Relaxed Fit

Locker durch die Hose atmen – das funktioniert genau dann, wenn meine Hose nicht kneift und mein Selbstbewusstsein entspannt durchatmen kann. Wenn ich abends nach dem Ausziehen keinen roten Streifen am Bauch habe, keinen Abdruck eines Eindrucks. Der Eindruck, der zurückbleibt, wenn ich flach atmend die enge Jeans tragen kann. Weil ich es kann … also, in der Theorie, die Hose passt. Weil sie einen hohen Stretch-Anteil hat 😉

Relaxed Fit. Viel Stretch, in der Kleidung und im Kopf. Klar, atme ich locker durch die Hose! Letztens habe ich sogar im Laufen meine Unterhose verloren, IN DIE HOSE. Die ist einfach heruntergerutscht. Die sehr weit geschnittene Cordhose konnte das optisch verstecken, aber nicht verhindern. Diese Erfahrung, aus Unterhosen herausgewachsen zu sein, war gleichzeitig witzig wie auch erfrischend. Im Winter spürt man sofort, wenn eine Schicht Wäsche sich einfach verflüchtigt. Davon abgesehen läuft es sich sehr unangenehm, wenn einem die Unterhose in der Hose im Schritt hängt. Ehrlich!

An dem Tag hatte ich allerdings auch keinen roten Streifen am Bauch. Es hat nichts gekniffen. Alles saß locker atmend.

Heute habe ich den Abdruck nur in meinem Kopf. Ich komme langsam an, in meinem neuen Bauchumfang, diese 91 – 92 cm, die ich jetzt so seit dem Fasten im Oktober (mit Kurve nach oben über Weihnachten) trage. Ich finde es sehr faszinierend zu beobachten, wie ich erst unfassbar glücklich über den verringerten Bauchumfang war. Ein tolles, leichtes, beschwingtes Gefühl, das Höschen rutschen lässt. Dass diese Höschen eine 44/46 waren, das ist ja eine Information, die ich für mich behalten kann …

Dieses Gefühl von Erfolg, es verblasst langsam. Eine neue Charge Höschen drängt sich im Schrank in den Vordergrund. Lange nicht gesehen, lange nicht getragen. Vernachlässigt rufen auch Jeans aus dem Schrank, dass sie sich nach Ausgang sehnen. Und diese Höschen und Jeans tun das, was die davor auch getan haben. Sie hinterlassen einen Abdruck, einen roten Streifen am Bauch. Sie engen ein. Sie geben mir das ungute Gefühl, zu viel zu sein.

Bin ich denn jemals zufrieden?

Ich weiß, dass ich im vergangenen Jahr meinen Bauchumfang von optisch schwanger auf nur leicht rundlich reduziert habe. Ich hatte im April des letzten Jahres knapp 100cm Bauchumfang. Frauen in meinem Alter wird zu unter 80cm geraten. Haha. Unter 80cm hatte ich eventuell mit 19. Wenn überhaupt. Ich hatte schon Bauch, da war ich noch gar nicht zeugungsfähig. Und nach den Kindern wurde es dann auch nicht besser.

Jahrelang habe ich mich damit beschäftigt, wie ich den Bauch kaschieren könne. Westen wurden getragen, weite Pullis und Schals, die auch vom Busen ablenken sollten. Enge Jeans, die die schlanken Beine betonen sollten. Nach Möglichkeit auf Hüfte geschnitten, so dass der Bauch dann DRÜBER sein konnte. Im Glauben, niemand sähe das. Darüber hinaus im Glauben, irgendwen interessiere das.

Es stellte sich heraus, irgendwen ist immer niemand.

Allein meine Gedanken hinterlassen Abdrücke auf meinem Körper. Immer kritisch. Immer mit dem seitlichen Blick in den Spiegel. Bin ich denn auch schön genug? Bin ich denn auch schlank genug? Nur schlanke Menschen können erfolgreich sein. Kein Wunder, bin ich es nicht. Wer soll vor mir Respekt haben, wenn ich es nicht mal schaffe, einen flachen Bauch zu haben? Wenn nicht mal mein Bauch erfolgreich knackt, wer soll es dann sonst für mich tun?

Mein Hirn jedenfalls nicht. Das ist so beknackt, das formuliert diese Abdrücke heute noch. Anstelle mich zu feiern, weil ich diese gut 8cm weniger geschafft habe, ruft es laut nach mehr. Es ist nicht zufrieden. Es will alles. Und wenn es alles hat, will es das andere alles. Irgendein alles halt, dass es noch nicht hat. Unterwäsche in 42 reicht nicht. Man stelle sich vor, es wäre unter 80, unter 60, unter 40. Unter 80cm, unter 60 Kilo und unter Größe 40.

Was wäre mit Unter 80, 60, 40?

Ja, was? Schwebten Luftballons vom Himmel, gefüllt mit goldenem Konfetti? Käme Frieden über die Welt? Käme ein Prinz auf einem weißen Roß, um mit mir in die Ferne zu Tanzen? Wäre ich geliebt? Von der Welt? Von mir selbst? Von meiner, Oh Graus, wäre das wichtig? Mutter?

Endlich richtig? Endlich fertig? Endlich geschafft? Endlich die Anerkennung errungen? Wenn ich schon keine Anerkennung bekomme, für den Weg, den ich bisher gegangen bin, dann wird wohl der Verlust von 10cm auch keine Anerkennung mehr auslösen. Meine fünf Kinder sind ja auch mindestens zwei Kinder zuviel. Mein Job hat keinen Namen. Meine Frisur auch nicht. Was soll sie nur den Nachbarn erzählen, wenn die fragen? Was ich mache? Als täte das irgendwelche Nachbarn interessieren …

Jetzt gibt es ja keine Nachbarn mehr. Meine Mutter liegt weiterhin im Heim und bewegt sich nicht. Sie wartet. Auf das Ende. Und sie ist dabei so schlank, dass man quasi durch sie hindurch sehen kann. Ein kleines Häuflein unglücklicher Mensch, der sich nie geliebt hat und sich selbst nie genug war. Und für diesen Menschen wollte ich keinen Bauch haben. Damit ich liebenswert bin. So falsch, wie ich immer war, stand ich doch glatt einfach so da und streckte meinen Bauch raus. Mit 9 Jahren. Das war sehr unvorteilhaft. Daher stehe ich noch heute und mache einen krummen Rücken. Das ist ansehnlicher als ein Bauch …

Sich Auf Richten

Tatsächlich ist es mir gestern beim Tanzen aufgefallen. Ich kippe nach vorne. Also müsse ich mich kleiner machen als ich bin. Gerade stehen ist muskulär immer noch anstrengend. Trotz Fitnessstudio und trotz Physiotherapie. Ich klappe immer wieder ein. Ich muss mich bewusst erinnern, dass ich die Schultern nach hinten ziehe, eine stolze Brust mache und tief einatme. Und auch ausatme. Ich muss mich aufrichten.

Ich darf stolz sein, auf die, die ich bin. Mit egal wievielen Zentimetern rund um meinen Bauch. Ich habe schon viel erreicht, für meine Gesundheit, meine Ausgeglichenheit, für einen starken, aufrechten Gang. Meine Muskulatur wächst erstaunlich freiwillig nach. Es ist an der Zeit, dass ich mich nicht mehr selbst richte. Höchstens – Auf. Mehr Richten ist nicht!

Aktuell gehe ich tatsächlich jeden Tag auf die Waage. Schauen, dass ich mein neues Gewicht halte. Schauen, dass ich nicht zurück kippe. Weil zurück kein Weg ist. Zurück, das ist wie Vergangenheit. Sie hat mich geprägt. Oft auch belastet. Mich im Jetzt behindert. Im Jetzt, da möchte ich Relaxed Fit sein. Weiterhin zum Sport gehen, Muskulatur aufbauen, aufgerichtet bewusst zu meiner Meinung und meinem Körper stehen können.

DAS will ich! Ohne Abdruck am Bauch, ohne Druck allgemein, ohne Angst, zu dick zu sein. Ohne Angst, nicht geliebt zu sein. Da ist viel zu viel negatives in diesem Wording. Ohne Angst, nicht geliebt. Mit Freude, geliebt zu sein.

Ein bewusster Umgang mit meinem Leben. Es ist endlich. Wie viele Jahre will ich noch darüber nachdenken, wie ich aussehe und was andere Menschen dazu sagen? Und obwohl ich die Antwort kenne, tue ich es dennoch. Ich denke darüber nach. Ich denke, andere bewerten mich. Weil ich mich so hart bewerte. Dabei – kann ich echt mal locker durch die Hose atmen. Die Unterhose sagt auch Ja. Die geht sogar einfach, damit das endlich was wird, mit dem Relaxed Fit 😉

Ich weiß, dass es vom drüber schreiben nicht morgen schon gut ist. Meine kritischen Gedanken meiner eigenen Perfektion gegenüber sind so alt, die rutschen nicht einfach eine Stufe tiefer. An guten Tagen – und heute war ein wunderbar guter Tag, daher kann ich das auch einfach so reflektieren und aufschreiben – spüre ich schon, wie die Gedanken rutschen. Und ähnlich wie bei Unterhosen muss ich das auch einfach mal zulassen. Weil, ganz nackt lassen sie mich nicht dastehen. Dafür ist noch genug drumherum.

Genug drumherum. Meine Themen, was Ernährung, Gesundheit und Bauch angeht, sind noch nicht fertig getragen. Aber ich glaube, ich bin auch hier eine Größe kleiner gewachsen. 42. Die Antwort auf alle Fragen. Steht mir gut!

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