richtig wichtig

Mich richtig fühlen. Richtig schlau. Richtig belesen. Richtig wichtig.

Die richtigen Schuhe tragen! Die richtige Marke!

Dafür gerne sparen, weil es richtig wichtig ist!

Heute, ist es wohl das Handy, jedenfalls für viele Jugendliche, die ich erlebe. Das Handy. Der TikTok-Account. Immer noch, auch, die Klamotte. Die richtigen Schuhe.

Die richtigen Schuhe passen K4 nicht an den wenig richtigen Fuß. Sie sind sehr schmal geschnitten und er hat einen breiten, großen Fuß. Nicht likeable für die Trendschuhe. Ich zwinge ihn in Schuhe, die zu ihm und seinem Fuß passen. Er hat inzwischen verstanden, dass das zu seinem Wohle passiert.

Ansonsten scheint er sehr entspannt zu sein mit den richtigen Dingen. Shirts dürfen keinen Aufdruck haben. Das gefällt ihm nicht. Er muss keine Marke nach außen tragen. Vermutlich steckt schon eine Marke innen drin. Allerdings ist die noch im Verpuppungszustand. Teenager sein, es war noch nie einfach und wird es wohl auch nie sein. Es ist die erste, intensive Persönlichkeitsentwicklungsstufe. Zerrissenheit. Nicht wissen, ist das meine Haut, die mir zu eng wird? Wo fange ich an, wo höre ich auf, wo will ich hin? Wie ticke ich? Und Warum?

Ich habe schon oft gesagt, also, jung möchte ich nicht nochmal sein. All dieses, was man noch nicht weiß, wohin man gehen will und was man kann. Diese Unwägbarkeiten. Da kann ich gerne drauf verzichten! Das war ja auch manchmal wirklich schlimm! Ein Wanken zwischen Übermut und Selbstüberschätzung und bodenloser Traurigkeit. Ein Wanken zwischen Tanzen und die müden Füße ausruhen.

Und dann. Der Spruch sagt ja auch, lächele, es könnte schlimmer kommen! Und ich lächelte und es kam schlimmer!

Scherz! Jedenfalls, und dann kommen die Mittvierziger und auf einmal. Bist du wieder Teenager. Mit all den Möglichkeiten, die sich bieten, um dein Leben nochmal auf links zu drehen. Die Sehn sucht im Herzen, wie weit sie gehen kann. Welche Grenzen noch zu überschreiten sind. Welche Grenzen offen sind. Wird es nur das Nachbarland oder direkt ein anderer Kontinent?

Midlifekrise gibt es auch bei Frauen. Wir nennen es gerne „Wechseljahre“, und das hat tatsächlich nicht nur was mit Hormonen und Fruchtbarkeit zu tun. Es ist viel mehr als das. Und nicht nur Männer wollen dann ein neues Auto, eine jüngere Freundin oder andere Statussymbole, um auszugleichen, dass sie sich gerade nicht fühlen können.

Wollte ich darüber schreiben? Nein, wollte ich nicht. Ich wollte eher darauf schauen, was mir denn wichtig war. Wie ich mich gesehen und wie ich wahrgenommen habe. Als ich noch ein Teenager war. Wo meine Unsicherheiten saßen. Handys waren es nicht, die gab es noch nicht. Es ging auch nicht um Haus und Grund der Eltern, mit dem man schon damals angeben konnte. Mein Vater ist. Mein Vater macht. Hat mich nie interessiert und beeindruckt mich auch heute nicht. Mich beeindruckt nur, was machst du?

In der 8. Klasse war ich MEGASTOLZ darauf, dass ich endlich ein Chemiebuch im Schulranzen hatte. Ich habe es oft im Bus herausgeholt, damit Mitreisende wahrnehmen mögen, dass ich schon so alt bin und Chemie im Unterricht habe! Ich ahne, ich wollte gerne – erwachsen wirken – und hatte die Hoffnung, dass das über meine Schulbücher wahrgenommen wird 😉

Mit wahrscheinlich 19 oder 20 (eine Zeit, an die ich mich im Ganzen sehr intensiv erinnern kann, aber meist nicht weiß, wie alt genau ich war) habe ich gerne „wichtige“ Bücher gelesen, um als belesen wahrgenommen zu werden. Ich erinnere eine Zugfahrt nach Berlin zu meiner Schwester, und ich las demonstrativ „Zärtlich ist die Nacht“ von F. Scott Fitzgerald. Ich meine, mich erinnern zu können, dass meine Schwester, die 10 Jahre älter ist als ich, den Move durchschaut hat. Ich habe mich jedenfalls gerechtfertigt, wie toll das Buch doch sei. Ich glaube, ich werde es heute mit anderen Augen lesen. Lesen werde ich es in jedem Fall und bald. Zu viel Erwachsensein und passend fühlen hängt an dieser Erinnerung.

Im gleichen Alter ging es los mit den Konzerten und meinem Arbeiten in Konzertagenturen. Ich hatte oft einen Pass um den Hals hängen. AAA. Access all areas. Ich war (endlich) wichtig! Und das ganz ohne Buch in der Hand! Meine Wichtigkeit hing mir zum Halse raus! 😉
Und ja, ich habe mich groß gefühlt. Wichtig. Gesehen. Gesehen, wie ich neben der Bühne verschwinde und etwas wichtiges erledige. Gesehen von vielen ganz normalen Konzertbesuchern. Rennend, um ein Problem zu lösen. Verantwortlich, für einen Haufen Kram, von dem ein normaler Konzertbesucher keinerlei Ahnung hat. Mich groß fühlend, weil ich größer war.

Tatsächlich – hat die Magie des Reisepasses ins Backstage lange angehalten. Noch heute wachse ich innerlich, wenn ich mir ein Lanyard um den Hals lege. Es ist albern, aber es funktioniert. Ich bin dann – im Team. In welchem auch immer. Ich fühle mich ausgezeichnet.

Als noch junger Teenager war ich bei den Pfadpfindern. Bei den Adventisten hieß das „Jungfreunde“ und ich habe unsere „Uniform“ mit Stolz getragen. Es gab auch Abzeichen, die man machen konnte, über den Wald, die Wiese, das Weltall. Bestandene Prüfungen wurden auf dem Ärmel getragen. Es war ein Stolz, das nach außen zu zeigen. Ich bin Experte! In was auch immer …

Ich stelle fest, ich bin leicht zu haben. Leicht zu beeindrucken. Leicht, mich selbst zu beeindrucken. Einzig, ich habe es schnell gemerkt, wenn auch oft unbewusst. Dass es Fake ist. Dass wahre Zugehörigkeit und wahre Wichtigkeit dir nicht um den Hals baumeln. Dass du nicht das passende Handy brauchst, es reicht, einfach eines zu haben. Dass du nicht geiler bist, nur weil du als A-Promie auf eine Aftershowparty eingeladen wirst. Ich war auf diesen Partys. Ich, die ich eine strahlende Plapperlarissa bin, die mit Jedem reden kann, der echt ist. Auf diesen Partys war ich unsicher, stumm, es war ein komisches, mich selbst in Frage stellendes Gefühl. Erst später habe ich bemerkt, dass das nicht an mir lag. Und ich ganz richtig war. Nur die Anderen A-Promis, die waren – unecht, eine Maske, ein Pass um den Hals. Es kamen keine echten, tiefen Gespräche auf. Nach ein wenig kleinem Sprechen blieb nur heiße Luft und ein „ich hole mir noch ein Getränk“. Es gab nichts tiefes, über das wir hätten sprechen können.

Und ich, ich will immer die tiefen Gespräche. Ich gehe sehr schnell, nahezu übergangslos aus dem Smalltalk in den Deeptalk. Ich schnappe mir eine Kleinigkeit, die mir im Smalltalk vor die Füße fällt, und steige darauf ein. Das können die Kinder sein, der Frust oder die Lust im Job, die kranke Katze oder der Versuch, endlich schwimmen zu lernen. Anything is possible. Nur, an der Oberfläche herumpaddeln, und das über mehrere Stunden, das liegt mir nicht. Da bekomme ich einen Krampf in den Armen, den Beinen, der Nacken wird zu sehr überstreckt und ich will mir dringend was zu trinken holen.

Ich stehe auf echte Gespräche. Mit Tiefgang. Wirklich glücklich bin ich, wenn ich das haben kann. Egal ob mit alten Bekannten oder neuen Unbekannten. Ich will ein Gespräch. Mit echten Gefühlen. Und ich bekomme das auch. Wie gestern beim Friseur. Die Menschen erzählen mir gerne. Und oft. Und schnell. Ich glaube nicht, dass ich die richtigen Fragen stelle. Sondern eher, dass es daran liegt, dass ich immer in Vorleistung gehe. Ich erzähle von mir. Gebe ein Geheimnis preis. Ich schenke meine Geschichte zu dem Thema. Und bekomme ein Geschenk zurück. Und das verbindet mich, mit meinen eigenen Geschichten und mit meinem Gegenüber. Es schafft ein Gefühl von Vertrautheit. Und dann – und auch erst dann – kann ich mir Namen merken, von Menschen. Weil ich etwas gefühlt habe.

Mein Problem ist, ich fühle wenig. Fühlen, das habe ich verlernt. Ich erzähle meine Geschichten inflationär. Im Internet. Weil ich keinerlei Schmerz damit habe. Ich habe auch keine Sorge, was daraus passieren könnte. Ich kann kein Negatives dahinter sehen, da ich nur Positives damit erlebe. Daher – erzähle ich weiter und suche nach den Möglichkeiten, die Brücke zu schlagen. In eine echte Verbundenheit. Und dann! Dann ist es mir möglich, zu fühlen. Dann habe ich Zugang zu mir und fühle mich ganz.

Dafür braucht es keinen Pass um den Hals, kein Buch von F. Scott Fitzgerald und keine Chemie. Wobei. Chemie ist schon wichtig. In das Buch darf ich mal wieder meine Nase stecken!

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