Ziellos

Der kleine Rebell in mir ruft heute morgen, warum nicht mal einfach ziellos machen? Kann ja auch gut werden!

Seit Monaten beschäftige ich mich mit Zielen. Bessere Ziele, auf die ich besser einzahlen kann. Ein Ziel im Leben. Was ist dein Ziel im Leben? Und ist es auch angemessen groß, so, dass du gefordert bist, es zu erreichen? So, dass es aber nicht zu groß und damit sowieso unerreichbar ist? Und es auch nicht zu klein ist, so, dass es dich langweilt?

Ich weiß, ich weiß. Wir brauchen Ziele, sonst irren wir stundenlang im Wald herum und finden am Ende nicht mal mehr heraus. Das ist auch wenig – zielführend.

Dennoch stresst mich der Hype ums Ziel. Dabei setze ich mir laufend selbst welche, aus gelernter Gewohnheit. Es gab Zeiten, da hatte ich keine Ziele. Eine Zeitlang konnte ich damit unfassbar gut leben. Da war ich zwischen 20 und 30 Jahren alt und jeder Tag, jede Entscheidung war leicht. Ich lebte leicht. Hatte zwei kleine Kinder, die kamen auch ohne Ziel zu mir und wir lebten gemeinsam leicht. Okay, eine gescheiterte Beziehung kam noch on Top. Über die hatte ich eventuell zu wenig nachgedacht – hätte hier eine Zielvereinbarung geholfen? Ich heirate dich, mit dem Ziel, XY. Wenn es nach 3 Jahren nicht eingetreten ist, wars das?

Also, ziellos, im Vertrauen, frei. So war ich. Dann kam der Bruch und eine Beziehung mit einem sehr zielorientierten Mann. Und damit die Veränderung. Ich fühlte mich stetig schlechter, unzulänglicher, fehl am Platze. Dazu kam, dass er ausgeprägte narzistische Züge hatte und ich ein geschwächtes Selbstwertgefühl. Das geschlagene Kind, mit Worten und Gürteln. Ich war empfänglich für seine schlagenden Argumente, seine schlagenden Worte. Ich war ziellos und verloren.

Eventuell könnte man vermuten, dass ein verkopfter, zielgerichteter Mensch einen eher kopflos ziellosen Menschen ergänzt. Sich diese beiden Menschen gegenseitig weiterbringen. Das kann sicherlich sein. Bei uns war wenig Liebe, wenig Vertrauen. Eher viel Kontrolle und – ich habe bis heute keine Ahnung, welches Ziel er mit unserer Beziehung verfolgt hat. Ich weiß nur, als ich es beendet habe, war er schwer wütend. Dass ich sein Leben ruiniert habe. Seinen Plan. Sein Ziel. Die perfekte Familie. Man trennt sich nicht.

Larissa schon. Die trennte sich. Im übrigen schon wieder ohne Ziel. Oder, wenn, dann war das Ziel: Selbstbestimmte Freiheit und Raum zum Heilen

Heilung ist mein Ziel

Ich heile seit Jahren so vor mich hin. Menschen mit Ziel hätten daraus andere Etappen gemacht und wären vermutlich schneller im Ziel gewesen. Ich selbst habe da nicht so eine klare Vorstellung, was ist mein Ziel? Das liegt auch daran, dass ich nicht weiß, wie es sich anfühlen wird. Ich kann es somit nicht beziffern. Äußere Dinge wären eventuell:

  • die Wohnung ist aufgeräumt
  • jeden Tag gibt es einen genauen Plan samt Essen und Einkäufe
  • ich stecke mir den Finger nicht mehr in die Nase
  • und kaue nicht mehr an der Nagelhaut meiner Finger
  • ich gehe vor 22 Uhr ins Bett
  • und ich hänge nicht so oft am Handy

Alles messbare Dinge. Ziele brauchen ja messbare Dinge, die aufs Ziel einzahlen. Ich kann aber auch aufräumen, einen Plan schreiben, das Poppeln aufhören, rechtzeitig ins Bett gehen und mein Handy in Ruhe lassen – sogar meine Finger in Ruhe lassen – und bin dennoch nicht am Ziel. Es ist nur das Erreichen meiner KPI. Mehr nicht. Es bedingt sich nicht wirklich. Also, mir weil die Wohnung aufgeräumt ist, bin ich deswegen nicht gesund.

Oder wie die Kaltakquise mit 60 Anrufen am Tag. 60 geschafft? Super, Ziel erreicht! Erfolg! Ob danach jemand was kauft, egal. Hauptsache, 60 Anrufe geschafft …

Natürlich tun mir Ziele gut. Wenn es dir Richtigen sind. Klar.
Meine Ziele sind selten messbar. Wie misst man Glück? Leichtigkeit? Freude?

Ziellosigkeit ist meine Heilung

Ziele engen mich ein, jedenfalls einige von ihnen. Vor allem aber Menschen, die so blau zielorientiert durch die Welt laufen, stetig Tabellen und Zahlen brauchen, immer in der Sorge vor Morgen leben und dabei das heute auseinander nehmen. Was können wir heute tun, das aufs Ziel einzahlt?

Lass mich überlegen. Leben, eventuell? Lachen? Sich weniger Sorgen machen? Sich keine Sorgen machen? In die Lösung gehen?

Wenn ich mir viele Sorgen um meine Zukunft mache, dann blockiere ich innerlich. Dann kann ich nicht handeln. Nicht leben. Nur grübeln. Traurig sein. Mich schlecht fühlen. Angst haben. Darauf habe ich – null Bock. Ich will leben. Frei sein. Auch mal ein Posting losschicken, ohne zu hinterfragen, welche Zielgruppe das denn lesen soll und was sie damit machen soll. Wie jetzt, zum 15jährigen Bestehen der Firma. Einfach mal Emotionen raussenden. Glück teilen. Mit Allen. Nix Zielgruppe, nix “was sollst du tun”. Einfach nur ab ins Gefühl.

Meine blauteilige Kollegin wünscht sich immer Messbarkeit. Gut, ich werde das emotionale Ding, dass ohne Ziel nach außen geht, mal messen. Ich wette, es bekommt mehr Reichweite als eine Aufzählung unserer Geilheit in Form der besten Produkte, die wir gebaut haben. Jede Wette! Ob es uns Kunden bringt? Wer weiß das schon. Wer weiß schon, wie das Universum unsere Ziele betrachtet? Wer weiß schon, wie Leichtigkeit wirkt?

Ich jedenfalls will wieder mehr Ziellosigkeit in meinem Leben. Ich habe mich auch nicht gefragt, WARUM ich meine Kinder bekommen habe. Welches Ziel ich damit verfolge. Ob das gut für die Umwelt ist oder eher schlecht. Ob das sinnvoll ist. Ich wusste nur, mein Gefühl wünscht sich Kinder. Das war ausreichend. Bestimmt stecken viele innere Dinge dahinter, sich Kinder zu wünschen. Verdammt, ja. Verdammt, nein. Ich habe hier keine Priorisierungsliste für mein Leben als Mutter geführt. Neulich meinte eine Bekannte, meinen Geschichten lauschend: “Du bist so reich!” – Ich konnte erfreut nicken und das ebenfalls fühlen. Ich bin reich! Reich an Geschichten, an Freude, an Liebe, ein reiches Leben. Ich begleite Menschen, helfe ihnen, zu wachsen, über sich selbst hinaus, zu fliegen. Ist das ein Ziel, dass ich vorher hatte? Nein, es ist eines, das sich im Tun ergeben hat.

Das darf für viele Bereiche in meinem Leben ausreichend sein! Meine Ziele entstehen im Tun. Ebenso passen sie sich im Tun an, jedenfalls die kleineren Ziele.

Meine knallhart weichen Ziele –

  • gut gelaunt morgens aufstehen!
  • nie mehr ertrinken
  • Kraulschwimmen lernen
  • Buch schreiben
  • Klavier spielen
  • ein Seil hochklettern können
  • Kraft im Körper spüren
  • schmerzfrei leben
  • gut gelaunt abends ins Bett gehen

Manches davon kann ich im Prozess messen. Wie, heute: 640m geschwommen, 40m mehr als letzte Woche. 6 Bahnen frei ohne Flossen, 2 Bahnen mehr als letzte Woche. Zum ersten Mal auf drei Züge geatmet, also – rechts atmen, drei Züge, auf links atmen, drei Züge, auf rechts atmen –
Die Wende am Ende der Bahn klappt auch besser und ich muss mich weniger lang fokussieren, um loszuschwimmen. Ich kann viel besser – einfach losschwimmen. Das sind alles Messkriterien, und ich bediene die mal mehr, mal weniger intensiv. Aktuell zeigt es mir mein Wachstum auf einer schönen Kurve. Das ist toll. Irgendwann brauche ich das nicht mehr und schaue vermutlich auf die Zeit – wie schnell schwimme ich?

Da bin ich noch lange nicht. Noch schwimme ich und schaue, wie steigert sich meine Ausdauer, die Strecke?

Und wenn sich mal gar nichts steigert, dann steigert sich halt gar nichts. Dann bin ich stolz darauf, dass ich da bin. Dass ich losschwimme. Immer wieder losschwimme. Mein Ziel? Nie mehr ertrinken!

Nie mehr ertrinken! Nie mehr in Zielen ertrinken! Auch mal unmessbare Ziele haben – oder – gar keine! Kein Ziel, viel Zeit, viel Freude. Einfach mal machen. Ich darf so sein, wie ich bin. Etwas ziellos, wenig zögernd, einfach machend. Menschen, die blauer sind als ich, gleichen mich aus – wenn sie ähnlich reflektiert sind wie ich und wissen, dass sie keine Angst vor mir zu haben brauchen. Dann können wir gut miteinander.

Wichtiger Punkt für mich: ich weiß am Besten, was mir gut tut. Ziele mit “3 Kunden in 3 Wochen” blockieren meine Kreativität und meine Kraft. Also taugen sie nicht für mich. Was für andere motivierend ist, am Ziel dran zu bleiben, hindert mich, ins Tun zu kommen. Ich darf lernen, das für mich zu lernen und nach außen zu kommunizieren. Jedem Jeck sin Pappnas!

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