Wunsch und Wahrheit

Der Wunsch ist ein Üben, im Täglichen.

Täglich das Atmen üben. Täglich Gedanken schreiben. Täglich die linke Hand trainieren. Täglich bewusst sein.

Die Wahrheit? Da hapert es noch arg. Die Wahrheit ist, ich übe nicht.

Ich scheine immer noch im Wunsch zu stecken. Das tue ich schon lange. Egal ob es ein wahrlich schöner Wunsch ist – einer, den ich mir selbst erfüllen möchte, aus ganz eigener intrinsischer Motivation. Oder aber ein wahrhaft schwerer Wunsch – einer, den Andere von mir wünschen.

Ich – tue wenig für die Erfüllung des Wunsches. Ich spiele nicht Lotto. Kein Wunder, gewinne ich auch nie.

Ich erinnere mich, ich habe schon früh begonnen, Fingernägel zu kauen. Jede Woche gab es einmal die Fingerkontrolle, meine Mutter schnitt mir die Fingernägel. Natürlich gab es keine Fingernägel zu schneiden – die waren runter bis aufs Fleisch, oft blutig. Ich habe das Thema immer verdrängt, bis zu dem Tag, an dem klar war – es werden Fingernägel geschnitten. Da war ich schon morgens durch, nervös, unkonzentriert, verängstigt. Ich wusste, am Nachmittag, da gibt es Ärger. Wieder sind die Fingernägel nicht in Ordnung. Warum nur, warum, habe ich wieder an ihnen gekaut? Warum habe ich nicht aufgehört? Letzte Woche Donnerstag wollte ich doch noch aufhören damit! Scheiße!

Es kam jeden Donnerstag Nachmittag – die Schelte, die Enttäuschung, die kaust immer noch die Fingernägel, schämst du dich nicht?
Ähm – doch! Na klar habe ich mich geschämt! Ich war schon 13, 14 Jahre alt und wünschte sehr, mit dem Fingernägelkauen aufzuhören … Es war mir durchaus bewusst, dass das nicht schön ist. Oft habe ich gehört, Menschen achten auf deine Hände, wenn die nicht gepflegt sind, werden sie dich nicht leiden können.

Es folgte – Hände verstecken – heimlich Nägel kauen – und Mittwochs verzweifelt versuchen, das noch zu retten für den Donnerstag, an dem mir die Fingernägel geschnitten wurden – inklusive intensivem Beten, dass die Nägel doch BITTE bis zum nächsten Tag nachwachsen mögen.

Ich glaube, das hat meinen Glauben nachhaltig geschädigt. Es gab kein über Nacht stattfindendes Wunder …

Die Kontrolle hatte ein Ende, als ich mit 16 ausgezogen bin. Eventuell auch vorher schon, ich kann mich nicht genau erinnern. Meine Mutter hatte lange die Macht über die Fingernägel.
Geblieben ist, dass meine Finger nicht so gepflegt sind wie bei anderen. Ich verwende wenig bis keine Zeit auf meine Hände (leider). Schon täglich die Hände eincremen ist eine Herausforderung für mich. In emotional stressigen Momenten wandern einzelne Finger immer noch in den Mund und werden sanft angeknabbert.

Geblieben ist außerdem dieses “auf den letzten Drücker”. Ich übe nicht.
Es gibt etwas vorzubereiten für ein Meeting? Larissa macht das fünf Minuten vorher.
Es gibt etwas zu recherchieren für einen Kunden? Larissa macht das fünf Minuten vorher. Larissa hat einen Termin? Sie kommt fünf Minuten später, weil ihr fünf Minuten vorher noch was eingefallen ist …
(und immer in solchen Momenten schicke ich Stoßgebete zum lieben Gott, ähnlich denen an Mittwoch Abenden – es gibt durchaus Gewohnheiten, die habe ich voll drauf)

Larissa hat Hausaufgaben? Wie jetzt, für die Linkshandrückführung? Klar, einen Abend vorher erledige ich das.

Atemübungen für den Gesangsunterricht???
Ich glaube, ich lege mich mal hin. Atmen. Jetzt.

Zwischen Wunsch und der Umsetzung in die Wahrheit – liegen viele Fingernägel. Ich ahne, es wird einiges an Kraft kosten, bewusst ins Üben zu kommen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert