Stresslevel 47

Hast du auch so eine Uhr? Die dir sagt, wie weit deine Body Battery aufgeladen ist, wie oft du atmest pro Minute, wie tief du schläfst und – wie hoch dein Stresslevel ist?

Ich habe eine! Gab es letztes Jahr zum Geburtstag und seitdem trage ich die ganz erfreut. In der dazugehörigen App trage ich ein, wie viel ich trinke (über 2 Liter Wasser am Tag, wichtig!), das zumindest kann die Uhr nicht fühlen. Wobei, ein teureres Modell kann vielleicht auch schon den Wasserhaushalt im Körper messen und ob meine Zellen gut durchwässert sind. Wer weiß?

Ich jedenfalls hatte noch nie so absurd hohe Stressleveldaten wie aktuell. Und ich weiß ehrlich gesagt auch gar nicht, wo die herkommen. Ich bin fröhlich, fahre mit dem Fahrrad zur Arbeit, koche gesunde Pommes aus süßen Kartoffeln und spiele Lego mit den Jungs. Was also. Löst denn seit einer Woche diese abnorm hohen Werte aus? Und – sind die korrekt? Was können diese Uhren? Messen die wirklich meinen Schlaf oder wäre es sinnvoller, die Uhr auszuziehen und einfach hinzuspüren, wie geht es mir denn? Wo habe ich denn Stress? Wie viel davon ist sinnvoll für mich? Brauche ich eine Uhr, die mir das sagt?

Das ist ähnlich wie mit dem Navi. Fahre ich eine Strecke nach Navi, finde ich die im zweiten Anlauf auch nur mit dem Navi. Ich habe kein Erleben, kein Lernen, keinen Eindruck der Strecke. Wie bin ich früher gefahren? Angekommen bin ich ja meistens … Habe ich mir eventuell vorher Gedanken darüber gemacht, wo ich hinwill? Und wo das hin sein wird? Einen Stadtplan habe ich jedenfalls nicht während der Fahrt gefalktet, um mir selbst die Sicht zu nehmen. Ich habe vorher geschaut, mir die Strecke gemerkt und bin losgefahren. Ja, auch in Großstädten habe ich meist das Ziel gefunden. Noch besser war, wenn mir jemand beschrieben hat, wie ich das Ziel finde, also – links ist eine Tankstelle, rechts dann ein Bäcker und – schon war ich da.

Und beim zweiten Anlauf habe ich es ganz von alleine gefunden, weil ich mir beim Fahren die Umgebung, die Tankstelle und den Bäcker bemerkt habe. Ich Fuchs.

Ich finde es sehr nervig, wenn mein Sohn ruft, Mama, mach das Navi an. Auf einer Strecke, die ich auswendig kenne. Warum will er das? Damit er sieht, wann wir ankommen. Ja, ist klar, das Navi, die heilige Kuh. Weiß immer, wann wir ankommen. Nicht. Ist wie die Wettervorhersage. Die sagt mir auch drei Tage vorher, ob ich den Kindergeburtstag jetzt absage oder es bleiben lasse. Natürlich glaube ich ihr nicht. Wäre ja auch zu dämlich, wenn dann drei Tage später doch die Sonne scheint. Überhaupt, was spricht gegen einen Kindergeburtstag im Regen? Rein gar nichts! Das kann sehr viel Spaß machen, im Schlamm herumzuhüpfen. Ich habe daher immer auf die Einladungen geschrieben – je nach Wetter anziehen, wir gehen raus! Ohne Navi! Jeder finde seinen Weg.

Ich fahre natürlich inzwischen auch mit Navi an neue Orte. Es erspart mir eine sorgfältigere Vorbereitung. Meist schaue ich erst auf den letzten Drücker, wo muss ich eigentlich hin? Ach oh Schreck, das ist ja doch weiter weg als geplant….
Dieses Navi und seine vermeintliche Sicherheit.

Diese Uhr und ihre vermeintliche Sicherheit, mir sagen zu können, wie ich schlafe. Tief genug? Und wie ich Stress habe. Hoch genug? Niedrig genug? Allerdings hatte ich auf Kur tatsächlich ein Stresslevel von unter 20, an manchen Tagen. Meist lag es so bei 23. Ich überlege gerade, ob ich da wohl überhaupt gelebt habe? Habe ich geatmet? Ich bin unsicher. Eventuell war ich verlangsamt. Irgendwas, das im Essen war? Ich finde es jedenfalls gruselig, wie gestresst ich aktuell bin. Wenn das so weiter geht, essen die Kinder und ich den Rest des Sommers Maoam und Pommes. Das kann nicht gut sein für uns.

Ich überlege, die Uhr auszuziehen. Auch nachts. Es fällt mir allerdings sehr schwer, das zu überlegen, so sehr bin ich schon im Kontrollwahn angekommen. Aber ich will doch wissen, auf welches Konto mein abendliches Fußbad einzahlt. Schlafe ich danach tiefer? Wenn ja, warum?

Das einzige, auf was mein abendliches Fußbad derzeit einzahlt, ist mein Sohn. K4 nimmt jetzt auch ein Fußbad und ich sitze derweil auf dem Klodeckel und wir halten ein Schwätzchen. Im Bad. Danach trockne ich ihm die Füßchen Schuhgröße 47 ab und bin null gestresst.

Ich brauche nur mich selbst, um zu messen, wie es mir geht. Wie ich schlafe. Wie mein Herz schlägt. Wie mein Atem ist. Wie schnell ich Rad gefahren bin. Wobei, wie schnell ich Rad fahre oder wie langsam, das interessiert mich wirklich. Auch, wie mein Herzschlag sich dazu bewegt, ob ich fitter, belastbarer werde. Andererseits – spüre ich nicht auch genau das ohne diese Uhr? Weil, ich sehe ja, wenn ich schneller werde. Und ich spüre, wie schnell mein Herz schlägt.

Ich will mich nicht zu sehr auf das Navi verlassen. Sonst stehe ich, wie vor zwei Jahren, mitten im Wald auf einem unbefestigten Weg, weil ich links abgebogen bin. Stand da, auf dem Navi. War halt – falsch.

Ich gehe jetzt meine Füße baden und denke über mein Stresslevel nach. Und ob ich es schaffe, auf die Uhr zu verzichten und mich wieder in die Ungewissheit meines Lebens zu stürzen. Einfach hinzuhören, wie geht es mir denn? Gut? Verrückt! Da brat mir doch einer einen Storch. In der Pfanne.

Finde ich meinen gesundheitlichen Weg ohne Puls-Stress-Atem-Schlafmessung im Navi meiner Uhr? Tja. Das ist die Frage. Gute Nacht!

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