Schrittfolge

Mein Jüngster ist aktuell total begeistert von Schrittzielen. Jeder Schritt zählt. Auch der zum Mülleimer. Oder die in den Keller. Sind ja meist mehr als ein Schritt.

Ich trage bewusst seit über einem Jahr meine Uhr nicht mehr. Die Uhr, die neben den Schritten auch meine Entspannung und meinen Schlaf gemessen hat. Die mir morgens schon mitgeteilt hat, dass ich viel zu wenig geschlafen habe, und dass mein Stresslevel zu hoch ist.

Ab und an laufe ich aber durch die Gegend und habe mein Handy bei mir. Um Fotos zu machen. Um Sprachnachrichten hineinzuplappern. Um Sprachnachrichten herauszuhören. Um mich zu begleiten.

Schön schaurig, von einem Handy begleitet zu werden.

Mein Vorgängerhandy ist ein altes Modell mit Schleifspuren auf dem Display, das mein Sohn ab und an nutzen darf. Seine Zahnputzapp ist darauf (wer braucht eigentlich eine Zahnputzapp?), und seit Neuestem darf er auch ein Spiel auf dem Handy spielen. Jaha, ich weiß, saublöde Idee. Die Realität gibt aber vor, dass die Kids nochmal früher anfangen, sich gegenseitig das Gefühl zu geben, dringend Brawl Stars spielen zu müssen. Oder Minecraft. Es bleibt dann meine Entscheidung, dem radikal einen Schokoriegel vorzuschieben, oder eine Lösung zu finden, die meinen Sohn lernen lässt. Früh lernen lässt, mit dieser Verlockung umzugehen.

Dieses alte Handy hat eine Zweitkarte, somit sieht mein Sohn beim Zähneputzen, wie viele Schritte ich gelaufen bin an einem Tag. Also, wie viele Schritte MIT dem anderen Handy in der Hand oder in der Tasche. Das hat er letztens herausgefunden und jetzt checkt er beim Zähneputzen nicht nur, wie viele Sterne er gewonnen hat durch toll Putzaktionen – sondern auch, wie viele Schritte ich gegangen bin.

Oft sind es weit unter den 10.000 Schritten, die voreingestellt sind als Gesundheitsziel.

Manchmal sind es auch deutlich mehr als diese 10.000 Schritte.

Meist grinse ich und in letzter Zeit machen wir auch immer mal einen Wettbewerb daraus. Ob Mama die 10.000 Schritte schafft.

Gerade jetzt, wo er ein paar Tage unterwegs ist und ich theoretisch mehr Zeit habe, um fröhlich Schritte zu sammeln, haben wir eine Wette laufen. Seine Herausforderung an mich: „Mama, du läufst jeden Tag 10.000 Schritte wenn ich weg bin!“

Ja, habe ich gesagt. Mache ich.

Heute Abend, 20:37 Uhr, ich habe 5000 Schritte auf der Uhr, Unruhe im Kopf, zu viele Gedanken zum Thema „Was soll das alles hier überhaupt und wenn ja, wie viele?“ im Kopf und – laufe los. Weil ich es versprochen habe. Nicht mir selbst. Aber ihm. Ich habe meinem Sohn versprochen, mich zu bewegen, wenn er weg ist. Okay – dann muss ich das auch tun!

Ich laufe übrigens an einem normalen Tag in einem normalen Spaziergehtempo 100 Schritte auf 1 Minute. Es lässt sich also ganz bequem ausrechnen, wie lange ich laufen muss. Ich weiß nur noch nicht, wie weit das ist. Eventuell will ich es auch gar nicht wissen.

Ich bin jedenfalls sehr froh um diese kleine Wette. Ich habe mich in den Wald begeben und bin Schritt für Schritt aus der inneren Unruhe in eine waldige Gelassenheit gelaufen. Ich bin jedesmal wieder erstaunt, wie gut es mir tut, einfach in den Wald zu gehen. Es ist, als ob meine Kreativität mit jedem Schritt wachsen würde. Erstauntlich, dass ich, obwohl ich das weiß, oft einfach stehenbleibe. Am Rechner.

Gut, dass ich einen Schrittmacher habe. Andere haben Hunde. Ich habe Kinder. Die halten mich auf Trab. Sogar, wenn sie gar nicht da sind.

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