kein Drama, Trauma

Und dann sitze ich da und spüre, ich bin erneut hängengeblieben. Ich laufe begeistert los, immer wieder, und stolpere an Stelle X, immer wieder. Ich laufe nie übers Ziel, ich gehe immer nur zurück auf Los.

Das bin ich, so bin ich, immer wieder. Es ist an vielen Tag schwer, ich zu sein, zumindest für mich.


Ich beginne immer wieder von vorne. Es knirscht und knackt und die Musik setzt ein. Die Schallplatte ist allerdings schon etwas älter und hat Kratzer und einen Sprung. An dem ich immer wieder hängen bleibe…

Ich leiere dann. Schalte mich aus. Setze mich wieder an den Anfang und starte die alte Leier neu. Immer in der Hoffnung, dass ich dieses mal über den Sprung in der Platte springen werde. Dass ich dieses mal ans Ende der Platte komme. Damit ich endlich mal die ganze Platte hören kann. Um mir die unbekannte B-Seite auch noch anzuhören. Optional.

Bislang habe ich nur diese beiden Optionen wahrgenommen. Zurück auf Anfang oder komplett verschrotten. Die Platte wegzuwerfen, in depressivrn Zeiten erschien mir das eine naheliegende Lösung, die ich dennoch offensichtlich nicht gewählt habe. Die andere Option, dass ich jeden Tag neu beginnen darf, egal was, lebe ich. Ich beginne, zweifle, strauchle, bleibe im Sprung hängen und stehe wieder auf. Beginne erneut. Mal brauche ich länger, um aufzustehen, mal geht es ganz schnell. Je nach Thema, je nach mentaler Verfassung.

Bis heute habe ich keinen Gedanken darauf verschenkt, mir eine neue Strategie zu überlegen. Es war, als könne es das nicht geben, eine neue Option. Und heute denke ich, was wäre, den Sprung zu wagen, den großen Schritt, um den Rest der Platte zu hören…

Nie bin ich gesprungen. Außer damals, mit 19, vom Kran. Da hatte ich ein Seil an den Füßen, dass mich wieder hoch gezogen hat, bevor ich auf dem Boden aufkommen konnte. Gebremster Fall. Das war ein Gefühl! Jch habe mich selten so lebendig gefühlt wie in diesen Momenten absoluter Todesangst.

Allein diese Angst zu spüren war schon eine krasse Erfahrung. Meist habe ich nämlich gar keine Angst. Angst kann ich nur sehr selten fühlen, es ist, als hätte ich diesen Anteil abgekapselt, als läge eine normale Angst hinter dem Sprung. Auf der Platte.

Eine alte Schallplatte. Die immer hängen bleibt. Die eine Zeitlang einen Wochenplan fürs Essen schreiben kann und es dann wieder sein lässt. Die eine Zeitlang ein Format wie “Reflect & Learn” bedienen kann und es dann wieder sein lässt. Die eine Zeitlang jeden Tag hullert und es dann wieder sein lässt. Die immerhin weiterhin jeden Tag die Zähne putzt. Es geht mir mental ganz gut. Es ist nur so, dass es nicht die Wahrheit ist.

Die Wahrheit ist, ich bin wütend. Immer noch. Meine Wut ist stoffig, schmiegt sich an, zeigt mit dem Finger auf das kleine Kind, dass ich war. Dieses Kind. Schon vor der Geburt ungewollt.

Und da ich mich mit all diesen Themen sehr intensiv beschäftige und den Blick nicht abwenden kann, von diesem Kind – sehe ich auch, was los ist. Klarer als früher. Vielleicht auch zum ersten Mal. Ich habe früher nicht sehen können. Ich hatte nicht die passende Brille. Aktuell bin ich wütend auf Menschen, die Kinder hassen. Ich fühle mich oft in unserer Gesellschaft, als seien Kinder in Deutschland nicht gewollt. Nicht erwünscht. Und in Teilen mag das stimmen. Tatsächlich liegt dem meine eigene Kindheit zugrunde.

Ich habe ein Kindheitstrauma. Mein Trauma ist ein Identitätstrauma. Ich bin ungewollt, bereits in der Schwangerschaft eine Last. Ohne Liebe versorgt. Einsam. Ich suche nach Sicherheit, schon immer. Ich bin bereit, mich und meine Bedürfnisse zu opfern, für eine scheinbare Sicherheit. Ich habe den Clown gespielt, damit ich geliebt werde. Ich kannte meinen Wert nicht.


Noch schlimmer ist, ich kenne meine Bedürfnisse bis heute nicht so genau. Letztes Jahr im Sommer war mir das sehr bewusst, es war qualvoll. Ich wusste nicht, wer ich bin. Und ich wusste nicht, was ich kann. Am Ende wusste ich auch nicht, was ich will. Wie auch. Wie kann ich wissen, was ich will?

Zum Glück hat mich mein aktueller Job gefunden, in dem Anteile von mir zufrieden sind und gut arbeiten können. Ich bin auf der Suche nach meinen Bedürfnissen schon ein gutes Stück weiter gekommen!

Viele Jahre hat die Depression über diesen Grundthemen gelegen und mich eingehüllt. Meine frühe Todessehnsucht, der Gedanke, dass die “Anderen dann endlich sehen, wen sie mit mir hatten”, all das. Von früher Kinderheit an.

Heute bin ich ohne Depression und sehe klar. Die Klarheit ist heftig. Sie tut weh. Ich bin traurig. Ich weine. Mit dem kleinen Kind, dass ich war. Das nie gewollt war. Das nie richtig war. Das nie gut genug war. Das mit der falschen Hand geschrieben hat. Das geschlagen wurde, wenn es die falsche Hand benutzt hat. Das geschlagen wurde, wenn es neugierig war und forschen wollte. Das verkümmert ist. Und sich abgekapselt hat. Was ist da in mir, an Gefühlen. Wie gehe ich damit um?

Wo finde ich Hilfe? Damit ich nicht nur den Sprung wage, sondern die ganze Schallplatte reparieren kann?

Da sind Themen, die ich auflösen darf. Ich darf mein Kindheitstrauma für mich auflösen, damit ich mir helfe und damit meinen Kindern helfe. Meine Kinder, die ansonsten ein altes Trauma weitertragen müssen. Und wenn ich eines will, dann, dass sie sich frei entwickeln können. Ich habe sie alle gewollt, mich über jede Schwangerschaft gefreut und jedes meiner Kinder voller Liebe angenommen. Ich hatte mit allen fünf Kindern eine schöne, zarte, enge Babyzeit. Und dennoch konnte ich erst mein letztes Kind voll stillen. Davor war mir das emotional nicht möglich. Eine andere Geschichte.

Ich bin traumatisiert. Und erst heute, mit 50 Jahren, erkenne ich, was los ist. Davor habe ich mir das nicht eingestehen können, nicht eingestehen wollen. Ich bin traurig. Ich möchte das hinter mir lassen. Ich weiß nicht, wie mein Blog sich weiter entwickeln will. Will ich über Trauma sprechen? Wie viel persönlicher kann es werden? Will das jemand lesen? Löse ich bei anderen Traumaerlebnisse aus? Schade ich denen, die das lesen? Was kann ich erzählen? Was will ich erzählen? Was ist gut? Was ist ein Alptraum, aus dem ich nicht mehr erwache? Als Kind bin ich im Traum gefallen, vom Schrank, ins Bodenlose. Kein Seil an meinen Füßen.

Als Erwachsene bin ich gesprungen. Diesen Traum habe ich danach nicht mehr geträumt. Was muss ich jetzt tun, damit ich diese Wut, dieses Gefühl wandeln kann? Das Gefühl, nicht wert zu sein, nicht geliebt zu sein, nicht gewollt zu sein. Und nicht zu wissen, was ich will.

Tut weh. Also, so. Alles. Auch die Erkenntnis. Meiner Identität. Und sofort kommt auch der Gedanke, dass es so schlimm ja nun auch nicht ist, es andere Menschen schlimmer getroffen hat, ich nicht jammern sollte sondern weitermachen. Augen zu und durch. Nochmal von Vorne. Immerhin bin ich gesund. All das, was ich mir Jahrelang vorgebetet habe. Ich bin nicht wichtig. Meine Schmerzen sind nicht wichtig. Ich darf nicht jammern. Anderen geht es viel schlechter als mir … ARGH!

Ich habe überlebt. Ich habe überlebt. Ich lebe weiter. Ich weiß noch nicht, wie. Aber ich finde einen Weg, den Sprung in der Platte auszubessern und mein Musik bis zum Ende zu hören. Ich will die ganze Schallplatte! Ich bin mir mit einem noch klarer als schon vor einem Jahr. Ich bin einzig und ich will gesund sein. Ich will ein normales Maß an Angst spüren können und ich will mich selbst lieben. Das war das Ziel. Das ist das Ziel. Meine Mutter konnte es nicht. Sie hat mit ihren eigenen Dämonen gekämpft. Ich bin nicht meine Mutter. Ich kann das.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert