Ich weiß, was ich zwischen den Jahren getan habe …

Neben dem Uffräumen … habe ich gelesen! Auf dem Spielplatz, mit frierenden Fingern. Die Kapuze hochgezogen, den „Ohne-Daunen“-Mantel an den Seiten geschlossen. Gegen Durchzug geschlossen.
Auf dem Sofa, mit warmen Fingern. Die Decke hochgezogen und an den Seiten geschlossen. Gegen Durchzug geschlossen.

K5 hat derweil im Bach gespielt. Also, Bach. Was man so Bach nennt. Es ist eine sich fortbewegende Pfütze 😉
Und daheim, da haben wir keinen Bach, da war er in seinem Zimmer. Oder, hat geschlafen. In seinem Zimmer.

Ich und das Buch, wir haben ein paar wunderbare Tage miteinander verbracht. Hinein- und weggesaugt, in ein Buch. Das hatte ich dieses Jahr öfter (und mehrfach mit diesem wunderbaren Autor). So intensiv wie in den letzten beiden Tagen habe ich das aber selten gelebt. Ich werde mich wohl noch in Jahren daran erinnern, wie schön das zwischen den Jahren 2023 war. Zumal der Inhalt des Buches mich nachhaltig verzaubert hat. Aber das hat „Oma lässt grüßen und sagt, es tut ihr leid“ auch schon getan …

Ich wurde von Menschen, die zufällig auf dem Spielplatz an meiner Bank vorbeiliefen, nahezu begeistert angelächelt. Klar, ich hatte ja auch kein Smartphone in den Händen, sondern ein echtes, gebundenes Buch. Meinen Sohn hat das aber gar nicht interessiert, dass da ein Unterschied besteht. Er fand es so oder so doof. Mama war so weg. Total weg. Lesend. „Warte, noch ein Kapitel.“ „Mama, wann ist das Kapitel vorbei?“…

Im Grunde ist „abgelenkte Mutter“ immer doof, egal, was sie vom Zentrum des Universums – also, ihm – ablenkt.

Ich habe es so sehr genossen! Ganz einzutauchen, in eine Geschichte. Gestern wollte ich eigentlich tanzen gehen, es gab die „wie früher“ Party in der Goldenen Krone. Extra für uns, die wir damals in der Krone wohnten. Quasi. Der Ort, an dem ich fast jeden Abend verbracht habe, als ich frische 20 Jahre alt war. Die Krone, ich nenne es mal „DiscoBar“. Da war ich beinahe täglich. Mein tanzendes Zuhause, damals.

Und ich wäre auch gegangen, gestern, wenn eine meiner damals Freundinnen mitgegangen wäre. Aber die hatten auch schon andere Dinge vor. Und so bin ich halt sitzen geblieben, auf meinem Sofa. Mit der Decke um mich. Und habe meine Lesezeit innig genossen. Bis kurz nach Mitternacht. Gegen Ende konnte ich kein Ende finden. Das Buch musste fertig gelesen werden. Meine Teenager-Söhne waren zwischendurch nochmal draußen, kamen wieder, wunderten sich. Ob ich noch immer lese? Ja! Und es ist wunderbar! Es hinterlässt keine große Leere in mir, wie es der Fall ist, wenn ich durch den Feed bei Linkedin scrolle. Im Gegenteil, es hinterlässt üppige Farben und viel Freude.

Was ich besonders feiere, an diesem Buch und an bisher allen Büchern dieses Autors, ist, dass er mich überrascht. Er zeichnet ein stereotypes Bild von Menschen, die so sind, wie wir sie gerne mal in Schubladen stecken. Und dann verändert er den Blickwinkel, und wir schauen als Leser hinter die Kulisse und sehen – ach – verdammt – das ist anders als erwartet! Und er Perspektivenwechsel tut so gut! Übertragen aufs echte Leben ist er sogar notwendig. Niemand ist genau die Schublade, in den wir ihn oder sie stecken …

Und dann sind es im Grunde immer Familiengeschichten, die er erzählt. Und ich stelle fest, Familiengeschichten mag ich am Liebsten. Das war schon als Kind so. Als ich angefangen habe, selbst kleine Geschichten zu schreiben, waren es immer die über Familien. Gerne auch über mehrere Generationen. Was sie wann wie tun, mit wem und wie es weitergeht. Wie es weitergeht, auch das ist wichtig für mich. Und Fredrik gibt mir die Antworten. Die Geschichte ist erzählt, und er gibt am Ende einen Blick darauf, wie es weitergehen kann. Wie es den liebgewonnen Figuren später geht. Und es ist auch in schweren Geschichten immer ein Happy End. Eines, mit dem ich mich gefühlvoll freudig seufzend auf dem Sofa nach hinten lehnen kann. Ich kann es fühlen. Und fühle mich wohl dabei. So darf er gerne weiter seine Geschichten erzählen. Es macht mich ganz schrecklich glücklich 😉

Dabei werden durchaus schwere Themen angesprochen im Buch. Sehr schwere Themen. Eines ist der Freitod. Aber auch Ängste und Panik kommen vor. Trauma. Und Auflösung von Trauma. Und dem zur Seite stehen lichte Themen, wie, die Liebe. Im Grunde ist ein Buch über die Liebe. Und den Mut. Und auch, über Kaninchen. Ich kann es Jedem ganz innig ans Herz legen. Die, die gerade selbst schwer erkrankt sind und unter ZwischendenJahren-Schmerzen und Depressionen leiden, werden es wahrscheinlich nicht lesen. Jedenfalls ist das meine Erinnerung an mein damals. Lesen ging nicht.

Lesen ging nicht. Und zwischen den Jahren ging es schon gleich gar nicht. Da war es besonders schwer … Mich, sitzend und lesend, das gibt es erst seit zwei Jahren wieder. 2022 habe ich angefangen, wieder mehr zu lesen, es war aber eher verhalten. 2023 bin ich wieder richtig aufgeblüht – und 2024, keine Ahnung, lese ich einfach weiter.

Lesen ging nicht. Ich weiß natürlich, dass das unterschiedlich ist, und es Menschen gibt, die auch unter Depressionen noch lesen. Ich konnte nicht. Ich konnte mir keinen einen Satz merken, schon gar nicht von Seitenanfang bis Seitenende. Ich habe eine Seite zu Ende gelesen und wusste nicht mehr, was am Anfang der Seite stand. Es war weg. Ich musste mir jeden Text unter höchster Konzentration und Anstrengung erarbeiten. Das war mühsam und frustrierend und ermüdend.

Ich musste mir das Lesen Stück für Stück zurückerarbeiten, aus der Depression. Und was soll ich sagen – es hat schlussendlich funktioniert und die Anstrengung hat sich gelohnt! Ich hatte zwischendurch das Gefühl, dass ich mich wohl nie wieder freuen kann, am Lesen. Dass ich vermutlich nie wieder Nächte durchlese, weil ich so gefesselt von einem Buch bin. Ich hatte es abgehakt, so sehr zu fühlen und so sehr mitzufiebern. Und dann –

Überraschung! Es ist wieder da! Ich sitze auf dem Sofa und weine vor Rührung. Fühle den Schmerz. Fühle die Freude. Lache laut. Seufze tief.

Mir fällt es jetzt leicht. Weil ich gesund bin. Die Zeit zwischen den Jahren fülle ich dieses Jahr auch leicht. Weil ich gesund bin. Ich genieße die freie Zeit und verbringe sie gerne mit den Kindern. Weil ich gesund bin. Es ist leicht. Und ich erinnere, wie schwer es war, damals. Vor nicht allzu langer Zeit. Besonders schwer war, den anderen dabei zuzuschauen, wie leicht es ist. Die Leichtigkeit der Anderen hat mich unfassbar traurig gemacht. Sie hat es noch verschlimmert. Weil, alle können leicht sein. Fröhlich sein. Nur ich, ich kann das nicht. Ich kann gar nichts. Ich kann nur traurig sein, neidisch, missgünstig.

Ich habe sehr großes Mitgefühl mit meinen Gefühlen von damals. Und ich frage mich einmal mehr, wo sind die hin? Wann ist es besser geworden? Ist es besser geworden, weil ich immer weiter gelesen habe? Oder habe ich weiter gelesen, weil es besser wurde? Und was wäre der Tipp daraus? Lest weiter?

Lesen heilt. Da bin ich mir sehr sicher. So, wie Bewegung das auch tut. Lesen und Bewegen, auch wenn man wenig dabei spürt und es einen nur bis auf die Knochen ermüdet. Das hilft. Da bin ich mir sicher. Die Leichtigkeit und die Freude, das Lachen, es kommt auch zurück. Aber nur, wenn wir uns bewegen. Immer wieder bewegen. Im Geist, mit dem Körper. Lesend. Laufend. Auch wenn wir gar keine Lust haben. Und gerade dann –

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