ziellos unentspannt

Ob es eine gute Idee war, einfach ziellos in die Stadt zu gehen, heute? Und war ich das, ziellos?

Nein.

Tatsächlich hatte ich ursprünglich ein Ziel, eine klare Vorstellung. Ich hatte sogar zwei Ziele. Ein Sandwich essen im KeK. Klamotten bestaunen im Blauen Hund. Ich war schon sehr zielgerichtet. Nur leider schlecht informiert – ich war am richtigen Ort, zur falschen Zeit.

Den ersten Niederschlag – das Sandwich im KeK – habe ich elegant gelöst, mit einem frischen Saft und einem leckeren Stück Kuchen an einem anderen Ort. Dienstag, geschlossen. Okay. Ich war nur kurz irritiert und steckte zu dem Zeitpunkt in einem Gespräch per WhatsApp mit einer Freundin. Es ging mir gut. Ich war Satt, auch im Kopf, siehe vorangegangenes Posting. Eventuell wäre hier sitzen bleiben eine gute Idee gewesen?

Ich war zufrieden, total im Hier, zuversichtlich, beschwingt, froh. Hatte Ideen und Pläne. Einen pinken Lampenschirm zu häkeln, zum Beispiel. Gemeinsam mit meiner Freundin.

Inspiration aus dem Schaufenster geklaut

Erst die zweite Planänderung brachte mich aus dem Tritt. Bei diesem Geschäft war ich sicher, dass sie geöffnet haben – aber – nun, immerhin morgen. Ab Mittwoch. Die Niederländer haben mitunter merkwürdige Öffnungszeiten, gerade in den Innenstädten. Dafür aber sehr schöne, kleine Lädchen, die mit viel Liebe geführt werden. Daher – nimmt man das natürlich so, wie es ist. Es bleibt auch nicht viel 🙂

Warum dieses Geschäft? Weil ich letztes Jahr so ein schönes Einkaufserlebnis hatte mit einer sehr feinfühligen Verkäuferin. Es war so eine schöne Stimmung. Können wir schöne Stimmungen wiederholen?

Ich habe vorhin direkt umgeplant. Okay, keine Farbenexplosion im Klamottenladen heute, also gehe ich morgen früh vorbei, nach dem Auschecken im Hotel. Ich habe morgen alle Zeit der Welt – noch erwartet mich niemand daheim. Ich nutze den letzten Tag natürlich komplett und fahre erst gegen 17 oder 18 Uhr nach Hause. Weil, das schaffe ich.

Zurück zu heute Nachmittag – wie ging es mir nach der zweiten Planänderung?

Immerhin, ich konnte drüber lachen und habe schnell einen Ersatzplan zur Hand gehabt. Dennoch – mein Hirn war auf einmal sehr frei und wusste nicht so recht, was es damit anfangen solle. Ich bin etwas ziellos durch Delft gelaufen. Habe ein weiteres Stück Kuchen gegessen, in einem Blauen Café (wenn schon der blaue Hund zu hatte!), inmitten alter Klostergemäuer. Schattig, im Garten. Da ging es mir noch ganz gut.

Ich saß links an der Wand, es war herrlich ruhig.

Danach – wurde es anstrengend mit mir selbst. Dieses mit mir selbst sein ist keine ganz einfache Übung. Wer einmal mehrere Tage allein mit sich in einer ungewohnten Umgebung war, wird das eventuell bestätigen können. Ich war so ein wenig wie Fisch ohne Fahrrad – ich wusste nicht, was jetzt? Abendessen mit SpareRibs? Oder noch ein Spaziergang am Wasser? Wie viel muss ich noch mitnehmen, oder war mein Tag schon voll genug? Bin ich zufrieden mit dem, was war? Warum bin ich eigentlich hier? Warum habe ich das Gefühl, nicht genug gemacht zu haben? Ich war doch vorhin so schön entspannt? Warum kippt das?

Wie geht es anderen Menschen? Wie leben die? Wie verbringen die ihre freie Zeit? Was interessiert sie? Springen sie wirklich zum Schwimmen in den Kanal? (Ja, das tun sie)

Sind sie glücklich? Woran erkenne ich das? Warum habe ich oft das Gefühl, nicht ganz da zu sein? Nebendran zu stehen?

Ein Bild habe ich vor Augen und nehme es mit nach Hause. Zwei Teenager auf dem Fahrrad, Freundinnen. Eine hinten auf dem Gepäckträger sitzend, schräg, sich an der Freundin festhaltend. Sie hören Musik, ich kann sie hören: Girls just wanna have fun –
Ich musste grinsen. Das Lied, heute noch so aktuell wie in meiner Jugendzeit. Und wie unbeschwert sie wirken, auf diesem Fahrrad. Lachend, die Sonne im Haar, leicht. Ich dachte, da fahren sie an mir vorbei, mit ihrer Leichtigkeit, und ich wünsche ihnen, dass es so bleiben möge. Dass sie voller Freude in den Tag hinein leben. Dass sie alle Möglichkeiten ihres Lebens leben.

So schön, zu leben! Viele junge Menschen liegen auf dem Streifen Wiese am Kanal in der Sonne. Im Bikini. In Badeshorts. Als sei es das Schwimmbad. Dabei ist es der Stadtkanal und ob das Wasser wirklich sauber ist? Nun – vermutlich ist das egal. Es ist erfrischend. Es ist auch erfrischend, ihnen beim Schwimmen zuzusehen. Ihnen beim Ballspielen zuzusehen. Ein wenig wie bei uns in der Orangerie auf der Wiese. Früher war ich auch auf der Wiese –

Ganz kurz ist da eine Sehnsucht, ein altes Gefühl, eine Veränderung. Ich räume die Wiese für die Jüngeren. Ich sitze jetzt auf der Bank daneben.

Später, beim Essen in einem Lokal, dessen Namen mir nicht in Erinnerung geblieben ist, schaffe ich es, zu lesen und ein wenig abzutauchen. Meine innere Unruhe, die mich hat laufen lassen, vom Kanal um die Innenstadt herum, legt sich langsam. Ich spüre einen ungeheuren Druck, noch dringend viel erleben zu müssen. Dabei reicht es völlig, zu lesen.

Mein Tellerrand voller köstlicher Frittes

Mit Blick über den Tellerrand sehe ich, dass ich die einzige Frau bin, die allein isst. Es gibt noch einen älteren Mann – interessant, meist sehe ich Männer allein. Heute habe ich neben diesem einen Mann kaum jemand gesehen — Kaum jemand allein. Ich, allein.

Das allein sein drückt nicht mehr so stark wie im letzten Jahr. Ganz allgemein geht es mir deutlich besser. Sogar nichts tun hat besser geklappt in diesem Jahr. Aber ein wenig Gefühl kommt doch um die Ecke und zeigt mir, wie sehr ich auf zwischenmenschliche Begegnungen angewiesen bin. Gestern hatte ich das Erlebnis mit Veda und ihren Eltern, das hat mir für den Tag viel Glück beschert. Ich war weniger allein, konnte den jungen Eltern einen kurzen Moment Ruhe schenken. Das hat mir gut getan. Interaktion tut mir gut.

Heute hatte ich kaum Interaktion. Ich habe auch keine herbeigeführt. Ich war deutlich in mich gekehrter. Auch hier, jetzt, am Abend im Hotel – unten im “Wohnzimmer” sind Menschen, ich kann sie hören. Ich könnte hinunter gehen und mich dazu setzen. Ein Gespräch führen. Aber ich tue es nicht. Ich bleibe für mich. Mir fehlt die Kraft dafür – ich bin zu müde.

Ich darf auch müde sein.

Ich nehme das Bild der beiden jungen Frauen auf dem Fahrrad mit ins Bett. Girls just wanna have fun.

Habt viel Spaß. Ihr Alle, die ihr im Kanal schwimmt und Fahrrad fahrt. Genießt eure Jugend, die Kraft, die euch innewohnt, und gestaltet euer Leben. In euren Farben. Ich werde langsam zur “älteren Dame”. Ich denke zwar noch oft, ich sei so jung wie ihr, aber ich begreife, dass ich das nicht mehr bin. Ich bin müder geworden, ich will nicht mehr mit jedem ins Gespräch kommen, ich beobachte anders. Mir scheint, ich lese anders. In Büchern und in Gesichtern. Ich sitze und beobachte Menschen.

Ich werde älter und weiser, wer weiß?

Bank in Zandvoort

Beim Abendessen sehe diese Mutter, deren beide Töchter auf einer Skulptur klettern. Und den Vater dazu. Die Mutter, die ungeduldig das Gesicht verzieht und ihre Gereiztheit zu verstecken sucht. Sie geht weiter, der Vater und die Kinder bleiben bei der Skulptur. Wie es ihr wohl geht? Sie wirkt als fahre sie schon den gesamten Tag einen Kompromiss. Stadt besichtigen mit zwei Grundschulkindern. Vielleicht hätte sie gern den Tag für sich gehabt – so wie ich ihn hatte – und ob sie ihn hätte füllen können? Oder ob es sie auch überfordert hätte?

Mich hat es heute sehr gefordert. Es war schön. Es war anstrengend. Ich war getrieben. Mir tut es nicht mehr gut, ohne klares Ziel zu sein. Das, was früher etwas elastisch wunderbares war, verwandelt sich in ein Problem. Ich möchte klar vor Augen haben, was ich tue. Selbst, wenn ich nichts tue, außer, durch eine Stadt zu laufen.

Ich brauche eine ausgewogene Mischung sinnvoller Möglichkeiten, um mich gut fühlen zu können. Zum Glück kann ich auch das fühlen.

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