Tief Larissa regnet!

Mein erstes eigenes Tief! Ich habe noch nie von einem Wettertief gehört, dass Larissa heißt. Heute ist mir das das erste Mal begegnet, im Radio, auf dem Weg zu den Brötchen, die ich mir fürs Frühstück kaufen wollte. Tief Larissa bringt leichte Schauer bis Gewitter und sorgt für Abkühlung. Hier daheim war es wohl gestern mit über 30 Grad drückend heiß …

Ich sorge für Abkühlung! Ein Tief von mir bringt Segen! Okay, eventuell auch Starkregen, aber hey, ich kann meine Tiefs halt auch nicht immer so optimal steuern. Da ist immer auch ein wenig unwägbares mit dabei 😉

Ich sitze hier, in unserem Zuhause, Klaviermusik läuft und es regnet draußen. Es ist so gemütlich, dass ich ganz tief in mir einen Wohlklang spüre. Aus Regentropfen am Fenster, leiser Musik, Ruhe und Geborgenheit.

In gut einer Stunde kommt mein jüngster Sohn heim. Heim ins Daheim, und ich hoffe, ich habe ausreichend Ruhe gesammelt, in den letzten Tagen, um ein Nest aus Geborgenheit bieten zu können. Es gab Tiefs in meinem Leben, da konnte ich das leider nicht bieten. Da war ich so verletzt, dass der Regen durchs Dach tropfte und wir ständig in einer Pfütze aus Leid standen. Wie sehr das meine Kinder belastet hat, das werden wir wohl herausfinden, wenn sie erwachsen. Wenn sie dann kommen und feststellen, wo es geknirscht hat im Getriebe, dann werde ich da sein und erklären. Ich werde nicht wegschauen und sagen – Quatsch, hier war immer eitel Sonnenschein! Du hattest eine tolle Kindheit, schau dir die Bilder im Fotoalbum an! Ich habe nichts Falsch gemacht! Sei nicht so undankbar!

Nein. Das wird von mir nicht kommen. Zumal es gar keine Fotoalben gibt bei uns. Ich komme schlicht nie dazu, mich längerfristig um all die Bilder in meinem Herzen und auf meiner Kamera zu kümmern. Aber es gibt diesen Blog hier, der zumindest einen Teil der Reise beleuchtet. Und es gibt meine Ehrlichkeit, die eines meiner wichtigsten Werte ist. Es gibt Transparenz. Es gibt auch Reue. Es gibt ein ehrliches “bitte verzeih mir” und die Akzeptanz, dass manche Dinge sind, wie sie sind. Ich entschuldige mich nicht mehr für meine Krankheit und ich bedauere auch nicht mehr, dass ich mit meinen psychischen Einschränkungen das Leben meiner Kinder stark belastet habe. Ich habe mir das nicht ausgesucht. Wäre ich schwer an Krebs erkrankt, würde ich wohl auch nicht das Gefühl haben, mich rechtfertigen zu müssen.

Ja, meine Kinder hatten es schwer. Mit einer schwergradig an Depressionen erkrankten Mutter zu leben, ohne andere erwachsene Person im Haushalt, ist schwer. Es ist prägend. Es ist beunruhigend. Menschen, die an Depressionen erkranken, sollten nicht allein gelassen werden. Es sollte mehr automatische Hilfe für die Kinder im Haushalt geben. Ich habe in meinem Tief zwar brav alle zwei Wochen die nächste Krankschreibung zur Krankenkasse gebracht, aber die haben nie gefragt – wie geht es denn den Kindern in ihrem Haushalt? Wie leben sie denn? Brauchen sie mehr Unterstützung? Meine Jungs waren 2, 9 und 11 Jahre alt, als ich akut war. Kaum halbwegs gefestigt, kam Corona und verunsicherte uns Alle erneut. Es war ein schweres, langes Tief. Meine Kinder waren tapfer und am Ende des Tages wachsen wir alle mit unseren Herausforderungen. Dennoch – eine Haushaltshilfe hätte schon geholfen. Weil ich phasenweise nicht mal Wäsche waschen konnte. Und weil ich als Alleinerziehende nunmal Allein war.

Hinterher zu sagen, na, dass hast du ja schön verbockt, kein Wunder – damit ist niemand geholfen. Menschen, die krank sind, brauchen Unterstützung. Einem Krebskranken wirft hoffentlich hinterher niemand vor, nicht genug für die Kinder getan zu haben …

Ein Tief kündigt sich an. Manchmal wird es im Radio bekannt gegeben und man kann die Balkonpflanzen noch rechtzeitig retten. Manchmal kündigt es sich subtiler an oder wir hören einfach kein Radio. Wenn es dann da ist, spätestens dann, können wir aber immer noch reagieren. Und die Pflanzen reinholen oder die Wäsche, die draußen auf der Leine trocknet. Wir können sie auch hängen lassen.

Wenn Menschen im Tief sind, sollten wir sie nicht hängen lassen. Ja, die trocknen nach, wenn das Tief vorbei ist. Dennoch tut es ihnen und der Wäsche nicht gut. Teile fallen vielleicht hinunter und landen im Dreck. Müssen danach mühsam nochmal gewaschen werden. Was macht das mit der Wäsche? Wie wichtig ist uns die Wäsche? Holen wir bitte alle Kinder rein, wenn Tief Larissa kommt?

Heute sind meine Tiefs eher Regenschauer. Die letzte depressive Episode war schmerzhaft anstrengend in meinem Kopf. Dabei war es aber nur Regen, in Form einiger Tränen. Und ab und an bleiernde Müdigkeit. Ich konnte zu allen Tiefphasen kommunizieren, wie es mir geht. Es gab kein Gewitter und keinen starken Sturm. Die Wäsche war immer rechtzeitig drinnen und kein Blumentopf ist kaputt gegangen. Keine Scherben. Es gibt schon länger keine Scherben mehr, weil ich aufpasse. Ich achte deutlich mehr auf mich selbst und somit auch auf die Kinder. Ich sage, wie es mir geht, und ich sage dazu, dass es nichts mit ihnen zu tun hat. Sie sind zudem deutlich älter geworden. Sie unterstützen. Ob sie einen Schaden davon tragen, weil ihre Mutter chronisch krank ist? Vielleicht. Vor allem aber werden sie selbständig, resilient und aufmerksam. Sie erkennen ein Tief und holen die Wäsche rein. Und sie kuscheln mit mir, auch wenn ich kaum aufstehen kann. Sie haben keine Angst vor Tief Larissa.

Ich habe auch keine Angst mehr vor Tief Larissa. Dann regnet es halt. Das kann auch sehr schön, sehr stimmungsvoll sein. Sehr liebevoll.

Niemand kann sich aussuchen, wo er groß wird. Wie die Eltern ticken. Welche Krankheiten uns heimsuchen. Aber wir alle können uns in ein Leben einfinden, dass uns stärkt, dass uns guttut, dass uns trägt. Meine Verantwortung als Elternteil ist es, meine Kinder zu begleiten und sie zu selbstbewussten, starken, träumenden und liebenden Erwachsenen werden zu lassen. Das, was ich dazu tun kann, tue ich.

Es gab Phasen, in denen ich vor Verzweiflung geschrieen habe. Gestresst und überfordert war. Geschirr an die Wand geworfen habe. Phasen, in denen ich gegrollt habe, wie das Gewitter, das gerade vorüberzieht. Nach dem Gewitter kommt wieder Sonne …

Nach der Depression kommt wieder Hoffnung. Für meine Kinder werde ich immer hoffnungsvoll offen zur Verfügung stehen – darüber zu sprechen, wenn sie das wollen und brauchen. Ohne Rechtfertigung. Ich rechtfertige mich nicht mehr. Ich erkläre. Ich entschuldige mich. Ich liebe sie von Herzen und bin sicher, dass das auch über unsere Tiefs hinweg tragen wird. Ich spüre das ja heute schon. Wie nah mir meine Kinder sind und wie dankbar ich dafür bin, dass sie bei mir sind. Trotz stürmischer Zeiten und trotz starkem Regen.

Sie sind mein Lebenselexier. Der schönste Grund, der einzige Grund, Erinnerungen zu sammeln und diese Welt zu einem besseren Ort zu machen. Damit sie darin leben können.

Tief Larissa liebt euch sehr!

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