Oversharing

Ich bin drüber. Nahezu jeden Tag. Bin ich drüber?

Heute habe ich meine 10000 Schritte im Wald gesammelt, spazierengehend, mit Keks. Keks wollte alle zwei Meter ein paar Gräser naschen oder junge Triebe von Bäumen knabbern. Was Kekse halt so machen. Nichts als Krümel!

Mit mir und Keks unterwegs war eine langjährige Freundin, mit der ich mich oft ohne viele Worte verstehe. Wir kennen uns bald 20 Jahre und halten auch mit bewegten Leben, Kindern und Job den Kontakt, wenn auch eher sporadisch. Wenn wir uns sehen, tut es uns gut. Wir teilen unsere Geschichten, wir fühlen mit, wir haben auch mal einen Tipp für die jeweilige Situation des Gegenüber.

Natürlich ist das über die Jahre gewachsen. Das Vertrauen ist bereits da und auch das Wissen, was dem Gegenüber wichtig ist. Was die Kraftpunkte sind. Was Stress auslöst. Sie ist eine wunderbare Freundin, die mich immer bestärkt. Sie hat mich einfach lieb. Sie stellt mich nicht in Frage. Für mich sind solche Menschen das größte Geschenk. Sie gleicht den Mangel aus, den ich aus meiner Kindheit mitbringe.

Umgekehrt habe ich sie lieb. Ab und an challenge ich sie, wenn ich das Gefühl habe, dass ich mal reinpicksen darf. Sie nimmt meine Einwürfe nie persönlich, sondern denkt wohlwollend darüber nach. Ich beneide sie manchmal darum, weil ich dazu neige, mich schnell persönlich angegriffen zu fühlen. Daran arbeite ich und oft gibt sie mir einen Hinweis, wie ich besser mit meinen Gefühlen umgehen kann.

Und dann sehen wir uns wieder monatelang nicht und das schadet nicht. Wir laufen immer direkt weiter an dem Punkt, an dem wir Monate zuvor stehen geblieben sind. Kein Bruch. Kein Graben. Nur eine kurze Pause.

Heute erzählte sie mir, dass ihr gesagt wurde, sie sei Oversharing.

Ich war sprachlos. Weil, ja, sie erzählt viel. So wie ich das auch tue. Aber das ist immer schön. Für mich. Ich empfinde sie nur als warmherzig, hilfsbereit und fürsorglich und sage ihr manchmal, sie möge aufpassen mit ihrem großen Herzen, damit sie nicht ausgenutzt wird.

Wenn hier jemand oversharing ist, dann bin ich das! Ich erzähle doch so viel. Von mir. Teile meine Gedanken, Gefühle, Unsicherheiten und merke manchmal nicht, wenn ich zu viel werde für andere. Gerade dann, wenn ich psychisch angegriffen bin oder unter starkem Stress stehe (was meist irgendwie einander die Hand gibt), dann teile ich mich mit. Über das Maß hinaus.

Wobei, wirklich sehr intime Details teile ich selten auf meinem Blog. Und selbst wenn, ich erzähle sowieso nur die Dinge, die ich auch meiner Oma erzählen würde. Mich stört das nicht. Die, die es stört, lesen vermutlich selten bis hier. Die lesen halt einfach nicht weiter.

Spannend zu beobachten für mich war vorhin, dass ich direkt darüber nachgedacht habe – ob ich das auch bin. Oversharing. Gerade hier, mit meinem Blog, in dem Menschen lesen. Wie es mir geht. Wie ich meinen Alltag mal mehr, mal weniger ordentlich auf die Kette bekomme. Was mir durch den Kopf geht. Wie ich sein will. Wie ich wahrscheinlich bin. Dass ich manchmal Sorge habe, egozentrisch zu sein. Um festzustellen, dazu fehlt mir dann doch eine Schippe oben drauf.

Manchmal habe ich Sorge, dass ich narzistischer bin, als ich es wahrhaben möchte.

Dann wieder fällt mir auf, dass wir alle diese Anteile in uns tragen. Nur, wenn es verstärkt auftritt, ist es augenscheinlich. Ich bin sehr mitfühlend, weine schnell, habe oft Gefühlsschwankungen. Ich liebe Babys und kleine Kinder. Sie sind so echt, so unverstellt. So lebendig. Ehrlich. In Anwesenheit von kleinen Kindern bin ich ein anderer Mensch. Meine eigenen Babys haben mich natürlich an manchen Tagen angestrengt. An den meisten Tagen haben sie mich einfach nur begeistert. Diese Wunder!

Und ja, manchmal hatte ich keine Lust mehr, noch eine Runde Uno zu spielen mit dem heulenden Vierjährigen. Ich glaube, dass das normal ist.

So, wie es vorkommen kann, dass wir auch mal overshared sind. Oder egoistisch. Oder egozentrisch. Oder all das, was man halt nicht macht, weil es sich nicht gehört.

Ich bin lieber ein wenig oversharing, dafür trinke ich keinen Alkohol und falle nicht aus der Rolle – und zwar dergestalt, dass ich mich danach drei Jahre lang schämen müsse.

Ich rede übrigens auch immer über meine Fehler und das, was schief gelaufen ist. Ich reflektiere und stelle mich mitunter auch über Gebühr selbst in Frage. Bin ich denn gut genug? Kann ich überhaupt irgendwas? Wenn ja – ist das, was ich kann, wichtig für irgendwen? Wäre es nicht cooler, ich könnte – Code schreiben?

Kann ich nicht. Ich kann nur meine Gedanken aufschreiben. Heute, ein Runterschreiben. Kein Nachdenken darüber, ob das gut zu lesen ist für die Zielgruppe. Ich weiß ja nicht mal, wer meine Zielgruppe ist. Ich bin nicht sehr achtsam mit den Menschen. Tschuldigung. Ich kann dazu nur sagen – dass ich bisschen anders bin als andere. Ich bin halt ich. Mich haben sie in einem Extratopf gebacken. Eventuell rede ich deshalb so viel über mich.

Meine Freundin ist mit diesem “oversharing sein” sehr gelassen umgegangen, eher sogar erstaunt. Sie empfindet meine und ihre “oversharing-personality” als offen, liebevoll, unterstützend und somit durchweg positiv. Als etwas Gutes. Ehrlich. Manchmal ein wenig naiv. Vertrauend. Sie erzählt, wie es ihr geht, da ist kein Rätsel raten und kein “darüber spricht man aber nicht”.

Ich liebe das sehr. Es ist wie nach Hause kommen. Es ist so echt.

Dass ich heute Keks ausführen durfte, war übrigens mein allererstes mal. Keks hat mich schnell durchschaut. Ich war unsicher weil überrascht und auch ein wenig überfordert. Das spüren sie sofort, die lieben Pferde.

Ich bin übrigens auch unsicher im Umgang mit Menschen. Manchmal. Wenn ich Angst vor ihrer Expertise habe. Wenn ich Angst habe, dass sie mich komisch, doof, blöd finden. Wenn ich Angst habe, nicht willkommen zu sein.

Meine Eltern haben nie gesprochen. Darüber, wer sie sind. Was sie ausmacht. Was sie lieben. Was sie sich für ihr Leben gewünscht haben. Nichts. Sie waren immer nur düster und oft bedrückt. Vor allem meine Mutter. Ich hatte oft das Gefühl, eine Belastung zu sein. Dass es ihr nur so geht, weil ich nicht richtig bin. Ich habe daher immer geredet und erzählt. Um diese Kluft auszugleichen. Um die Stille zu nehmen. Um am Leben zu bleiben. Und dann –

Bin ich die, die ich bin. Und ich habe dennoch Freunde gefunden. Weil wir am Besten so sind, wie wir nunmal sind. Das kann auch ganz wunderbar sein. Weil, meist sind wir schon am nächsten Tag wieder anders. Ich zum Beispiel, in der Sauna. Nix oversharing. Okay, ich habe nichts an, das kann man schon als Problem sehen. Aber – mehr ist halt auch nicht. Ich rede nicht. Ich will nur meine Ruhe. Ich schlafe. Ich lese. Ich bin still.

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