Gestern habe ich einen körperlichen Trigger gesetzt bekommen. Im Mund, während meiner manuellen Therapie. Siehe Posting von gestern zum Thema Bruxismus.
Gestern konnte ich bei mir selbst beobachten, was so ein Triggerpunkt im Mund bei mir auslöst. Von total gut gelaunt, entspannt und motiviert hin zu gereizt, übellaunig, im Meckermodus und total gestresst. Binnen weniger als 30 Minuten. Wegen eines Fingers im Mund.
Ich habe in den vergangenen Monaten verstanden, dass ein Großteil meiner körperlichen Beschwerden im Kiefer liegen. Beißen und pressen. Hohe Anspannung. Strahlt in den gesamten Körper aus. Vom Hals abwärts über den Beckenschiefstand bis in die Knie und Füße. Löst Müdigkeit aus. Hält das Stresslevel hoch. Ich spüre die körperlichen Symptome auf der psychischen Ebene…
Seit Sommer 2023 bin ich nun in Physiotherapie und das hätte mir besser schon vor 20 Jahren passieren sollen. Aber gut, mitunter braucht es halt einfach länger, bis Probleme sich so sehr verdeutlichen, dass auch ich sie wahrnehmen will. Muss. Kann. Und so gehe ich aktuell 1-2 in der Woche zur manuellen Therapie und lasse mich antriggern. Mein Therapeut hat verschiedene Punkte am Kiefer und Nacken, mit denen er arbeitet. Gestern haben wir uns vorgewagt in meinen Mund, um zu schauen, ob es bereits möglich ist, auf dieser Ebene zu arbeiten. Die Punkte im Mund sind wohl noch weit empfindlicher –
Ich habe mir das nicht vorstellen können – wie auch – aber während der Behandlung wusste ich dann, was er meinte. Als er sagte, es könne auch unangenehm werden. Haha.
Und dann war da dieser eine Punkt, der nicht nur weh getan hat, sondern der mich direkt zum Weinen gebracht hat. Nicht wegen der Schmerzen und auch nicht, weil ich traurig war. Mein Therapeut hat einen emotional besetzten Punkt gefunden und damit eine Reaktion im Körper ausgelöst. Die null von mir selbst gesteuert wurde.
Triggergefühle
Vorgewarnt war ich. Die veränderte Behandlung könne Kopfschmerzen und Müdigkeit bei mir auslösen, ich möge gut schauen, wie es mir im Laufe des Tages gehe. Müde war ich definitiv, Kopfschmerzen hatte ich zum Glück keine. Dafür ziemlich Druck, es hat sich gegen Ende des Tages angefühlt, als bekäme ich einen Muskelkater im Kiefer.
Die weit auffälligere Befindlichkeit, die ich nach der Behandlung bei mir beobachten konnte, war Stress.
Stressige Situation
Ich bin entspannt und gut gelaunt zur Physio gefahren, die letzten Tagen waren leicht und nahezu beschwingt (ich bin immer noch erstaunt, wie gut der Februar in diesem Jahr für mich läuft). Ich war keine Spur gestresst oder übellaunig, auch nicht traurig. Mir ging es hervorragend. Wäre ich schon unter Stress gewesen, hätte ich eventuell auch gar nicht so deutlich mitbekommen, was los ist.
- Nach der Therapie bin ich mit dem Auto heim gefahren und merkte schon so einen leichten Anflug von Unruhe
- Irgendwie schob sich in mein Bewusstsein, dass beide Kinder noch essen wollen und eines der Kinder auch direkt weiter muss, zur Kunstwerkstatt
- Ich bastelte auf die Schnelle eine neue Idee fürs Mittagessen (eigentlich gab es schon einen Plan – an dem hätte ich auch einfach festhalten können) und teilte diese den Kindern mit
- K5 wartete schon daheim, er war allein aus der Schule heimgegangen und durfte sich selbst die Tür aufschließen – das war sein Wunsch, das heute mal zu üben. Er wusste, wann ich heimkomme
- Ich allerdings war 10 Minuten später als gedacht, weil ich noch neue Termine gemacht habe für kommende Therapiesitzungen
- Somit begrüßte er mich mit “du bist zu spät” –
- Die Unruhe, die davor schon zu spüren war, kam jetzt mit voller Macht – ich entschuldigte mich natürlich, dass ich zu spät bin – und ärgerte mich, dass ich zu spät bin – und dieses Gefühl wuchs weiter
- Mit beiden Jungs bin ich dann losgefahren, Essen to go holen, damit es schneller geht –
- Während der Fahrt konnte ich bei mir selbst beobachten, wie ich immer angespannter wurde. Jede Frage, jeder Satz von der Rücksitzbank machte mich nervös bis hin zu ungehalten. Ich kam in einen Modus, den ich selbst “die Endlosschleife” nenne.
- In Endlosschleifen kann ich auf Fehlverhalten herumkacken oder in den Entschuldigungsmodus gehen
- Auslöser für diese Schleifen können aus Zeitdruck entstehen (zu spät sein) oder aus dem Gefühl, nicht gut genug zu sein (wenn ich nicht pünktlich bin, kommt dieses Gefühl gerne dazu).
Endlosschleifen im Stress
Ich, in einer Endlosschleife, das kann bedeuten, dass ich
- mich wiederholend dafür entschuldige, dass ich zu spät, zu dumm, zu gestresst bin
- Schuldige suche, warum ich gestresst oder zu spät bin, um auf denen herumzuhacken
Rote Ampeln, langsame Mitarbeiter, trödelnde Kinder, irgendwas findet sich an der Stelle bestimmt, auf dem ich mich ausleben kann.
Ich hacke dann in Folge entweder auf mir selbst herum oder auf Anderen. Schlimm ist es, wenn es die Kinder trifft. Die trifft es allerdings irgendwie auch, wenn ich mit mir selbst endlos ins Gericht gehe.
Gern genommen ist im Stressmodus also eine Opferrolle, in der ich mich suhle. Ich kann dann sehr ungerecht sein, mit mir selbst, mit den Kindern, mit den roten Ampeln.
Ich hatte das früher regelmäßig. Eigentlich täglich. Manchmal mehrmals täglich. Meist habe ich mich dabei abgewertet (ich bin doch hier eh nur die Putzfrau). Es endete oft in Tränen, Wutgeschrei, Erschöpfung. Die Depression hat oft ihre hässlichste Fratze gezeigt. Das war einer ihrer liebsten Wege. Schreien, verzweifeln, zusammenbrechen.
Soweit kam es gestern nicht. Soweit kam es schon lange nicht mehr. Was aber gestern passiert ist, hatte ich regelmäßig, und ich konnte es oft nur schlecht bis gar nicht abfangen. Wenn ich in die Spirale aus Stress und Genörgel eingestiegen war, war das meist kaum zu durchbrechen. Ich habe dann weitergemacht. Wie ein Hamster im Laufrad. Immer weiter. Die Erinnerung daran, dass das NORMAL war bei mir, die tut mehr weh als der Finger auf dem Triggerpunkt.
Stressentspannung
Während der Fahrt zur schnellen Lösung der Essensbeschaffung habe ich gestern deutlich bemerkt, was los ist und das da eine Endlosschleife auf mich zukommt. Tatsächlich konnte ich mir quasi selbst zusehen, wie ich absurd überreagiere auf eine Situation, die gar nicht da war 😅
Erstaunlich, was da mitunter unbewusst an Programmen läuft im Körper…
Was mir gestern gelungen ist, ist, darauf bewusst zu reagieren und mir nicht die volle Ladung Opferrolle zu gönnen…
- Ich habe erstmal still durchgeatmet (beim Auto fahren) und bewusst weggehört (weg vom Geplapper der Kinder)
- Ich konnte dabei feststellen, dass meine Atmung bereits gepresst und kurz war. Hektisch. Kurze Atemzüge. Als würde ich unter Hochdruck arbeiten.
- Mehrfach tief ein- und wieder auszuatmen hat hier schnell geholfen!
- Parallel habe ich gegen den Druck angedacht –
- Ich habe mich bewusst gefragt, ob ich das, was gerade stattfindet, gerade wirklich will. Ob ich wirklich so schlechte Laune bei mir und bei den Kindern haben will. Ob ich nicht leichter damit umgehen kann.
- Ich habe dann beschlossen, alles ganz langsam zu machen. Langsam aus dem Auto aussteigen, langsam laufen, ganz bewusst. Langsam Atmen. Langsam.
- Denken. Wo kommt der Stress gerade her? Was ist los?
- Langsam denkend wurde mir bewusst, dass ich wohl auf den Trigger reagiere,
- Woraufhin ich das den Kindern erzählte –
- Reden, also, darüber, warum ich so gestresst bin. Verständnis schaffen über die Situation
- Die Kinder haben zumindest verstehen können, dass es nichts mit ihnen zu tun hat –
- Ich konnte sie darum bitten, Rücksicht auf mich zu nehmen (sie waren sehr schnell Spiegel meiner eigenen Laune) und
- Wir haben uns dann erstmal fest in den Arm genommen!
Die erste ruhig durchatmete Umarmung war gegen 13:30 Uhr. Meinen Stress hatte ich gefühlt gegen 17:00 Uhr wieder abgebaut. In der Zwischenzeit ging das Stresslevel allerdings stetig nach unten, gefühlt. Ich wurde ruhiger, wir konnten wieder Witze machen. Gegen 15:00 Uhr war ich dann so müde, dass ich mir mit einer Wärmflasche einen Leberwickel gemacht habe und mich zum Ausruhen ins Bett gelegt habe. Ich hätte eigentlich arbeiten müssen … Das ging nicht. Ich war viel zu erschöpft und total verquer im Kopf. Gearbeitet habe ich dann abends noch … da ging es mir wieder gut und ich konnte relativ schnell und konzentriert eine offene Aufgabe fertigstellen …
Normalerweise hätte ich mich nicht ins Bett gelegt. Es hat lange gedauert, bis ich gelernt habe, darauf zu achten. Wenn ich emotional müde bin, hilft es nicht, wenn ich weiter arbeite. Es wird nur schlimmer. Leistungsfähig bin ich dann auch null. Eine kleine Pause, tiefe Atmung, ein Gang langsamer, das ist meist sinnvoller in diesen Momenten. Es ist nur schwer, dass dann auch zu tun. Meist gehe ich über diese Befindlichkeiten weg, mitunter geht es auch tatsächlich gar nicht. Weil ich unterwegs bin, zum Beispiel. Gestern ging das – zum Glück – und am Ende des Tages war ich auch bis auf den “Muskelkater” im Kiefer wieder ausgeglichen.
Für die Zukunft
Ich werde meinem Therapeuten natürlich von meinen gestrigen Erlebnissen berichten, und ich gehe davon aus, dass wir den nächsten Versuch mit Finger im Mund erst in 3 oder 4 Wochen machen werden. Und, wenn es soweit ist, werde ich vorbereitet sein. In der Form, dass ich zum Beispiel erst Pause machen kann und dann die Kinder um mich sind. Damit ich mich nicht auch noch mit deren Gefühlswelt und deren Fragen und Aussagen auseinander setzen muss.
In der Zwischenzeit will ich mich weiter selbst beobachten, um besser zu lernen, was mich denn antriggert (außer, Finger im Mund). Also, wann ich in eine meiner Endlosschleifen eintrete und was vorher passiert. Warum tue ich, was ich tue? Warum reagiere ich? Wenn ich die Auslöser identifieren kann, kann ich auch lernen, besser mit ihnen umzugehen. Das wird spannend!
Mir ist außerdem einmal mehr bewusst, dass es mir gut tun würde, ich hätte zusätzlich eine Begleitung auf emotionaler, psychischer Ebene. Einen Therapeuten, Trauma oder Schematherapie wäre mein Wunsch. Ich weiß, dass diese Sorte Wünsche nur in Erfüllung geht, wenn ich mich darum kümmere. Es wird kein Therapeut an meiner Tür klingeln und sagen, hey! Ich habe da noch freie Kapazitäten, Lust auf Therapie?
Ja. Nein. Haha. Ich habs notiert.
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