begreifen, das

Es war einmal eine junges Mädchen, enttäuscht schwärmend für einen jungen Mann.  Spazieren gehend in einem Waldstück, an einem kleinen Bach. Es war Sommer, der Bach führte wenig Wasser. Die junge Frau überlegte in ihrem abgewiesenen Kummer dennoch, wie es wohl wäre, in diesem Bach zu ertrinken. Wie schön das wäre, wenn dann Alle, inklusive dieses bestimmten jungen Mannes, sehr traurig seien. Er fände mich im Wasser, verzweifelt versuchend, mich ins Leben zurückzuholen. Noch im Tode lächelte ich, genießend, ihm und allen ein Schnippchen geschlagen zu haben. Weil wäre ich erst tot, so dachte ich, würde es Allen wie Schuppen von den Augen fallen. Was sie an mir verpasst haben. Welch Verlust! Welch Tränenreicher Abschied!

Welch Welt- und Herzschmerz! Ich konnte schon mit 14 Jahren sehr romantisch sterben … gedanklich, natürlich. Ich bin nicht bis ans Ufer des Baches weitergegangen. Ich war nur in Gedanken ertrinkend in meinem Leid.

Über viele Jahre dachte ich, das seien normale Tagträumereien, die andere Mädchen, junge Frauen, ebenso vor sich hin spinnen. Ich war der Meinung, das sei ein normales Denken. Heute, zwei Therapien später, ist mir bewusst, dass es nicht normal ist. Dass Liebeskummer nicht direkt in den Bach führt, auch nicht gedanklich.

Dieses “und dann werden sie schon sehen, was sie davon haben, wenn ich weg bin. dann werden sie weinen und mich vermissen … ” ist mir geblieben. Schwer erkrankt im Jahr 2018, 2019 waren das Gedanken, die ich durchaus ausgesprochen habe. Und auch gefühlt habe. Das Gefühl dahinter war ein verzweifelter Triumph. Ein nicht mehr Leben können. Ein nur gedanklich sterben können. Eine Strafe für all die, die versäumt haben, mich zu lieben. Dabei gibt es nur eine Einzige, die versäumt hat, mich zu lieben. Und das bin ich selbst.

Neben den lebensmüden Phantasien von weinenden Menschen auf meiner Beerdigung hatte ich schon immer das Gefühl, dass ich nicht so ganz ins Raster normal denkender Menschen passe. Und ich hatte schon immer eine sehr klare Meinung zu Menschen mit depressiven Erkrankungen. Nicht wissend, was es wirklich bedeutet, habe ich die Meinung meiner mir vertrauten Umwelt angenommen:

Wer Depressionen hat, der ist zu schwach für die Gesellschaft!

Das ist ein Bild, das noch heute einige Menschen beim Thema Depression vor Augen haben. Depression. Angststörung. Persönlichkeitsstörung. Was für Weicheier! Die haben sich und ihr Leben ja gar nicht im Griff …

Die sollen sich mal nicht so anstellen, mit ihrem Gejammer. Wer will, der kann. Wer nicht will, da wissen wir ja, warum das so ist. Einfach faul. Zu nichts Nutze. Und dann noch jammern, wie schwer das Leben ist. Da könnte ich …

Da könnte ich mich heute sehr für schämen, tue es aber nicht. Ich habe meinem jungen Ich in all seiner Unwissenheit verziehen. Ich war nicht wissend – und das hat sich geändert. Heute weiß ich, und habe zudem erfahren, wie es ist. Dieses “zu schwach sein für die Gesellschaft”.

Des Lebens müde habe ich erst 2017 begriffen, dass es nicht mehr weiter geht. Dass ich eine Pause brauche, dass ich sehr erschöpft bin. Der Weg hin zur Akzeptanz, dass ich krank bin – dieser Weg war tränenreich und weit.

Ich erinnere den Tag, an dem ich mich habe krank schreiben lassen, um ein wenig auszuruhen. Die Diagnose “mittelgradige Depression” hatte ich da schon seit zwei Monaten. An diesem Tag im Dezember, es war der 04.12.2017, war ich beim Hausarzt und wollte mich für zwei Wochen krank schreiben lassen. Ich hatte einige schwere Tage mit Heulkrämpfen und Wutanfällen hinter mich. Mit schlechtem Gewissen ob diesem “ohne Grund krank sein” saß ich beim Arzt. Er war froh darum, er wollte mich schon lange vorher aus dem Arbeitsalltag nehmen.

Krank blieb ich nicht für 14 Tage, sondern ganze 1,5 Jahre offiziell. Wirklich gesund? Ich weiß nicht, ob ich jemals wirklich gesund werde. Einige Gedankenkonstrukte sind sehr alt und sehr mächtig … 

Darüber möchte ich sprechen. Über den Weg hinein in die Depression, von dem Kampf, diese Diagnose wirklich für mich anzunehmen. Und über den langen, beschwerlichen Weg hinaus aus dem Abwärtsspiel der Gedanken.

Warum ich darüber sprechen möchte? Vielleicht kann ich Menschen Mut machen. Mut für den Weg. Es kommen wieder Tage, an denen man die Sonne auf der Haut spüren kann und die Welt in Farben getaucht ist. Es lohnt unbedingt, Geduld zu haben!