meine Schritte gehend

Ich liege lesendschreibend im Bett, vor mit ein paar Fische, die im Fernsehen ihre Runden drehen. In welchem Hotel bin ich? In dem alle Zimmer identisch sind?

Das hat etwas beruhigendes, dieses gleichförmige, bestehende, sich nicht verändernde. Ich betrete das Zimmer und finde mich blind zurecht. Es ist vertraut. Dafür braucht es keine saubere Brille und auch keine Aufmerksamkeit.

Vor einem Jahr war es neu. Vor einem Jahr bin ich das erste Mal mit bzw. für die Firma auf eine Konferenz gefahren. Meine Vorfreude auf den Event hat die ganze Firma erhellt, es brauchte in der Zeit kein Licht angeschaltet zu werden. Es war schon hell – allein, weil ich strahlend war.

Inzwischen habe ich einen Teil meiner Strahlkraft verloren. Meine Begeisterung für alles hat sich verändert – und auch meine Begeisterung für diesen einen Mann, bei dem ich im vergangenen Jahr dachte, wir seien ein Match.

Ich war so begeisternd, dass Menschen, die mit mir über die Firma gesprochen haben, danach Bewerbungen bei uns eingeworfen haben. Kam vor. Manche arbeiten jetzt hier. Und das ist auch gut so – diese ansteckende Begeisterung mag ich auch weiterhin ausstrahlen. Ich bin ansteckend hell, faszinierend glücklich. Ein wenig, wie frisch verliebt.

So war das im vergangenen Jahr. Ich habe all das – die Location, die Reise, meine joblichen Möglichkeiten, die Faszination – aufgesogen wie ein Schwamm. Ich war frisch verliebt, in neue Arbeitswelten. Und wie das so ist, wenn man eine rosarote Brille trägt, man sieht die anderen Farben nicht. Alles ist rosa.

Heute morgen habe ich noch Brillenputztücher gekauft vor der Abreise. Und Zahnpasta. Beides hatte ich daheim vergessen – und ich behaupte, mit einer dreckigen Brille fehlt mir voll der Durchblick. Und mit dreckigen Zähnen lächelt es sich nicht ganz so schön.

Ich erkenne mich kaum wieder, so mit geputzter Brille – es ist gar nicht alles rosa! Da sind noch viele andere Farben und Farbnuancen, die ich vor lauter Begeisterung in den ersten Monaten im neuen Job gar nicht wahrnehmen konnte. Frisch verliebt finden wir auch jeden Pups toll, den das Gegenüber von sich gibt, ob in echt oder in Worten. Später dann beschweren wir uns, dass es in der Bude stinkt. Oder dass wir diese Geschichte so oft gehört haben, dass wir sie schon mitsingen können.

Ich bin erstaunt. Wie klar ich heute sehe. Ein klarer Blick auf mich und auch ein klarer Blick auf mein Umfeld. Auf mein Arbeitsumfeld. Auf mein Männerumfeld. Ich sehe – ich lasse mich nachwievor leicht beeindrucken und schnell begeistern. Da muss jemand nur ein wenig eloquent sein oder gar beliebt und angesehen bei anderen Menschen. Schon finde ich das wunderbar, wenn ich in diesen Dunstkreis aufgenommen werde. Wenn diese Menschen mich beachten, dann fühle ich mich gesehen und angenommen. Dabei – brauche ich das gar nicht. Ich brauche kein Licht mehr, das von anderen auf mich abfällt. Ich kann schon ganz allein das Licht anschalten! Ich kann mich ganz allein annehmen, wie ich bin. Jedenfalls an Tagen. An mehr Tagen als früher.

Blender sind zudem meist anstrengend. Ja, es blendet, und ich bleibe stehen, wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Und werde dann fröhlich überfahren. Der Blender merkt es nicht mal. Er ist zu sehr beschäftigt damit, sich selbst toll zu finden. Das darf er auch – ich muss ja nicht hinschauen oder gar stehen bleiben. Ich kann ganz prima festen Schrittes die Straße überqueren. Ohne weitere Faszination für helles Licht.

Mir geht tatsächlich Schritt für Schritt das ein oder andere Licht auf. Ich bin immer noch begeistert, an vielen Tagen. Von meinen Job und meinen beruflichen Möglichkeiten. Ich sehe aber auch, dass es sich in ein realistisch buntes Bild verwandelt. Mit dunkeln und hellen Momenten. Es ist nicht alles rosarot – und das will es auch gar nicht sein.

Ich habe mich ein wenig hinreißen lassen und muss heute ein wenig schmunzeln. Mein neues Abblendlicht tut mir gut – ich will und muss nichts mehr reißen oder retten. Ich mache meinen Job. Und dann fahre ich in zwei Tagen wieder heim und schalte ab. Weil es nur ein Job ist und nicht die große Liebe. Ich mag meinen Job.

Ich glaube, ich werde endlich realistischer. Auch, was die Anzahl meiner Schritte angeht. Ich habe hier zwischendurch einen Marathon hingelegt, für die Firma. Als sei es meine eigene Firma. Immer und in jedes Detail mitdenkend, mich verantwortlich fühlend. Ähm. Genau. So ein Quatsch. Ich mache meinen Job. Den mache ich an den meisten Tagen ziemlich gut.

Es ist irgendwie beunruhigend, dass ich noch weiß, wie ich mich letztes Jahr hier in Berlin gefühlt habe, auf der We Are Developers. Auch, wie ich mich danach gefühlt habe. Wie strahlend ich damals im Job war. Aber wo die Jungs waren in der Woche, ob wir schon Ferien hatten oder wie ich das eigentlich organisiert hatte – daran kann ich mich nicht erinnern. Also – das hat schon irgendwie funktioniert, nur – wie? Ich muss wohl mal zurücklesen.

Ich sehe in letzter Zeit erschreckend klar, wie hoch ich die Prio in den Job gebe. Höher oft als auf die Kinder und mich. Als liefe alles über den Job. Als sei dass das Wichtigste in meinem Leben. Als definiere das mein Leben. Dabei ist das ungesund. Das, was mich wirklich ausmacht, das Wichtigste in meinem Leben, dass, was am Ende bleibt und was ich der Welt hinterlasse – sind nicht irgendwelche tollen Veranstaltungen, auf denen ich gestrahlt oder geglänzt habe. Oder die ich veranstaltet habe. Neeeee – es sind die Kinder! Meine Familie! Die Menschen, die ich liebe und die mich lieben, in jeder Farbe!

Dieses Jahr weiß ich, wie ich meinen Aufenthalt hier organisiert habe, wo meine Kinder sind und ich weiß auch – wie sehr ich sie liebe. Mehr als jeden Job dieser Welt. Gut, dass mir das ab und an klar wird. Es ist so wichtig!

Und so gehe ich aktuell Schritt für Schritt aus meiner depressiven Episode raus. Ich bleibe in Bewegung und achte auf Durchblick 😉

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