naja, also halt schon immer. Seit ich erwachsen bin. Seit ich mit 16 ausgezogen bin.
Enge Bindungen hatte ich und hatte ich nicht. Ich bin oft an der Oberfläche geblieben. Gar nicht mal absichtlich. Es war einfach so. Ein bisschen wie ein Schmetterling, der von Blume zu Blume fliegt, überall ein wenig Nektar nascht, aber nirgends dauerhaft verweilt. Ich hatte gleich zwei engere Freundeskreise (mir wurde schnell langweilig) und war dennoch sehr oft allein unterwegs (tanzen, jeden Abend in der Krone). Ich habe zudem drei Jobs nebenbei gemacht und bin oft – sagte ich das schon? Allein gewesen. Allein daheim. Abends daheim. Morgens daheim. Keine Eltern, keine Geschwister, kein Partner. Schon damals, viele Affäre (was heißt hier „schon“, weil, aktuell spare ich mir den Stress), viele On-Night-Stands, mitunter nicht mal mit „Stand“, weil ich einfach nachts wieder heim gefahren bin. Bloß keine Bindung aufbauen. Ich war schneller auf der Flucht als mancher Kerl.
Da gab es auch Nette, die mich abends besuchten (ich hatte doch ab und an Besuch in meiner kleinen 1-Zimmer-Wohnung) und mir selbstgeschriebene Gedichte vorlasen. Ja! Das gab es. Erhört habe ich die Netten leider nie.
Ich war oft schlecht verbunden. Mit meinen Freunden. Mit meinen Partnern. Die Väter meiner Kinder – mit denen hatte ich auch keine echte Partnerschaft. Weder hätte ich über mich selbst sprechen können (mir waren einige meiner Trauma nicht bewusst, heute bin ich zum Glück deutlich weiter), noch haben diese Männer über sich gesprochen. Wir haben über – Belangloses gesprochen, und dann über die Kinder, die sehr schnell kamen. Mit den Kindern hatten wir ausreichend Gesprächsstoff. Aber ehrlich gesagt – ist das für eine echte Bindung zu wenig. Der erste Vater war Dauerbekifft. Der zweite ein schlimmer Langweiler mit Bremsfunktion. Und der dritte war jenseits jeglicher Sozialkompetenz.
Gruselig!
So schlecht verbunden.
Und kein Wunder war ich das. Weil, ich war auch zu mir selbst so schlecht verbunden. Ich wusste zwar, dass ich ab und an dringend allein sein muss. Ich wusste auch, dass da Dinge nicht in Ordnung sind. Ich wusste allerdings nicht, was genau. Also habe ich nicht näher hingesehen. Ich war nur oft traurig. Und einsam. Einsam mit mir selbst. Obwohl ich gut mit mir allein sein konnte.
Kann ich auch heute noch. Gut allein sein. Einsam fühle ich mich dennoch ab und an. Und daher ist es wunderbar, dass ich heute nicht allein bin. Ich hätte das geschafft. Aber so ist es schöner. Und ich weiß, dass ich mich nicht einsam fühlen werde. Weil ich inzwischen besser verbunden bin. Da ist eine Beziehung, die gerade wächst, und ich gehe sie gießen. Mit einem kleinen Gastgeschenk und mit meiner echten Anwesenheit. Kein „ich bin dann mal da und bin auch gleich wieder weg“, sondern ein echtes „Da-Sein“.
Der Hammer.
Kaum 51, schon lerne ich, endlich Da zu Sein. Mich zu verbinden. Auf die Gefahr hin, verletzt zu werden. Vielleicht war es das. Das verletzte Kind, dass ich war, ist lieber allein tanzen gegangen. Da wusste es, dass die Wahrscheinlichkeit, noch mehr verletzt zu werden, gering war.
Braucht auch ein wenig Mut, sich zu verbinden.
Lost in Translation.
Einen schönen Abend. Ein gutes Aus dem Jahr kommen. Niemand sollte heute allein sein. Viele sind es dennoch. Ihnen gilt mein Denken. Euch gilt mein Denken. Auch denen, die zwar mit Menschen sind, aber dennoch allein. Ich weiß sehr gut, wie sich das anfühlt. Und ich weiß, dass es sich verändern kann.
Good luck!
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