Angeber

Angeber regen mich auf. Ich kann diesen sich selbst auf die Brust trommelnden Typ Mensch nicht ausstehen. Leider bedeutet das, dass ich mit den meisten Kindern im Alter von acht Jahren so meine Probleme habe.

Es sind diese kleinen, netten Gestalten, die immer erzählen müssen, wie arg toll sie sind. Was sie alles gewonnen haben. Dass sie Klassensprecher geworden sind. Dass der Papa ein tolles großes Auto fährt. Dass die Mama dünn ist. Ja, genau diese Dinge erzählen diese kleinen Rotznasen WIRKLICH! Bei Jungs ist es bevorzugt der Vater, der MEGA ist. Tolles Auto inclusive. Bei Mädchen ist es oft die Kleidung oder die Mutter oder Beides. Möglichst dünn.

Das triggert bei mir gleich alles auf einmal an. Das ist wie Grillbeschleuniger. Öl in die Flammen. Besonders schlimm finde ich es, wenn die Erfolge der Eltern herhalten, damit diese aufgeblasenen Wichte sich toll fühlen können. Die sitzen dann schonmal mit im Auto und stellen in herablassenden Ton fest, dass ihr Auto (das Auto ihrer Eltern) schneller ist. Oder größer. Oder aufgeräumter. Ja, darüber kann ich schon auch lachen, meist allerdings nicht gelassen. Ich gebe zu, meine eigene Fehlbarkeit stößt mir dabei auf. Dabei können die armen Wichte ja gar nichts für ihr Verhalten. Sie haben es sich wahrscheinlich daheim abgeschaut. Ein Geltungsbedürfnis dieser Art ist oft ein Spiegel des Geltungsbedürfnisses der Ursprungsfamilie.

Wobei, es ist sicherlich auch Typsache. Nicht alle achtjährigen sind so, auch wenn die Eltern DIESER achtjährigen gerne sagen: so sind ja alle Kinder in diesem Alter. Ach. Echt? Ich behaupte – Nein. Ich glaube, es gibt ein paar Kinder dieser Spezies. Die sind dabei halt besonders laut!

Und, sehr erstaunlich – sie sind oft dennoch oder gerade deswegen sehr beliebt. Sie werden zum Klassensprecher gewählt, kommen in der Schulmannschaft immer in die Aufstellung und laufen meist vorne weg. Bewundernswert, die Führungskräfte der nächsten Generation … Wenn man davon ausgeht, dass es so bleibt, wie es immer war. Die Lauten, die Narzissten, die kommen besonders weit. Denen fehlt einfach das Gefühl für Anstand, für Rücksichtnahme und für – Stil.

Davon ist auch mein Achtjähriger nicht gefeit. Er schaltet in letzter Zeit immer wieder in den Angebermodus. Am Wochenende waren wir Bowling spielen, alle meine fünf Kinder und ich. Einfach so, weil es Spaß macht. Und ja, natürlich ist es auch schön, wenn man gewinnt. Gewinnen ist wichtig, Ehrgeiz zu entwickeln, ist auch wichtig. Mal verlieren ist superwichtig. Dennoch weiter dran zu bleiben und zu üben ist grundlegend wichtig …
Dennoch geht es ebenso ums gemeinsam spielen … Also, darum, etwas gemeinsam zu machen. Gerade in der Familie ist es doch auch egal, wer gewinnt und wer verliert. Das jedenfalls ist meine Wunschvorstellung.

Ich bin eventuell etwas altmodisch oder romantisch veranlagt.

Jedenfalls, für K5 hatten wir die Bande hoch gestellt beim Bowling, damit er überhaupt eine Chance hatte, auch mal ein paar Kegel umzuwerfen. Natürlich hat er entsprechend eine ganz gute Punktzahl geholt. Egal wie langsam oder schief er seine Kugel geworfen hat, sie kam immer irgendwie an.
Wir anderen hatten hingegen den ein oder anderen Fehlwurf und am Ende auch einige Punkte weniger als er. Was für uns – alle etwas älter – völlig in Ordnung war. Wir müssen uns nicht mehr in dieser Form miteinander vergleichen.

Vorhin telefonierte also mein Sohn mit seinem Vater und berichtete vom Bowling. Sein Vater war hellauf begeistert und er hat gefragt – wer denn wie viele Punkte gemacht hat. (Warum fragt man sowas? Ist das nicht total egal?) Nach dieser Frage hat K5 in den Angebermodus gewechselt und berichtet. Wie toll er war, und dass die anderen viel schlechter gespielt haben wie er …

Ich frage mich dann schon, muss er seinem Vater etwas beweisen? Hat er das Gefühl, sich besser machen zu müssen? Und wenn ja, warum? Sein Vater findet jeden Pups, den er macht, gewaltig toll. Der klatscht Beifall, wenn sein Sohn atmet. Für ihn ist er das gewaltigste Wunder, dass es überhaupt gibt auf der Welt. Ja, das ist natürlich schön! Allerdings nervt das auch gewaltet – weil es so übertrieben ist!

Ich befürchte, K5 schneidet auf, weil er das Gefühl hat, den Erwartungen des Vaters sonst nicht entsprechen zu können. Das finde ich enorm spannend, bei so viel Beifall wäre es ja eigentlich zu erwarten, dass K5 das nicht nötig hat. Sondern sich sicher und geliebt fühlt. Eventuell bewirkt aber ein „zum Wunderkind erhoben werden“ das Gegenteil von Sicherheit? Eventuell ist das für den Selbstwert genauso beschissen, wie, gar nicht beachtet zu werden?

Tja, jedenfalls. Wir haben lange gesprochen vorhin, der Achtjährige und ich. Übers Vergleichen und übers Angeben. Darüber, dass man Stolz auf die eigene Leistung sein darf und sollte. Aber auch, dass man Äpfel und Birnen nicht miteinander vergleichen sollte. Weil, ist Unsinn. Sich in Vergleich setzen mit Anderen, was bringt einem das?

Mich macht das nachdenklich. Wo kommt dieses Angeben her? Sind es nur die gleichaltrigen Freunde? Warum macht er das in dieser Form gegenüber seinem Vater? Wie unsicher fühlt sich K5? Wie kann ich ihm dabei helfen, sich selbst zu fühlen, sich selbst gut zu fühlen? Wie kann ich ihm ein gelassenes Beispiel sein? Ich ahne, am Besten, indem ich in Zukunft über all die kleinen und großen Angeber lache. Sind ja auch nicht ernstzunehmen, in ihrer Unsicherheit.

Es ist zwar sicherlich nicht nett, über unsichere Menschen auch noch zu lachen, eventuell ist diese Form der Beachtung aber sinnvoller, als wütend zu werden. Weil, über welche Achtjährige ich mich aufrege, das entscheide ich ja immer noch ganz allein! Mit dem Vater habe ich schon mehrfach gesprochen, auch über den Dauerapplaus und sein ständiges „Anfeuern“. Er nickt dann, dreht sich um und macht weiter. Er versteht es nicht wirklich – für ihn ist es ein „ich meine es doch nur gut“. Er fragt auch immer nach den Noten, die geschrieben wurden, und, was die anderen Kinder für Noten haben …
Damit ist er ganz weit entfernt von dem, was ich so frage. Ich frage eher nach dem Spaß, nicht nach dem Ergebnis.

Ich sehe schon, ich sehe ziemlich klar beim Angeben. Ich darf mir für die kleinen und großen Angeber eine neue Strategie zulegen. Etwas, dass sie enttarnt. Diese unangenehmen Menschen … aus diesen unangenehmen Kindern werden ja meist unangenehme Erwachsene. Das konnte ich jedenfalls bei meinen älteren Kindern schon beobachten …

Ich habe in all den vergangenen Jahren so viele Kinder hier durch die Wohnung laufen sehen. Die riesigen Arschlöcher, die ihr Ego an meinen Kindern gestärkt haben, fanden später nicht mehr statt. Zum Glück. Irgendwann wurde meinen Kindern dieses affige Verhalten zuviel. Zumal sie von mir immer gespiegelt bekamen, dass das kein nettes Verhalten ist unter Freunden. Dass man sich gemeinsam freut, über den Sieg und auch über die Niederlage. Dass man gönnen kann – auf beiden Seiten! Und dass es völlig egal ist, welches Auto der Vater von X fährt. Weil, macht das X zu einem besseren Menschen?

Just think about it. All diese Prahlerei von achtjährigen jungen Menschen … gehört das wirklich dazu, zur Entwicklung? Ich jedenfalls halte es für einen unangenehmen Wesenszug. In meiner Wahrnehmung sind Angeber ganz kleine Lichter. Die möchte ich gar nicht anschalten. Ich finde Angeber superunangenehm. Ähnlich wie Menschen, die nur auf den eigenen Vorteil fokussiert sind. Spannenderweise tragen die mitunter beide Wesensformen gemeinsam zur Schau …

Ja, und warum ist das so? Was regt mich so sehr auf an diesen Menschen? Liegt es daran, dass meine Werte ganz andere sind? Oder daran, dass es Unsicherheiten bei mir selbst aufdeckt? Weil ich auch gerne ein großes Auto haben will? Oder schlank sein möchte? Wobei ich auch Freunde habe, die große Autos fahren und schlank sind und ich fühle mich dennoch wohl, weil sie halt – keine lauten Angeber sind.

Und was ist, wenn es meine Kinder betrifft? Darf ich denen mitteilen, was ich von ihren Freunden halte? Oder, die auch direkt wieder ausladen, wenn sie uns besuchen kommen?

Ich denke, über einen gewissen „Umweg“ ist das durchaus mein Job. Vor allem, wenn ich mitbekomme, dass es meinem Kind nicht gut geht im Umgang mit X oder Y. Ich höre vor allem viel zu, wenn er erzählt, was wieder in der Schule los war oder wer was beim Fußballspielen gemacht oder erzählt hat. Ich höre zu und frage nach – wie gefällt dir das Verhalten von X? Wie hast du dich gefühlt?

Beim Thema Angeberei gebe ich meinen Kindern auch sehr klares Feedback. Wenn mein K5 die Angeberkarte spielt, spiele ich zurück. Ich halte es für sinnvoll, dass mein Sohn weiß, wie ich dazu stehe und was ich davon halte. Ich möchte keinen kleinen Angeber großziehen. Sondern einen mitfühlenden, rücksichtsvollen und selbstbewussten jungen Mann. Angeber gibt es schon genug da draußen. Das können wir doch besser!

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