best skepsis

Mein Kaffee heute morgen macht so ein Gesicht. Skeptisch grinsend. Was war denn da los, gestern? Und was wird los sein, heute?

Kannst du deinen Luxus schon wieder nicht genießen?, fragt der Kaffee.

Ja, weißt du, lieber Kaffee, nur, weil ich diesen Luxus habe, heißt es nicht, dass ich den auch durchgehend spüren kann. Das ist leider so. Es mag etwas unverschämt wirken, aber ich mit meinen Erste-Welt-Problemen habe halt sehr eindeutige Erste-Welt-Probleme. Keine Frage, klare Antwort. Ich habe allerdings gelernt, mich dafür nicht mehr zu schämen. Habe ich früher getan, sogar sehr ausgiebig.

Es durfte mir nicht schlecht gehen. Ich hatte doch eine liebende Familie.
(stellte meine Mutter fest, als ich ein Teenager war, und ich fühlte mich glatt noch beschissener. was Liebe halt so ist. ich wurde liebevoll geschlagen.)

Und das Bild trage ich seitdem mit mir. Es geht mir nicht schlecht. Ich habe eine liebende Familie. Inzwischen habe ich die ja WIRKLICH! Es sind nur Menschen in dieser Familie, die ich liebe und die mich lieben. Einen dieser Menschen sehe ich morgen, er kommt wieder heim. Wie schön!

Jedenfalls, sei dankbar, es geht dir gut.

JAAAAAHA! Ich weiß, dass es mir gut geht, verdammt! Ich kann ein paar Tage ganz für mich allein Urlaub machen, meine Schritte in egal welche Richtung lenken, essen, wenn ich Hunger habe, trinken, wannimmer ich möchte. Ich kann sitzen bleiben, weitergehen, den ganzen Tag lesen, den ganzen Tag grübeln. Ich kann tun, was ich will.

Um es mit Robbies Worten zu sagen…

Wenn ich allerdings schon wegfahre, dann ist doch lesen eine doofe Option, oder? Da hätte ich ja auch daheim bleiben können, wäre günstiger gewesen …

Da kommt noch ein wenig ein weiterer Glaubenssatz vorbei, und den habe ich schon letztes Jahr beleuchtet. Urlaub ist Geldverschwendung.

Kann man so sehen. Und wenn man das so sieht, will man eventuell auch ganz viel in den Urlaub stecken, damit man sich hinterher sagen kann – neeee, das war keine Geldverschwendung. Das war gut investiert, weil ich Neues gesehen habe und mich besonders gefühlt habe. Dafür geht man doch auf Reisen!

Da kann ich sagen, genau! Ich habe mich besonders gefühlt! Vor allem gestern am späten Nachmittag bis in den Abend hinein. Besonders unruhig, besonders unschlüssig. In dem Restaurant, wo ich zu Abend gegessen habe, habe ich glatt drei mal den Tisch gewechselt, bis ich das Gefühl hatte, irgendwie passend zu sitzen. Man überlege sich mal. Verrückt.

Ich habe meine Unruhe gestern gut in den Griff bekommen. Mit Bewegung. Einmal mehr ist Bewegung das Mittel der Wahl. Und ich konnte das unbewusst tun, weil ich in dem Moment noch nicht begriffen hatte, was los ist. Woher der unruhige Wind weht.

Einiges ist heute morgen klarer. Die Sicht, die Laune. Meine Tasche steht schon gepackt hinter mir, ich bringe meine Sachen gleich zum Auto. Auschecken. Dann laufe ich weiter, nochmal, zurück in die Stadt. Eine Wasserkaraffe für meine Tochter im KeK kaufen. Und ein Sandwich essen, zum Mittag. Später werde ich weiterfahren, in einen anderen Ort, zu einer Sandskulpturenausstellung. Das befindet sich auf dem Weg in Richtung Heimat, so dass ich es heute eingeplant habe. Ja, ich habe einen Plan. Ich konnte schon am Sonntag Abend nach meiner Ankunft einen kleinen Plan machen für meinen Aufenthalt. Und bis auf den gestrigen Abend, der ein wenig unruhig in meinem Kopf war, ist der auch aufgegangen.

Ich hatte auch gestern eine gute Zeit! Die Unruhe überschattet das nur einige Momente lang und schickt mir Zweifel.

Was ich aus gestern mitnehme, wenn ich den Text so lese. Ja, ich werde älter. Ja, ich sitze jetzt eher auf der Bank. Ja, ich bin nicht mehr mitten im Leben, nicht mehr dabei, nicht mehr auf der Wiese, springe nicht mehr ins Wasser. Das ist okay. Das hatte ich. Ich war jung, und ich habe mein Jung-Sein gelebt. Ich halte da oft noch dran fest, erzähle Menschen, dass ich mich wie 21 fühle. Ja.

Ja, an manchen Tage fühle ich mich so. Gerade dann, wenn ich ein Hoch habe. Hypomanisch bin. Dann kann ich alles, bin jung, stark und vor allem kann mir eh niemand das Wasser reichen. Nicht mal der Kanal könnte das.

Diese Phasen habe ich selten.

In den normal guten Phasen stelle ich inzwischen fest, dass es so ist. Ich gehe weiter. Ich setze mich nicht auf die Wiese. Ich bin nicht mehr 21. Es ist okay so. Ich reife nach. Ich darf jetzt gelassen auf der Bank sitzen und dem fröhlichen Treiben zusehen. Mich selbst jugendlicher zu machen, als ich bin, ist nicht mehr nötig. Das ist eine gute Erkenntnis. Verzweifelt jung zu sein, ist keine Lösung. Wir haben das Alter, das wir haben, und dürfen es mit Stolz tragen. Inklusive der Falten im Gesicht, die mehr werden bei mir. Sie gehören ja zu mir! Ich werde nicht mehr glatte 21 und was soll ich sagen – das ist auch gut so!

Fehlt mir die Aufregung? Ja, sie fehlt mir. Es ist keine leichte Übung.

Habe ich die Aufregung? Ab und an habe ich sie noch, wenn ich ausgehe, wenn ein besonderer Event ansteht. Ich fühle mich dann frei und jung. Das ist okay. Das darf ich genießen.

Nur, die Augen verschließen davor, was wirklich ist, darf ich nicht. Ich darf zur Seite stehen, den jungen Menschen den Raum überlassen, sie beobachten, sie begleiten. So, wie ich es bei meinen Kindern tue. Ich muss nicht mehr in den Mittelpunkt, oder wenn, dann nur meiner Reife wegen. Ich darf erwachsen. Es wird langsam Zeit dafür.

Sehe ich das skeptisch? Ich bin da klar wie mein Kaffee heute morgen. Ja, ich sehe das Skeptisch. Und Hoffnungsvoll.

Aus kleinen Unruhen darf ich lernen.

Ach, und der Schlenker zu “ich darf mich schlecht fühlen”.

Ja, darf ich! Auch in der ersten Welt, in der ich lebe. Auch mit all den tollen Dingen, die ich habe und darf. Sicher sein. Essen. Schlafen. Lesen. Schreiben. Mich ausprobieren. Alles möglich. Wunderbar! Da darf es einem in keinem Fall schlecht gehen, richtig?

Doch, darf es. Und es ist okay, das zu sagen. Es ist okay, das wahrzunehmen. Es ist okay, sich NICHT schuldig zu fühlen. Im Sinne von – wie kann ich nur! Es geht mir doch gut! Stell dich doch nicht so an!

Doch! Stell dich an! Für einen leckeren Kaffee! Und dann komm in Bewegung. Einmal um den Kanal. Und wenn dir danach ist, dann kannst auch du noch eine Runde schwimmen. Auch mit 50. Du musst aber nicht. Ich muss nicht krampfhaft 20 bleiben, wenn ich doch wunderbare 50 bin.

Nächste Woche gehe ich mit meinem Sohn schwimmen! Aber nicht im Kanal. Da ist mir das Wasser doch zu dreckig.

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