Köpfchen in das Wasser

und Schwänzchen in die Höh 😉
Oder auch: mal den Arsch hoch bekommen!

Das war mein Wunsch, 2022 und 2023. Mal den Arsch hoch zu bekommen. Geplagt mit einer Flut von Ideen, die alle ums überleben paddeln, unbefähigt, sie in einen klaren Fluss zu bringen. Lag bestimmt auch daran, dass Flüsse selten klar und oft eher verschmutzt sind. Und bis in die Berge zu klaren Gebirgsseen samt Flüssen kam ich gar nicht erst.

Im Fluss sein. Ins Tun bringen. Das Gefühl, genau das nicht zu können. Es ist noch nicht so lange her, dass ich mich gefragt habe, wie um alles in der Welt andere Menschen das hinbekommen. Einen Plan in die Tat umzusetzen. Oder auch, morgens einfach aufzustehen. Ohne Last. Ohne schwere Gedanken, dahingehend, wie man denn leicht aufstehen könne …

Ich habe Menschen, die Dinge tun, gefragt, wie sie das denn tun. Ich wurde irritiert angesehen. Naja. Sie tun es halt einfach. Das sei doch nicht schwer? Tja, also – wenn ihr wüsstet!

Heute stehe ich übrigens morgens einfach auf. Es ist leicht. Einfach so. Es hat sich frei geschwommen.

Schwänzchen in die Höh

Heute, eine kurze Zeit später, bekomme ich den Arsch hoch. Das bedeutet noch nicht, dass ich alles tue, was ich mir so vorstelle. Alles, wer will schon Alles. Es darf auch wenig sein, dass im Tun ist. Jedes Wenig ist dabei mehr als Nichts. Damals war es ein Nichts. Das Nichts konnte nicht beginnen, weil ich nicht wusste, wo und wie. Wie beginnt man denn?

Ich habe oft zu kompliziert gedacht. Zu Alles halt. Um dann gar nichts zu tun.

Der erste Schritt zum Tun

Heute ist mein erster Schritt: darüber sprechen. Eine Idee haben. Die Idee mit anderen Menschen teilen. An die Idee glauben. Andere, falls notwendig, um Hilfe bitten. Hilfe annehmen. Losschwimmen.

Seit Oktober 2023 schwimmen wir also, meine Freundin und ich. Also, sie schwimmt, und ich kämpfe meinen ganz eigenen Kampf mit dem Wasser. Mit dem Atmen. Mit dem Köpfchen, unter Wasser.

Köpfchen unter Wasser

Wenn mein Kopf unter Wasser ist, denkt mein Unterbewusstsein, es muss sterben. Mein klares Bewusstsein wird dabei getrübt, durch schnelleren Herzschlag (nah an Herzrasen) und eine flache Atmung. Das lenkt mich so sehr ab, dass ich nicht normal denken kann. Natürlich sterbe ich nicht!

Beim Schwimmen halte ich seit Jahren den Kopf über Wasser. Ich glaube, seit ich halt schwimmen kann, was man so schwimmen nennt. Gelernt habe ich es damals von meiner Schwester, in einem „echten“ Schwimmkurs war ich nie. Ich war so sechs oder sieben Jahre alt und mehr als die üblichen Bewegungen des Brustschwimmens habe ich vermutlich gar nicht lernen wollen. Hauptsache, irgendwie über Wasser bleiben. Ausdauer? Eher nein.

Getunke

Wir waren früher oft im Schwimmbad, oft auch mit Jugendgruppen, in denen ich als Kind aktiv war. Sich gegenseitig tunken war schon damals ein großer Spaß, zumindest zumeist für die, die die anderen getunkt haben. Ich wurde oft getunkt. Ich hatte schon damals keinen Spaß dabei. Eher im Gegenteil, es hat mich in Panik versetzt. Zumal in diesen spaßigen Situationen gerne auch zu lange von oben gedrückt wurde. Ich erinnere dunkel, dass ich oft geschrieen und um mich geschlagen habe, wenn ich wieder über Wasser war. Und dass ich irgendwann keine große Lust mehr hatte, ins Schwimmbad zu gehen …

Wenn ich mit meinen eigenen Kindern im Schwimmbad bin und die Jungs toben und tunken wollen, ziehe ich mich sofort zurück und weise darauf hin, dass ich Brillenträgerin bin. Man nehme an der Stelle Rücksicht, die Mama kann dann ja gar nichts mehr sehen …

Ich vermute, meine Angst vor Wasser und die Panik, die sich unbewusst gesteuert Bahn bricht, hat bei diesen Ausflügen ihren Anfang genommen. Kopf unter Wasser ist nicht gut. Wirklich endgültig verankert hat sich das Thema dann im Atlantik. Schwere Beine und Wasser, überall. Salzwasser. Im Mund. In den Augen. Es hat gebrannt. Und weh getan. Vor allem die Selbstüberschätzung. Zu weit, zu hoch hinaus.

Schwimmen lernen

Schwimmen lernen ist hier also auch Traumabewältigung. Ganz aktiv. Als es im Oktober losging mit dem Tun und ich das erste Mal zum Schwimmunterricht angeflossen kam, da ahnte ich das noch nicht. Mir war nicht bewusst, was da los ist in meinem System. Ich wusste nur, ich fühle mich unwohl im Wasser und kann auch nicht so richtig schwimmen und ich will etwas daran ändern. Ich wusste auch, dass ich kein Wasser im Gesicht mag und ungern tauche. Mehr wusste ich nicht.

Aber ich hatte einen Plan. Der kam tatsächlich ins Tun. Und er tut weiter!

Die ersten Bahnen im Wasser waren eine Katastrophe. Ich habe mich kaum getraut, meinen Kopf ins Wasser zu tun und auszuatmen. Ins Wasser zu atmen. Herzrasen, Schnappatmung, Wasser verschlucken, Husten, Zappeln, da war alles dabei. Es wurde besser, mit der Zeit. Mit der Regelmäßigkeit. Mit guten Gedanken.

Es wurde besser und wir machten Fortschritte und dann machten wir eine kurze Pause von 3-4 Wochen. Gesundheitsbedingt, Jobbedingt, um Weihnachten herum war zu viel zu tun und zu wenig Zeit. Und in Rekordschnelle stellte sich mein inneres System wieder zurück. Von Woche zu Woche wuchs die Erleichertung, mich nicht mir selbst stellen zu müssen und daheim bleiben zu können. Der Wunsch, weiter zu machen, wurde kleiner. Die Stimmen, die sagten, dass ich jetzt seit 50 Jahren wie eine alte Oma schwimme und es jetzt auch nicht mehr lernen müsse, wurden lauter. Weil, irgendwann in absehbarer Zeit BIN ich eine alte Oma. Da ist es auch egal, wie ich schwimme.

Jedenfalls, letzte Woche waren wir das erste Mal wieder schwimmen. Und obwohl es davor schon wirklich gut geklappt hatte im Dezember, war letzte Woche ein Dämpfer. An ruhiges Atmen war nicht zu denken, ich habe viel Wasser geschluckt, viel Wasser in die Nase bekommen, habe unter Wasser eingeatmet, all das, was ich auch in der ersten Stunde hatte. Zappelig. Panisch. Dabei war mir rational klar, dass nichts passieren kann. Und nichts passieren wird. Spannend, meinem Kopf war das klar, klare Anweisungen konnte er dennoch nur schwer senden. Die kamen nicht durch.

feste Verabredungen wiederholen

Heute hingegen – heute – und ich schwöre, es gibt nichts Wichtigeres als die Wiederholung! Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung.

Heute wollte ich auch gerne NICHT zum schwimmen gehen. Argumente gibt es ja immer. Heute, zu kalt, zu viel Schnee, keine Lust. Und neben der Wiederholung ist auch eine Verabredung eine gute Sache. Die Verabredung hilft, dann doch zu gehen. Auch, wenn die Verabredung sich wegen Schnee verspätet. Ich wusste, sie kommt. Also bin ich gegangen. Erstmal, allein. Erstmal, warm machen. Dann, die Flossen an und Kraulbewegungen. Kopf ins Wasser. Arsch in die Höhe. Beinschlag. Beide Arme nach vorne ausstrecken. Den rechten Arm nach hinten führen. Körper rechts aufdrehen. Kopf seitlich aus dem Wasser nehmen, einatmen, Arm nach vorne bewegen. Hand und Kopf ins Wasser, ausatmen, linker Arm zieht. Rechter Arm zieht – seitlich aufdrehen, Kopf aus dem Wasser. Mund dabei immer geöffnet lassen. Der schließt nicht. Der bleibt offen. Immer Wasser im Mund. Ich ertrinke nicht.

Die ersten beiden Bahnen, wieder eher ein Gezappel. Da ist keine Ruhe im System. Da ich das System aber inzwischen kenne und ungefähr weiß, was los ist, konzentriere ich mich. Ich will, dass es anders läuft als vergangene Woche. Also bleibe ich im flachen Wasser stehen und atme. Lange. Mein Atem wird ruhiger, tiefer. Ich visualisiere die Bewegungen, die auf mich zukommen. Ich schwimme los. Und siehe da – es funktioniert. Ich schwimme in einem halbwegs sauberen Stil eine ganze Bahn. Regelmäßige Atmung, keine hektische Bewegungen, ohne Angst, keine Luft zu bekommen. Ruhig. Fast schon fühlt es sich leicht an.

Nach zwei weiteren Bahnen kommt meine Freundin dazu. Ich bin zu diesem Zeitpunkt schon innerlich vor Stolz geplatzt. Erstens, weil ich ins Schwimmbad gegangen bin, zweitens, weil ich allein angefangen habe und drittens, weil es funktioniert. Und die ganz große Freude war, ihr zu zeigen, was passiert ist. Dass ich zum ersten Mal eine Bahn Kraul schwimme und es – überlebe!

„Jetzt noch den Hintern hoch, dann sieht das großartig aus!“

Das, glaube ich, wird meine leichteste Übung. Ich habe so sehr den Arsch hoch bekommen in den letzten Monaten, dass ich das beim Kraul schwimmen auch noch schaffe.

Beim Tauchen kann ich es schon! Wenn ich versuche, zu Tauchen, passiert nur eines: mein Arsch ist über Wasser 😉

Ich denke, ich schwimme weiter. Bis ich mich von meinen Erlebnissen als Kind, Jugendliche und junge Erwachsene wirklich frei geschwommen habe, wird noch eine Weile dauern. Es braucht dafür vor allem feste Verabredungen und die Wiederholung! Ausdauer baut sich nicht an einem Tag auf. Trauma baut sich nicht an einem Tag ab. Spannend zu beobachten ist, dass ich inzwischen weiß, was da auf körperlicher Ebene stattfindet. Und dass ich jetzt, wo ich es weiß, mental darauf einwirken kann. Mit Atemübungen und Visualisierung. All das – ich hätte das nicht für möglich gehalten, dass mir das gelingt. Es fühlt sich an, als könne ich – frei schwimmen.

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