Mangeltetris

Tetris. Bis zu einer gewissen Geschwindigkeit war ich gut. Dann drehte ich oft in die falsche Richtung, verfehlte die Einflugschneise und die bunten Steine türmten sich bis ganz nach oben. Ende des Durchgangs. Ich beobachtete, wie ich auch quadratische Steine drehte, weil, ab einer gewissen Geschwindigkeit ging es gar nicht mehr anders. Ich drehte alles. Auch das, was gar nicht gedreht werden muss.

Ähnlich ist es mit meinen Gedanken. Die drehe ich ab einer gewissen Geschwindigkeit auch wie verrückt. Um sie dann dennoch falsch zu platzieren. Sehr schnell ist auch hier: Game over

Und jetzt der Kühlschrank. Es ist der 23. Dezember und auch ich war einkaufen. Die Bagage soll ja nicht verhungern, nicht? Und jetzt darf ich Tetris spielen, im Kühlschrank. Der ist ja inzwischen rosa, der Kühlschrank. Und kleiner als früher. An Feiertagen erkenne ich recht schnell, wo die Grenzen sind, die meinen und die meines Kühlschranks … 😉

An Feiertagen kommen auch gerne Gedanken, mehrfach durch die Mangel gedreht, und verstopfen mein Gehirn. So bis zum Game over … Daher bin ich heute eventuell schon mit Kopfschmerzen aufgewacht, obwohl ich gestern bis in die Tiefe zufrieden entspannt ins Bett gegangen bin. Mein Unterbewusstsein hat gewiss noch einen kleinen roten Stein gefunden, den es losgeschickt hat. Los, dreh mich! Kann ja nicht sein, dass du wirklich zufrieden bist! Du, die Queen der Mangelhaftigen Gedanken! Wo sind sie denn?

Und da sind sie ja! Nach dem Einkauf ist vor dem Einkauf. Ich sortiere also gleich meinen Kühlschrank neu und mache ihn parallel auch erneut sauber. Das tue ich ja inzwischen regelmäßig. Und das ist gut so, weil ich dann weniger Dinge wegwerfen muss. Weil ich sie rechtzeitig in den hinteren Ecken des Kühlschranks wiederfinde. Ja, auch kleine, rosafarbene Kühlschränke haben hintere Ecken! Und wegwerfen, ist das nicht die größte Farce, wenn man angeblich mangelt?

Ich schreibe “angeblich mangelt”, weil es definitiv mein Hirn ist, dass Mangelerscheinungen hat. Und weil ich sehe, dass es besser geworden ist, in diesem vergangenen Jahr. Auch das Fasten hat sehr darauf eingezahlt, dass ich mich weniger mangelhaft fühle. Ich erinnere den ersten Fastendurchgang in der Kur, wie schwer mir das gefallen ist. Zu verzichten. Auf Essen. Verdammt. Und siehe da – ich lebe noch! Es war gar nicht so schwer! Viel schwerer war, den Gedanken zuzulassen, zu überlegen, wo der eigentlich herkommt und die eigene Wahrnehmung zu schärfen. Dagegen war der Verzicht von Essen total harmlos.

Apropos Essen. Ich habe genug, um ein weiteres Gedeck aufzudecken und Menschen an den Tisch zu bitten. Was ich defakto (noch) nicht tun werde, weil ich soweit noch nicht bin. Aber ich übe mich in Gedanken. Ich spüre, dass es mir oft an Mitgefühl gemangelt hat, und dass sich auch dieser Mangel verabschiedet. All das sind gute Zeichen, Zeichen dafür, dass ich beim Tetris freiwillig aussteige, wenn es zu schnell wird. Weil ich weiß, dass es mir nichts bringt. Schnelligkeit ist auch nicht alles. Und – ich weiß natürlich, wo meine Mangelgefühle herkommen. Und welche Gefühle ihnen gegenüberstehen. Ich weiß, dass es auch kranken Strukturen in meinem Hirn folgte und folgt, und dass Heilung lange braucht. Erst braucht es einen Raum, in dem Heilung stattfinden kann. Und dann – braucht es Zeit. An der mangelt es ja auch an allen Enden …

Zeit. Tetris. Schnelligkeit. Kühlschrank. Essen. Weihnachten.

Was ich erzählen wollte. Was mich heute berührt und nachdenklich gemacht hat. Ich war einkaufen, sehr erfolgreich. Habe sofort einen Parkplatz gefunden und auch in den Geschäften war es noch recht ruhig. Aldi, ReWe, vorher noch sehr feines Brot beim Alnatura. Was geht es uns gut! Meine Kaufkraft ist erhalten, und ich nutze sie. Für uns alle, für meine Kinder, für ein Gefühl von Geborgenheit, sie sollen satt werden. Auch im Magen. Aber vor allem, in der Seele. Dafür muss ich im Grunde nicht so viel einkaufen, das kommt von Innen. Aber auch das Innen möchte gestärkt werden, und sei es mit Vollkornbrot und Dreierlei Minztee. Wir dürfen nie vergessen, uns um unser Inneres zu kümmern. Nur dann kommen wir raus aus den Mangelgedanken und können den wahren Reichtum unseres Lebens erkennen. Und nur dann können wir – mitfühlen.

Ich habe nach dem Einkauf meinen Wagen zurückgestellt. Und auf dem Weg sind mir zwei Kinder aufgefallen. Der Junge, eventuell 11 Jahre alt, das Mädchen so 8 oder 9?! Vor allem das Mädchen, sehr fröhlich. Mit einem einfachen Saft von Aldi im Arm, hüpfend. Die Mutter ist mir sofort ins Auge gefallen. Ihr Körper strahlte Müdigkeit und Sorge aus. Eine einfache Tasche hatte sie gerade geschultert, als das Mädchen zu ihr ging und trällerte (und vielleicht war die Freude auch nur aufgesetzt, um den Kummer der Mutter auszugleichen – Kinder fühlen das nunmal sehr), “Mama, ich habe immer noch so Rückenschmerzen von gestern im Sport … ”

Etwas in der Art sagte das Mädchen. Die Mutter straffte sofort die Schultern, ich habe ihre innere Müdigkeit direkt fühlen können. Und dennoch hat sie mitfühlend auf ihre Tochter reagiert, liebevoll. Ich erinnere, wie oft ich mich in diesen Situationen einfach nur überfordert fühlte. Selbst am Arsch, kommen die Kinder und “jammern” und wir dürfen, nein, müssen, Verständnisvoll sein. Liebevoll. Weil wir verantwortlich sind. Und manchmal ist das einfach zu viel. Viel zu viel.

Und wenn man darüber spricht, dass es manchmal auch zu viel ist, dann kommen immer mal Stimmen, die sagen, ja, naja, du hast es ja so gewollt. Warum hast du denn Kinder bekommen? Das ist ja eine freiwillige Entscheidung gewesen. Ganz so, als dürfe alles, was freiwillig entschieden wurde, in keinem Fall anstrengend sein. Oder müde machen. Oder einen zur Verzweiflung bringen. Auch nach vielen Jahren nicht.

Die drei sind dann vor mir zurück zum Wagen gegangen. Die Mutter. Der Sohn. Die Tochter. Und von hinten konnte ich den Mangel noch deutlicher erkennen. Die Mutter, wie gesagt, Müde. Leicht gebückt, der Gang ohne Dynamik. Die Tochter, ein wenig hüpfend. Der Sohn, ein wenig lächelnd. Beide durchaus heiterer als ihre Mutter. Eine Tüte ins Auto bringend. Die Kinder, mit Jacken, die zu leicht (und im Falle des Sohnes, zu klein) waren. Die Hosen, unfreiwillig Hochwasser. Die Schuhe, vertreten. So deutlich, dass sie wenig haben. Natürlich, ja, sie haben sich. Davon gehe ich mal aus. Und die Kinder schienen fröhlich zu sein. Gerade die Jüngere. Der Sohn wird bald merken, wie es ist. Deutlicher merken. Das kommt mit dem Alter dazu. Auch die Last, eine Last zu sein. Ist für die Kinder schwer.

Und ich, in meinen UGG-Boots, mit einer Hose von MarcoPolo an, mit einem Mantel von Blutsgeschwister und einem Auto voller Essen, wie fühle ich mich? Okay, ich trage meine Klamotten auch viele Jahre, das funktioniert gut, wenn man eher eine Hose erwirbt, die aber mit Qualität. Und heruntergesetzt war sie auch. Dennoch – ich kann mir das (immer) noch ab und an leisten. Gestern habe ich neue Hosen für K5 gekauft. Auch das ging. Und ich weiß, wer das leistet, dass es geht. Ich weiß, dass ich schon seit immer dafür kämpfe. Ob ich Glück hatte, dass es bei mir beruflich gut gegangen ist, ich weiß es nicht. Vielleicht ist es auch die Löwin in mir. Jedenfalls – andere Alleinerziehende arbeiten auch! Die haben auch Tetris im Kopf! Und die haben keinen rosafarbenen Kühlschrank mit Platzproblemen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Ich sehe diese Mütter nur so selten. Und wenn ich sehe, wird mir einmal mehr bewusst, wie gut es uns geht. Auch wenn kein zweites Paar Schuhe für K4 drin ist und wir nicht in Urlaub fahren. Das sind Luxusprobleme. Ich bin mir des Luxus im Klaren, in dem ich Probleme habe.

Ich habe diese Mutter nicht angesprochen. Das wäre auch voll daneben gewesen. Ich habe nur überlegt, wo würde ich sie finden, wenn ich sie suchte? Ob sie weiß, dass es Unterstützung gibt? Oder ob sie, ähnlich wie es bei mir war, gar nicht die Kraft hat, diese Unterstützung einzufordern? Weil, geben tut es Dinge. Eine Menge sogar. Man muss sie nur finden. Und dann noch erhalten. Bei mir war immer klar, ich verdiene zu viel Geld, um finanzielle Unterstützung für die Klassenfahrt zu bekommen. Auch für diese Unabhängigkeit arbeite ich viel …
Aber es gibt natürlich auch noch andere Dinge, und oft ist es die Bürokratie, die uns davon abhält, diese Unterstützung zu nutzen. Oder, die Zeit. Müdigkeit, Stress, und dann noch lange irgendwo warten? Oder einen Termin einplanen, zusätzlich zu Job und Arztbesuchen und was sonst so ansteht? Haha. Einmal laut lachen, bitte.

Jedenfalls. Das Bild geht mir nicht aus dem Kopf. Die Kinder in den zu leichten, zu kleinen Kleidungsstücken. Und ich, die ich hier Kleidung von K4 habe, die niemand will. Da stimmt doch was nicht! Und ich verkaufe das nicht, auf dem Flohmarkt. Irgendwie – will ich das auch nicht mehr, der Uffriss nervt mich. Ich überlege gerade, ob es wohl sowas wir eine Tauschbörse für Alleinerziehende gibt? Wo man Kleidung untereinander tauscht? Sich damit unterstützt? Ohne etwas zu zahlen? Ohne Eintritt, ohne Kuchen, der mitgebracht werden muss, ohne Alles? Und wenn es das noch nicht gibt in unserer Stadt – wäre es etwas, dass ich gerne sehen würde? Und wo würde ich die Menschen finden, die ich damit ansprechen will?

Und da ich beruflich gerade in die Richtung Fachkräftemangel gehe und mich hier mehr einbringen werde im kommenden Jahr, kann ich das ja on Top geben. Es gibt viele Alleinerziehende, die was auf dem Kasten haben. Und nicht so arbeiten können, wie sie es gerne würden. Da darf noch ganz viel passieren. An schneller, einfacher Hilfe. Für die Mütter oder Väter. Vor allem, für die Kinder. Und sei es nur, dass die Kleidung warm genug ist. Und dass es genug zu Essen auf dem Tisch hat. Und dass die Mama oder der Papa nicht so müde sind.

Ich glaube, ich will diesen Tetrisstein mal in Ruhe drehen und wenden, um zu schauen, wo er passen kann. Ich komme langsam an den Punkt, an dem mein Mangel zur Ruhe kommt. Und ich spüren kann, wie es mir geht. Ein Punkt, an dem ich beginne, stolz auf mich zu sein. Auf das, was ich geleistet habe. Auf das, was ich kann. Und die nächsten Schritte können Hilfe sein. Für mich selbst und für Andere. Ich bin gespannt auf die nächste Runde Tetris in meinem Leben.

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