Das herrenlose Kind

Wo kommt denn dieser altmodische Begriff her? Herrenlos?

Herrenlose Kinder, herrenlose Fahrräder, herrenlose Koffer, herrenlose Hunde, herrenlose Grundstücke, sogar Lösungen für herrenlose Bienenstöcke kann man im Internet finden.

Herrenlos ist, was aufgegeben wurde. Etwas, das keiner Herrschaft ausgesetzt wurde. Etwas, das keinen Besitzer hat. Im Grunde ist es Freiheit. Oder auch, ich kann es mitnehmen, wenn es niemand gehört. Kann ich das?

Ich bin definitiv herrenlos. Kein Herr und kein Herrscher in meiner Nähe. Beherrschen tue nur ich mich selbst. Ich bin sehr froh, die Herren los zu sein. Ab und an denke ich, es sei schön, herrschaftlich zu wohnen. Der Preis dafür ist mir allerdings zu hoch.

Ich lebe lieber lose und herrsche höchstens ab und an die Kinder an. Damit sie aufräumen 🤣

Tatsächlich fragte vorhin eine ältere Dame, ob K5 zu mir gehöre oder ob er ein herrenloses Kind sei. K5 stand mit seinem Fahrrad auf dem Bürgersteig und wartete auf mich, die ich noch mit der Kette meines Fahrrades kämpfte. Sie hatte Sorge, der Junge Mann sei allein, vergessen, verlassen.

Ich habe üblicherweise gar kein Thema mit Gendergerechter Sprache. Mir ist egal, ob ich Manager und Managerin bin und ich mache ungern Doppelpunkte für Elter:innen und andere Begriffe. Mama ist ein eigenständiger Name und ich fühle mich nicht diskriminiert.

Warum „herrenloses Kind“ mich binnen von 2 Sekunden gereizt hat, versuche ich gerade herauszufinden. Ich habe die ältere Dame nahezu angeblafft, dass dieses Kind nicht herrenlos ist. Dabei war sie im besten Sinne aufmerksam. Ein wenig sehr aufmerksam, weil er da gerade mal 3 Minuten stand und bald 8 Jahre alt ist. Also kein Kleinkind, das weinend vor ihrer Tür saß….

Also, die Frage ist, warum bringt mich dieser Begriff auf?

Was schwingt da mit bei mir? Ist es der leise Verdacht, ich könne mich zu wenig um ihn gekümmert haben und sei demnach eine schlechte Mutter?

Ist es, dies weiterführend, die grundlegende Annahme, mein Job als Mutter sei nicht gut genug, da niemand fragt, ob es ein frauenloses Kind sei?

Ärgert mich der Begriff, weil ich denke, dass Mütter immer noch deutlich mehr leisten und das immer noch so selbstverständlich ist? Und Männer lobt man für einmal Windeln wechseln über den grünen Klee?

Oder geht es tiefer und vermittelt mir den Anschein, nur wert zu sein mit Herr im Gepäck?

Tatsächlich ist K5 meine Entscheidung und sie wiegt daher auch mitunter schwerer. Sein Vater war heillos überfordert mit dieser Schwangerschaft und wünschte sich ein Ende, möglichst ohne Theater. Der Samtvorhang schloss sich aber nicht gütig über ihm. Im Gegenteil.

Er wollte herrschen. Entscheiden. Befehlen. Als ich Nein sagte, wurde mir klar, dass ich im besten Sinne herrenlos bin. Oder auch, im doppelten Sinne. Niemand beherrscht mich und ich bin verlassen.

Der Vater von K5 betitelte mich damals als Assozial, da ich als damals alleinerziehende Mutter von 4 Kindern noch Nummer 5 zu bekommen gedachte. Er wollte definitiv kein Besitzrecht. K5 war ab Woche 6 herrenlos und ich hatte einen Stempel, der mich mehrere Jahre begleitet hat. Asozial.

Das herrenlose Kind der asozialen Mutter klettert gerade im Wald umher und ist seines Lebens froh. Ich habe selten einen Menschen erlebt, der sein Leben so sehr liebt. Ausgeglichener Sonnenschein meines und seines Lebens. Und inzwischen auch des Lebens seines Vaters, der ihn nachher abholt für ein halbes Papa Wochenende.

Inzwischen hat der Vater sich für sein Verhalten entschuldigt. Er liebt seinen Sohn sehr. Und dennoch kommt er ab und an um die Ecke und will herrschen. Er mag es nicht, dass ich herrenlos bin… und findet es parallel sehr interessant, dass ich meine eigene Frau bin…

Ich sage oft „mein Sohn“ und fühle das auch. Dabei ist er herrenlos im besten Sinne. Er gehört sich selbst. Ich besitze ihn nicht, ich begleite ihn. Auf dem Fahrrad in den Wald. Noch braucht er meine Begleitung, meinen Rat und meine Fürsorge. Ich sollte stolz darauf sein, wie gut er sich entwickelt. Er ist kraftvoll, mutig, ein Entdecker.

Und ab und an ist er faul. So wie ich auch. Die kurze Strecke auf dem Rad in den Wald hat gezeigt, er und ich, wir brauchen mehr Bewegung 😇

Der Begriff „herrenlos“ scheint bei mir Wut auszulösen, Wut über ein „ohne Herr bin ich nichts wert“. Auch ein „allein erziehend“ bringt mich meist dazu, mich zu erklären. Zu entschuldigen. Mich hat halt kein Herr gewollt 🤷‍♀️

Dabei stimmt das gar nicht. Die Wahrheit ist, ich gehöre nur mir selbst. Und aktuell bin ich so sehr mit mir selbst und meiner Entwicklung beschäftigt, dass meine Zeit und Kraft gerade ausreicht, um meinen Kindern eine liebevolle Begleitung zu sein. Eine Beziehung in gegenseitigem Respekt und ohne Besitzansprüche kann ich mir gerade nicht vorstellen.

Ich bleibe also im besten Sinne herrenlos und helfe meinen Kindern, unabhängig, selbständig und eigenverantwortlich heranzuwachsen. Und ich helfe mir. Mich mehr wert zu schätzen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert