wie erklär ichs meinem Kinde?

Meist kommen die wirklich intensiven Fragen, wenn ich scheintod, mit höllischem Muskelkater, unbeweglich auf dem Sofa sitze und MIT GAR NICHTS MEHR RECHNE. Gedanklich in ein extraschweres Sudoku vertieft, flach atmend. Bloß nicht bewegen. Nur in Neunerreihen denken. Und in Kästchen.

Dann! Dann fragen sie dich, wo sie eigentlich herkommen.

„Aus der Küche“, folge ich dem ersten Impuls einer passenden Antwort. Weil, da kam er gerade her. Setze sich neben mich aufs Sofa und unterbrach meine gedankliche Sehnsucht nach einem extraschweren Sudoku.

Gestern erst hat er mich körperlich an meine Grenzen gebracht. 2x 45 Minuten Fußball im Garten haben mich ausgenockt. Ich habe zig Schüsse aufs Tor abgegeben, er hat zig Schüsse gehalten und weitere zig Schüsse nicht gehalten. Es war eine echte Freude, für beide Seiten. Nur, er wirft sich alle naslang auf den Boden und steht wieder auf und springt und rennt – und ich, ich schieße halt aufs Tor. Ratet, wer heute Muskelkater hat.

Er ist es nicht!

Ich laufe heute schon den ganzen Tag wie ein Cowboy durch die Gegend. Breitbeinig. Als hätte ich drei Tage am Stück auf einem Pferderücken verbracht. Tja. Warum gehe ich eigentlich ins Fitnessstudio und gebe dafür viel Geld aus? Wenn es doch auch ausreicht, mit meinem Sohn Fußball zu spielen?

Tja. Okay. Die Frage habe ich mir nur am Rande gestellt. Seine Frage heute abend war auch eine ganz andere. Das erste mal überhaupt, dass er mich in Richtung „wo komme ich her“ befragt hat.

Wenn mich meine Oberschenkel fragen würden, wo denn der Muskelkater herkommt, hätte mich das nicht weniger verblüfft 😉

Mein Sohn weiß natürlich, dass ich seine Mama bin und sein Vater sein Vater ist. Und dass wir kein Paar sind und es auch nie waren. Nicht wie bei all seinen Freunden, die (wirklich) alle in verheirateten Umständen sind. Also, wir haben in seinem Freundeskreis keine anderen Alleinerziehenden Exemplare, keine Trennungskinder, kein Patchwork. Kaum zu glauben, aber so ist es. Über den Fußballverein verändert sich das gerade – da sind doch ein paar Kinder dabei, die auch eine alleinerziehende Mutter haben. Es sind allerdings nach meiner bisherigen Recherche auch nur Wenige. Die meisten haben zumindest nach außen eine heile Fassade. Weiß man ja auch nicht, wie es innen drin aussieht …

Jedenfalls, in seinem bisherigen Kindergarten- und Schulleben gibt es die klassischen Familien. Mit 2 Kindern und manchmal auch 3 Kindern. Mama, Papa, Kind, manchmal Hund, viel Urlaub, Großeltern. Das „normale“ Programm. Und wir, da ist die Mama und vier Geschwister, die auch jeweils zwei andere Papas haben. Und der Papa, ohne weitere Kinder. Keine Großeltern, nicht bei mir, nicht beim Papa. Schon auch – eher ungewöhnlich.

Heute hat mein Sohn also überlegt, wo er herkommt. Warum wir leben, wie wir leben. Wie andere Familien leben. Ob es unsere Familie vielleicht nochmal irgendwo gibt auf der Welt, genau so, wie wir sind. Im gleichen Alter.

Also: eine Mama, 51. Fünf Kinder. Drei Väter. Sohn, 27. Tochter, 25. Sohn, 18. Sohn, 15. Sohn, 8.

Ich musste Sohn, 8, dann mitteilen, dass ich die Wahrscheinlichkeit für sehr gering halte. Ich kenne wenige Frauen, die exakt diesen Werdegang hingelegt haben. Also, eigentlich, keine eine. Und natürlich ist die Welt sehr groß, aber schlussendlich wird es wohl eher die klassische Variante mehrfach geben. Mutter, Vater, zwei Kinder. Das hat er sich dann versucht, vorzustellen, wie bei einem Schulfreund von ihm. Dass es genauso ist wie bei seinem Schulfreund.

Darüber nachdenkend, wie unterschiedlich doch Familienkonstellationen sind und wie ungewöhnlich die Konstellation ist, in der er lebt, kommt dann natürlich auch die Frage, die ihm wohl am meisten auf dem Herzen liegt. Was eigentlich mit ihm ist. Schließlich sind seine großen Geschwister auch immer ganz nah beieinander vom Alter. Jeweils so gut zwei Jahre Unterschied. Nur er, er ist irgendwie allein. Kein Geschwister in seinem Alter. Was da los? Und warum ist das so?

Tja – an der Stelle bleibt dann, ächzend das Sofa zu verlassen, um die Frage mit Zähneputzen gehen zu beantworten. Oder, die Wahrheit in einfache Worte zu fassen:

Die Wahrheit ist ja auch ganz simpel. Sowohl K1 und K2 als auch K3 und K4 sind in Beziehungen geboren worden, in denen sich Mama und Papa überlegt haben, dass sie gemeinsam Kinder haben wollen. Okay, bei K1 hat das noch niemand überlegt, der ist ähnlich unverhofft zu mir oder damals uns gekommen wie K5 auch. Man kann das Unfall nennen. Ich habe das lieber mit „ungeplant und unerwartet“ übersetzt. K1 war unerwartet. K2 nicht. K3 und K4 auch nicht. Allen gemein ist aber, dass ich in einer Beziehung war. So wie bei seinem Schulfreund. Mama, Papa, Kind 1, Kind 2.

„Und wie war das mit Papa? Hattest du mit Papa auch diese Sache mit dem Penis?“

„Sex meinst du? Ja, wir hatten auch Sex – das ist schon grundlegend wichtig füs Kinder kriegen. Also, man kann nicht einfach über die Straße laufen und denken, ach, der ist aber nett da drüben, mit dem hätte ich gern ein Kind.“

(Kind kichert)

(Keine Rückfragen meinerseits, was er denn schon zum Thema Sex weiß und wo die Kinder bei gleichgeschlechtlichen Paaren herkommen – immer nur ein Thema pro Abend!!)

„Aber es gibt den Unterschied, dass man sich gemeinsam ein Kind wünscht und dann auch eines bekommt – und dass man nicht damit rechnet, ein Kind zu bekommen, und dennoch eins bekommt. So eins bist du. Völlig unerwartet. Du bist eine Überraschung.“

(Kurze Stille)

„Eine besonders schöne Überraschung. Als ich erfahren habe, dass du da bist, habe ich erstmal überlegt, was ich dazu sagen soll – und dann habe ich mich einfach nur gefreut! Wo vier Kinder groß werden, ist auch Platz für Nummer Fünf. Das war eine gute Entscheidung, denn jetzt bist du ja da. Und das ist schön so. Ich würde das jedenfalls jederzeit wieder so machen.“

(Kind kuschelt sich fest an mich)

Und dann kann ich endlich seufzend aufstehen und Zähne putzen gehen. Für den Moment sind die ersten Fragen nach Sinn und Wunsch und Familie beantwortet. K5 hat nicht gefragt, warum wir Sex hatten, obwohl wir keine Beziehung hatten. Das kommt bestimmt auch noch. Wenn ich Glück habe, erst in der Pubertät, da hat er dann auch einen gewissen Zugang zu meiner Antwort 😉

Ansonsten weiß er schon, dass Mama und Papa ihn sehr lieben. Aber nicht miteinander leben wollen oder können und das war auch schon vor seiner Geburt klar. Aber ihn großziehen – das wollen wir ja schon!

(Ob ich ihm jemals erzählen werde, dass sein Vater das alles erstmal gar nicht wollte und der erste Vater-Sohn-Kontakt über ein Jahr nach der Geburt stattgefunden hat? Ich ahne, er wird es irgendwann selbst herausfinden. Oder hier lesen. Ihm ist schon aufgefallen, dass es keine Babyfotos gibt, auf denen auch der Papa drauf ist. Ich bespreche wohl mit Papa, wie wir das so wahrheitsgetreu wie möglich beantworten können. Weil, die echte Wahrheit – dafür ist der kleine Mann jetzt noch zu jung. Das versteht er vielleicht, wenn er älter ist – heute jedenfalls nicht – und heute hat er auch nicht danach gefragt.)

Jedenfalls – spannend. Manchmal kommen die Fragen völlig unverhofft. Ohne Vorankündigung. Gerade raus. Warum gibt es von allen meinen Geschwistern immer zwei? Und von mir nur mich?

Ach – Kuschelmonster! Ich würde glatt auch dich nochmal bekommen! Und eins on Top!

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