dankbar

Dankbarkeit. Das Konzept, dass mich noch am ehesten wütend macht. Ich komme mit Dankbarkeit nicht so gut klar … Hat, wie fast alles, was mir dieser Tage anmutet, mit meiner Kindheit zu tun.

Ich habe ja durchaus meine Probleme geäußert, als Kind und auch als Jugendliche. Die Reaktionen darauf, egal, aus welcher Ecke sie kamen, waren meist ähnlich. Ich könne doch dankbar sein, dass es mir so gut geht! Freunde, die passenden Jeans und mehr Sportlichkeit ist ja nichts, was man wirklich braucht. Das Wichtigste habe ich ja – eine Familie – und man muss auch einfach mal dankbar sein für das, was man hat!

Sei dankbar!

Sei nicht so undankbar!

Immer dieses Gemecker, dass dies oder das nicht gut genug ist …

Meine Eltern müssen ziemlich gestresst gewesen sein, von mir so, als Kind. Ich mag das bei meinen Kindern auch nicht, wenn sie nörgeln und vergleichen und oft erwische ich mich bei einem “sei doch einfach dankbar für das, was du hast! ist doch egal, was die anderen haben – du bist doch nicht die anderen!”

Tja. Damit sage ich genau das, was ich als Kind gehört und gehasst habe. Ich saß oft da und habe überlegt, wie es wohl sei, wenn ich das Kind der Nachbarn sei. Ob es mir dann besser gehe. Damit war ich wirklich sehr lange beschäftigt. Ich habe immer sehnsüchtig rüber geschaut, zu diesen Nachbarn, die so oft fröhlich im Garten herumgelaufen sind und die regelmäßig Freunde da hatten. Vermutlich haben sie gegrillt. Falls man damals schon mit so viel Begeisterung gegrillt hat, wie man das heute tut. Jedenfalls – ich stand am Küchenfenster und war voller Sehnsucht nach einer normalen Familie. Und durfte mir anhören, wie vulgär und laut unsere Nachbarn sind und wie dankbar ich doch sein darf, dass wir so viel besser und gesitteter waren.

Als wäre es erstrebenswert, gesittet zu sein 😉

Besser, also, besser ist natürlich erstrebenswert. Wer will nicht besser sein als die anderen? Wollen wir nicht alle immer besser werden oder besser, sein?

Jedenfalls. Dankbarkeit. Oder, in einer anderen Familie aufwachsen. Andere Möglichkeiten haben. Anders gelenkt sein im Leben. Was wäre, wenn? Wäre ich am Ende vielleicht wirklich dankbar, für das, was ich habe?

Dankbarkeit macht mich also gereizt. Ich habe das in so vielfältiger Weise gehört, dass ich in innere Unruhe verfalle, wenn mir Menschen was von Dankbarkeitsbüchern erzählen, in denen sie aufschreiben, für was sie dankbar sind. Lebensverändernde Dankbarkeit.

Ich bin mir sicher, dass das für viele Menschen total super funktioniert! Für mich wäre es eventuell eher ein Glückstagebuch oder ein Stolztagebuch. Also, eine Umbenennung. Wenn wir es nicht Dankbarkeit nennen, fällt es mir leichter. Dabei habe ich inzwischen erkannt, was mein wirkliches Problem damit ist.

Ich kann es oft nicht fühlen.

Meine Dankbarkeit ist unter all dem Leid, dem Traurig sein, dem Überfordert sein versteckt. Ich verbinde einen Scheiß aus meiner Kindheit damit, ähnlich den Sprüchen wie “dass ich dich jetzt schlagen muss, tut mir mehr weh als dir”. Nicht dankbar zu sein für die Schläge, die ich nur zu meinem Besten erhalten habe, hat mich geprägt. Prügel prägen. Dankbarkeit für eine liebevolle Familie auch. Vielleicht ist es daher umso wichtiger, dass ich mich mit der fehlenden Dankbarkeit ab und an beschäftigte.

Dankbar sein für das, was ich habe. Fällt mir auch heute noch, je nach Situation und je nach Tiefe, schwer. Es gibt Tage, da fühle ich wenig Dankbarkeit … Und dann gibt es Tage wie heute, da schwebt sie vorbei und ich kann sie fühlen! Natürlich kann ich auch ohne Gefühl aufzählen, für was ich dankbar bin – morgens ohne Schmerzen aufstehen, jeden Tag Heidelbeeren und Mandelmuß essen können, schöne Bettwäsche, ein Zuhause …

Aufzählen kann ich eine Menge! Ich kann Seitenweise Dankbarkeitstagebücher füllen. Ich habe das sogar getan, um Therapeuten zufrieden zu stellen. Nur – gefühlt habe ich nichts davon. Keine Spur von Dankbarkeit. Nur das Gefühl, schon wieder nicht dazu zu gehören. Wieder nicht mitmachen zu können. Weil ich Dankbarkeit einfach nicht verstehe.

Und dann, wie gesagt, kommen Tage wie heute, und ich kann es fühlen. Einfach so. Wie ein flüchtiger Duft. Wie ein Geschmack. Wie ein Bild. Wie Wolken, die vorüberziehen. Diese Dankbarkeit, dass K5 heute bei seinem zweiten Spiel als Torwart die Nerven behalten hat und mental deutlich stärker war als beim ersten Spiel. Die Dankbarkeit, dass K4 fünf Tage nach seiner Weisheitszahn-OP endlich wieder halbwegs normal gegessen hat. Die Dankbarkeit, dass es ihm besser geht und ich ihn versorgen kann, mit gesunder Nahrung.

Diese beiden Gefühle waren heute sehr groß und sehr präsent. Dafür bin ich dankbar! Letzte Woche hatte ich das Gefühl auch sehr intensiv, als ich in der Sauna war und mich dort mit einer Bekannten unterhalten habe. Und danach noch mit zwei weiteren Bekannten. Sie alle eint, dass sie gesundheitliche Probleme haben. Und ich – ich bin gesund, wache tatsächlich morgens ohne Schmerzen auf und gehe ohne Schmerzen ins Bett! Mir das bewusst zu machen, im Gespräch, war sehr nah an “sei dankbar für das, was du hast”. Das verweigere ich normalerweise. Hier aber war ich wahrlich dankbar. Mir selbst. Weil ich stetig etwas dafür tue, dass ich gesund bleibe. Dafür bin ich wirklich dankbar – dass ich an mir arbeite und meine Themen nicht ausblende. Wenn das so weiter geht, werde ich vielleicht noch meinen Frieden machen, mit der Dankbarkeit, und lernen, meinen Kindern nicht meine Sätze der Kindheit um die Ohren zu hauen. Das wäre schön.

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