Anna hat heute auf Linkedin einen spannenden Impuls gesetzt, zumindest bei mir. Sie hat nach dem Schreiben gefragt. Also – nach dem Warum hinter dem eigenen Schreiben. Warum – schreibe ich? Und, was kann ich über mein Schreiben erzählen?
Ich bin da noch nicht so ehrlich mit mir selbst, wie ich es gerne wäre.
Warum ich schreibe? Weil es mir gut tut, weil es mich entwickelt, weil es mein Leben rettet. So, wie ich es auf die Startseite geschreiben habe. Das ist natürlich überspitzt, dass mein Blog Leben rettet. Das Meine. Und doch – steckt da sehr viel Wahrheit drin.
Ich schaue mal zurück, auf mein Schreiben …
Schreiben mit 11
Mit 11 Fingern 😉
Nein, mit 11 Jahren.
Mit 11 Jahren saß ich an der Schreibmaschine meiner Schwester, so ein altes, schwarzes Ungetüm. Die Maschine hat die Seiten meist schief eingezogen und manche Buchstaben hatten keinen Anschlag mehr. Schreiben war mühsam und gleichzeitig schön. Parallel habe ich auch viel mit Hand geschrieben, in meine ersten Ringbücher, die ich – zu meinem Bedauern!! – nicht aufgehoben habe.
Ich habe Familiengeschichten geschrieben. Die Konstellationen in den Familien habe ich vorher beim „Spiel des Lebens“ mit dem Glücksrad erdreht. Welche Ausbildung, Hochzeit, wie viele Kinder. Die Kinder waren das Wichtigste! Ja, ich wollte auch gewinnen und viel Geld und Statussymbole, all das ist natürlich auch mit reingeflossen in meine Geschichten. Das Wichtigste aber waren immer die Kinder. Am glücklichsten war ich, wenn beim Spiel des Lebens noch ein fünftes Kind mit im Auto war. Das habe ich dann zwischen die anderen gelegt, ich glaube, ich muss das mal fotografieren. Es ist so eindrucksvoll gerade in meinem Kopf …
Fünf Kinder. Ja. Habe ich dann tatsächlich bekommen. Allerdings musste zum Glück keins quer im Auto liegen …
Schreiben mit 15
Soziales Netzwerk und Community, mit drei Personen 😉
Drei Teenager, drei DinA5 Bücher, jede hat jeden Tag ein anderes Buch mit nach Hause genommen und etwas hineingeschrieben. Eine Geschichte, ein Erlebnis, ein Witz, ein Spruch (Sprüche waren ganz angesagt damals!!), ein Bild. Wir haben das unterschiedlich befüllt, jede, wie es für sie schön war. Alles war richtig.
Ich habe noch eines dieser Bücher hier. Es ist unfassbar schön. Schöner, als ein Tagebuch „allein“. Es war ein Tagebuch für uns alle drei.
Parallel habe ich damals auch ein bisschen Tagebuch geschrieben, wirklich ernsthaft ging das aber nicht. Dieses „Hallo, liebes Tagebuch“ hat mir gar nichts gegeben. Not my way.
Schreiben mit 17, 18
Notizen. Im Tagebuch. Keine Geschichten mehr – zu viel um die Ohren, zu viel zwischen den Ohren. Natürlich bin ich im Deutsch Leistungskurs. Meine Texte in der Schule sind sehr gut – für die meisten Lehrer. Mein Tutor findet mich allerdings nicht so toll …
Das zieht mir ziemlich die Freude am Schreiben. Ich bin literarisch nicht begabt. Zu sehr „Straßensprech“. Danke, auf Wiedersehen.
Parallel beende ich das Klavierspielen. Da ich nicht selbst komponieren oder nach Gehör spielen kann, fühle ich mich auch hier – nicht begabt –
In den Zwanzigern
Ich schreibe viele Briefe. Ich kopiere diese Briefe, bevor ich sie verschicke, weil ich auch meine Antworten noch haben will. Die kopierten Briefe hefte ich mit den Antworten dazu in Ordner ab. Damit ich nachlesen kann, wie es mir ging, als ich geschrieben habe – und wenn eine Antwort kommt, dass ich die Worte auch wieder zu meinem Text dazufügen kann. Die Ordner stehen im Keller, sie sind noch da … Sogar Postkarten werden von mir kopiert. Alle meine schriftlichen Gedanken, ich will sie auch für mich behalten.
Das geht mir noch heute so.
Und ich liebe es auch heute noch – und es überrascht mich auch heute noch – wenn ich alte Texte von mir lesen kann. Ich schreibe oft rein intuitiv, ohne mir viele Gedanken zu machen. Meine Empfindungen, Gefühle, aus dem Moment heraus. Wenn ich das dann drei Wochen später nochmal lese, bin ich oft sehr überrascht. Positiv. Ich denke dann zum Beispiel:
Ach du Scheiße, ist das gut! Wie es dir da ging! Wie witzig! Wie traurig!
(Manchmal gefallen mir meine Texte auch überhaupt nicht, das ist allerdings selten der Fall)
Ich lese mich gerne selbst. Ganz offensichtlich ist das so. Ansonsten lese ich einige Bücher, so quer durch alle Genre. Ähnlich wie bei Musik gefällt mir sehr viel. Ich kann mich nicht festlegen, will ich lieber Jazz oder lieber Punk? Bei Büchern ist es ähnlich. Ich liebe Satre. Und Steven King.
Alles! Ist für mein Umfeld allerdings oft keine gute Antwort. Alles, das kannst du nicht haben. Du musst dich schon entscheiden! Inwischen sage ich, wenn jemand nach meiner Lieblingsfarbe fragt: Bunt
Besonders gut gefallen mir immer noch: Familiengeschichten. Isabelle Allende, das Geisterhaus.
Ich werde Mutter, auch in meinen Zwanzigern. Die ersten Mitfahrer in meinem Auto. Die männlichen Beifahrer werden nie so sehr Zentrum meines Seins, wie es die Kinder wurden und bis heute sind.
30!
E-Mail für dich und „Wer kennt wen“ –
Ich schreibe. Mit meiner besten Freundin. Intensiv. Per Mail. Wir sind absolut transparent, offen, echt. Die Idee, daraus ein Buch zu machen, kommt auf. Natürlich ein wenig abgeschwächt, mit andere Namen und vielleicht auch etwas weniger privat …
Ich persönlich will das gar nicht. Also, die Namen ändern, natürlich. Und den Rest, den will ich genau so. Mit all der Intensität und Echtheit. Weil, genau das würde ich auch selbst immer und sofort lesen wollen. Meine Freundin zögert – aus gutem Grund, unsere Texte sind wirklich zu privat – und ich willige ein, die Texte anzupassen, damit es voran gehen kann. Wir schreiben ein Exposé, reichen es bei drei Verlagen ein. Also, sie reicht es ein. Ich bin schon damals eher unfähig, solche Dinge in die Hand zu nehmen.
Es kommen drei Absagen.
- Geile Idee, dieses E-Mail-Format, aber eure Sprache ist zu direkt – das liest so niemand
- Geile Sprache, aber das Format, mit diesem E-Mail-Austausch, das will niemand
- die dritte habe ich vergessen
Das ist 2004.
2008 erscheint „Gut gegen Nordwind“ und ich weine. Weil wir es nicht weiter versucht haben. Weil wir keine Freundinnen mehr sind. Weil sie abgebrochen hat, mit einem „ich wusste ja, dass es nicht funktioniert“. Weil ich mich nicht selbst darum gekümmert habe. Weil ich gar keinen Plan hatte und schon wieder – nicht gut genug war.
Gut gegen Nordwind habe ich nie gelesen. Ich weiß aber, er hat alles, was wir auch hatten. Bei uns war es die E-Mail-Freundschaft zweier Frauen Ende 20. Die eine, gerade frisch getrennt, Vollzeit berufstätig, zwei kleine Kinder. Die andere, Single und beruflich auf der Überholspur. Der Austausch war witzig, traurig, spannend. Trennungsthemen, der Sex, die Kinder, will ich Kinder? oder besser lieber nicht? Alles, das. Und unsere Freundschaft.
Ging den Bach runter …
Es gab da noch: Wer kennt wen …
Meine ersten Spaziergänge in einem sozialen Netzwerk und ich – tue das, was ich davor mit meiner Freundin getan habe, nur allgemeiner und kürzer. Ich schreibe. Jeden Tag. Teile mich mit, erzähle aus meinem Leben, immer ehrlich und direkt. Ich gewinne sehr schnell sehr viele Follower, die meine Texte lieben. Die quasi täglich einschalten, um keinen Schwank aus meinem Leben zu verpassen.
Mit einigen Menschen treffe ich mich (in Nürnberg) im echten Leben, es entstehen echte Freundschaften, für den Moment. Niemand greift mich an oder fragt, was machst du da denn? Warum bist du so öffentlich? Das ist doch privat, behalt das mal für dich! Mir geht es – ziemlich gut damit –
Parallel lerne ich einen neuen Mann kennen, gehe in meine zweite längere Beziehung, bekomme im Laufe der 30iger zwei weitere Kinder und: höre auf zu schreiben! Und zwar ziemlich schnell. Wer kennt wen wird uninteressant.
Ich höre auch auf, Musik zu hören, zu Tanzen, Sport zu machen, mich gescheit zu ernähren und glücklich zu sein! Diese Beziehung raubt mir all das, was mir gut tut, weil ich denke, noch besser täte es mir, viel fernzusehen, auf dem Sofa einzuschlafen, nicht mehr auszugehen und viel zu viel zu arbeiten …
Mein Unglück wird greifbar, nicht nur um die Hüfte. Ich lese nur noch selten. Noch seltener schreibe ich mal einen Brief oder eine E-Mail. Wenn ich es tue, sagen meine Freundinnen, sie lieben es. Wie ein Roman.
Ich gehe dazu über, mehr Sprachnachrichten zu versenden, da ist es schon Ende 30. WhatsApp greift durch. Ich texte, in Worten. Einige Freundinnen begeistert das (alle ganz klar auditiv gepolt). Andere Freundinnen schreckt es ab.
Und dann gibt es da noch ein Forum, bei den WeigthWatchers …
40
Die nächste Trennung. Ich schreibe. Meine Themen wollen auf Papier, es werden wieder E-Mails und zusätzlich finde ich einen neuen Kanal, ein Forum. In das man eigentlich zum Abnehmen hingeht. Ich beginne, wieder täglich zu schreiben, diesmal in einer „geschlossenen Community“. Lesen kann mich, wer bei den WW angemeldet ist. Das sind viele Menschen. Mir tut es wahnsinnig gut, mich auszutauschen, Reaktionen zu bekommen, Nachrichten zu schreiben. Im Kontakt zu sein.
Parallel frisst das echt viel Zeit 😉
Zusätzlich kommt aus dem E-Mail-Schreiben mit einem Freund einige Begegnungen im echten Leben. Als Ergebnis kündigt sich mein fünftes Kind an. Das Spiel des Lebens hat alle Sitze belegt.
Gesundheitlich kommen Themen on Top. Mein Schreiben rettet mir eine Zeitlang den Arsch, bis ich nach der Elternzeit wieder arbeiten gehe. In Vollzeit, unter starkem Stress. Es dauert ein weiteres Jahr, ich bin 44. Da breche ich zusammen. Weinend, in einem Auto in der Tiefgarage der Hugenottenhalle in Neu-Isenburg. Unbeschrieben.
Das ist der Cut, an dem ich weder lese, noch schreibe, noch Musik höre, noch lache, noch Farben fühlen oder sehen kann, noch spazieren gehe, noch – alles. Ich schaue nicht mal mehr fern.
Ich bin aus.
Mitte bis Ende 40
Jedes Jahr, ein Schritt. Ich brauche viele Jahre. 2017 diagnostiziert mit schweren Depressionen, gehe ich verdammt langsam. Ich schreibe fast gar nichts. Eventuell ist das gut für mich –
Ich würde schon gerne lesen, wie es mir wirklich ging. Aber tatsächlich, wenn ich ehrlich bin, ich würde das nicht lesen wollen. Und ich wette, es will auch sonst niemand lesen. Die Worte eines Menschen, der so nah am Tod ist, die sind nicht belebend. Nicht lustig. Es ist Dunkel, kalt, selbstverachtend, schneidend. Allein, was ich erinnere, nur in meinem Kopf, ist ausreichend schrecklich. Würde ich das aufgeschrieben haben – ich weiß nicht, wie ich das fände.
Fakt ist – schreiben geht auch gar nicht. Ich kann keine klaren Sätze formulieren. Lesen kann ich im übrigen auch nicht. Ich kann mir nichts merken. Keine drei Zeilen. Ich lese einen Satz und habe ihn inhaltlich sofort vergessen.
Das gilt auch für Filme. Wir schauen die Avengers, und ich kann den Filmen nicht folgen. Zu vielschichtig. Zu viele Sprünge. 2021 sehen wir all diese Filme nochmal und ich komme gar nicht raus aus der Begeisterung. Endlich verstehe ich das auch inhaltlich! Das ist der erste Moment, in dem ich mich gesünder fühle, fast schon – normal.
Schreiben? Beginnt langsam wieder, mit meinem neuen Job, 2021 (nach 1,5 Jahren krank, 1 Jahr arbeitslos, 1 Jahr in Weiterbildung). Ich gerate auf Linkedin in die Bubble der guten, perfekten, ambitionierten, hervorragenden Menschen. Das verzögert meine weitere Heilung um ein paar Monate. Ich fühle mich ständig unzulänglich, dumm und wertlos. Dennoch mache ich weiter. Schreibe weiter. Treffe einige wunderbare Menschen. Eine davon, Anna. Sie schenkt mir diesen Blog. Weil sie Geschichten liebt.
Und ich beginne im Februar 2022 zu schreiben. Hier. Unsicher, warum. Warum tue ich das?
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Und da bin ich. Schreibend. Ich schreibe weiter, hauptsächlich, um mich selbst zu verstehen. Um mich selbst zu finden und um mich zu feiern. Um stolz auf mich zu sein. Um mich witzig zu finden. Damit andere mich auch toll und witzig finden. Ich brauche Komplimente und doch glaube ich ihnen nicht. Ich will gefeiert werden. Für meinen Witz, meine Sprache, mein Sein. Ich will auf einer Bühne stehen und gefeiert werden. Ich will einen Bestseller schreiben. Das wollte ich auch mit 11 Jahren schon. Jetzt ist es allerdings klarer, was wirklich dahinter steht –
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Dahinter steht – das ungewollte, ungeliebte, geschlagene Kind. Ich, ohne Sicherheit. Wenig Zärtlichkeit als Baby, wenig Ansprache als Kleinkind, ich bin viel allein gewesen. Im Garten, daheim, im angrenzenden Wald. Ich war eigentlich immer draußen. Daheim war es zu schrecklich, zu eng, zu kalt.
Im Kindergarten wurde ich nicht angemeldet – das war zu teuer – und meine Mutter hat den ganzen Tag den Haushalt geschmissen. Ich war einsam. Verdreht. Sehr laut. Vor allem am Nachmittag, damit die Kinder im Ort mich wahrnehmen. Ich bin hier! Verdammt, ich bin hier!
Als Kind wird mir (vermutlich täglich) gespiegelt, dass ich anstrengend bin, zu laut, zu schnell spreche. Ich bin super unsicher – was mir niemand ansieht. In der weiterführenden Schule geht es problematisch weiter. Daheim bekomme ich alle naslang Prügel, vor allem, weil mich Doktorspiele mit den Jungs total faszinieren und weil ich klaue wie ein Rabe. Aber auch, weil ich frech bin. Meine Meinung immer noch sage. Irgendwann werde ich leiser werden.
Mein täglich Brot ist es, mich falsch zu fühlen. Ich schreibe auch mit der falschen Hand – mit links – was mir mit weiterem Zug und Schlägen abtrainiert wird. Umgeschult. Klingt so harmlos.
All das.
All dieses.
Ist mein Warum. Ich bin das vierte Kind einer Frau, die schon beim ersten Kind überfordert war. Die wenig Liebe zu geben hatte, weil sie selbst keine gespürt hat. Und die vielleicht dachte, dass mir die Schläge helfen werden. Sie wusste es echt nicht besser.
Ich habe mit 11 Jahren Familiengeschichten voller Liebe und mit vielen Kindern geschrieben, weil ich mir genau das gewünscht habe. Eine Familie. Mit Liebe. Und viele Kinder. Ich liebe das auf und ab in Familien, die Tragödien und die Freude. Vor allem aber – die Liebe. Das, was ich zu wenig hatte.
Daher rührt auch mein „nach Außen drängen“. Ich erinnere, dass ich in späteren Jahren immer dann besonders froh war, wenn ich Publikum hatte. Wenn ich in der Öffentlichkeit geschrieben habe, wenn ich mich selbst gezeigt habe.
Genau das gibt mir Ruhe und Freude.
Texte über fiktive Personen bleiben seelenlos und machen mich unruhig (ich habe das getestet).
Texte über mich, meine Gedanken, meine Geschichten, machen mich froh. Sie gleichen mich aus.
Ich suche Liebe. Die, die ich als Kind nicht hatte. Und die, die ich mir heute immer noch nur schwer selbst geben kann. Liebe, aus mir selbst. Zu mir selbst. Selbstliebe.
Ich schreibe, weil ich geliebt werden will.
Im Grunde habe ich das schon in meinem ersten Blog-Beitrag beschrieben. Nur, fühlen tue ich es heute sogar noch mehr. Und ich weiß auch, dass ich auf einem guten Weg dahin bin. Schreibend. In der Öffentlichkeit. Weil ich zusätzlich zu meiner Selbstliebe die Unterstützung und Liebe aus der Welt brauche.
Einmal mehr begreife ich, wie wichtig meine Liebe für meine Kinder ist. Das Beste, was ich ihnen geben kann, ist, sie zu lieben. So, wie sie sind. Damit sie später nicht ihr Innen nach Außen kehren müssen. Sondern in Ruhe mit sich sein können.
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