Tag 20

Hans und ich, wir sitzen am Tisch. Hans in meiner Sweatjacke, Schnabel voraus, ein paar Krümel Zitronenwaffeln hängen ihm im Fell. Wir haben – Fasching gefeiert, heute. Rosenmontag. Und Hans ist müde.

Hans, das ist mein Pinguin. Mein zuckersüßer, blauer Pinguin, knuddelmuddelweich, mit großen blauen Augen und einer orangefarbenen Nase. Hans, das ist die ganz große Liebe.

Jeden Abend geht es Thema von neuem los, wenn K5 bettelt, Hans mit in sein Bett nehmen zu dürfen. Neben 300 anderen Kuscheltieren ist gerade Hans DER Pinguin, den er besonders begehrt.

Warum? Na, ganz einfach. Hans gehört mir. Das erhöht die Begierde ungemein. Immer mal finde ich Hans in seinem Bett, bereits zugedeckt oder eher – begraben unter den anderen 300 geliebten Kuscheltieren.

Und nein, ich habe keine Ahnung, welchen geistigen Nährwert es hat, von Hans zu erzählen. Besser ist es sicherlich, über die Krümel in seinem Fell zu sprechen. Die nach Zitrone riechen.

Faschingswahnsinn

Heute ist Rosenmontag. Morgen ist Faschingsdienstag. Beides DIE Tage für Menschen, die sich gerne mal als Hans verkleiden – ich weiß, Fasching beginnt schon früher, viel früher. Mir reichen aber diese beiden Tage um völlig gestresst zu sein. Zur Beruhigung sitzt mir ein Hans im Nacken und krümelt mich mit Zitronenwaffeln voll.

Ich werde eventuell doch alt. Oder, ich bin eventuell schon immer alt. Mit Fasching konnte man mich schon mit Anfang 20 erschrecken. Umzüge geben mir nichts (außer Panikattacken, weil da viel zu viele Menschen herumfallen). Parties sind anstrengend (selten wird so viel gesoffen wie an Fasching. da kann nur Silvester mithalten). Kostüme sind viel zu teuer (und wenig nachhaltig – nach einem Fasching sind die hinüber) und von Kreppeln oder Krapfen wird mir schlecht (ich vertrage Dinge, die in Öl ausgebacken werden, nur in kleinen Dosierungen).

Fasching also. Hurra, Hurra, die Schule hat zu!

Auch so eine Erfindung, die beweglichen Feiertage. Seit 19 Jahren freue ich mich über bewegliche Feiertage an Rosenmontag und jetzt auch an Faschingsdienstag. Was waren das noch für Zeiten, als wir in der Schule zwei Tage lang Quatsch gemacht haben. An Fasching 😉
Wir hatten jede Menge Spaß und irgendwie keinen Unterricht. Jetzt ist das ja genauso, nur, dass die Lehrer:innen daheim bleiben können und der Spaß jetzt – woanders stattfindet. Bei mir daheim, zum Beispiel 😉

Oder – am Nachmittag – beim Kinderfasching im Steinbruch. Da gehe ich sogar gerne hin! Da bin ich schon vor 19 Jahren mit K1 und K2 hingegangen. Das Steinbruch-Theater ist ein alter Rockschuppen in der Nähe von Darmstadt. Oll und schräg. Echte Mucke, echte Menschen. Schminken und Aufhübschen ist da vollkommen unnötig. Komm, wie du bist und sei, wer du bist.

Ich habe es geliebt! Als K1 und K2 noch klein waren, war ich jeden Donnerstag Abend tanzen im Steinbruch. Ich hatte damals schon einen Heimarbeitsplatz (als das noch völlig unüblich war) und habe flexibel gearbeitet. Morgens bis Mittags, Nachmittags war ich für die Kinder da, abends dann nochmal 2-3 Stunden, bis Mitternacht meist. Und dann war ich einmal die Woche tanzen! Ich behaupte, dass das meine Rettung war! Es hat mich glücklich gemacht!

Heute stand ich also mit K5 vor dem Steinbruch, der auch schwere Zeiten hinter sich hat. Krank war, geschlossen war er, wieder geöffnet hatte er, dann kam Corona … und jetzt, dieses Jahr, endlich wieder wie früher: Kinderfasching mit Disco! Und mein König und ich, mitten drin. Hans haben wir daheim gelassen … Der ist noch zu klein für so eine Sause!

K5 war dezent überfordert. Wären die Zeiten andere gewesen, wäre er schon als Baby in den Steinbruch gegangen. Wie seine Geschwister auch. Zu dem Zeitpunkt war ich allerdings so schwer depressiv, dass meine mittleren Kinder ohne eine Faschingsparty auskommen mussten. Die hatten Faschingsparty im Hort, das war damals ausreichend. Und Baby K5 war somit nicht im Steinbruch.

Heute ist Baby K5 selbst im Hort und hat dort morgen auch eine Kinderparty. Heute aber war ein “normaler” Rosenmontag. Schule und Hort hatten geschlossen, K1 und K3 haben am Vormittag viel mit K5 gespielt, ich habe gearbeitet. Wie gestern frisch umgeplant …

Und dann standen wir heute Nachmittag vor dem Steinbruch. Kinder wuselten, die Musik war laut, Nebel aus der Nebelmaschine, überall Luftballons und Luftschlangen und mitten drin – ich. Und mein Sohn. Und alte Bekannte, die auch schon seit 19 Jahren zum Fasching in den Steinbruch gehen …

Der Hort von K1 und K2. Also, einige der Erzieherinnen von damals standen heute auch im Steinbruch und – wir haben uns direkt wiedererkannt. Sind ja auch kaum ein paar Jahre vergangen, nicht? Sie wussten auch noch, welche meine Kinder waren, damals. Wir haben offenbar Eindruck gemacht. Oder waren so kommunikativ, dass wir in Erinnerung geblieben sind. Und ja, man hat sich auch ansonsten in den letzten Jahren immer mal in der Stadt gesehen. Ja. Ist halt eine kleine Stadt hier.

Heute Nachmittag sagte eine der Damen, dass ich noch genauso aussähe wie damals. Ich habe daraufhin ein Selfie von mir gemacht und kann mitteilen – das stimmt nicht. Da sind Falten, mein Gesicht hat sich verändert, meine Nase ist viel größer (die war schon immer sehr groß). Ich sehe sicherlich nicht mehr aus wie vor 19 Jahren.

Ich fühle mich aber so, wenn ich vor dem Eingang stehe – die Treppe hoch gehe – ich spüre, wie das war, ich kam ja immer sehr spät an den Donnerstagen. Meist nach Mitternacht. Ich bin die Treppe hoch, habe dabei die Jacke ausgezogen und irgendwo unter einen Tisch gepfeffert, und dann bin ich ohne Umwege auf die Tanzfläche und habe – den Raum erhellt. Gestrahlt. Gefeiert. Getanzt. Gelebt. Es war egal, wie anstrengend die Woche davor war, es war egal, wie müde ich war – hier war ich einfach ich!

Um 3 Uhr nachts wurde ich dann meistens rausgekehrt, gerne auch mit einem sanften Liedstupser bei heller Beleuchtung. Ein Lied noch für Larissa, zum Auskehren. Zum Glück musste ich nie wirklich kehren. Ich durfte dann nur heim gehen …

Jetzt überlege ich, wann ich mal wieder im Steinbruch tanzen gehe. Sie haben den Donnerstag jetzt auf den Montag gelegt und Vintage genannt. Es kommen wohl viele, die so sind wie ich – mittelalt und mittelalterlich. Rustikal, normal. Ohne Schnick, dafür mit viel Schnack. Normale Menschen eben, die gerne tanzen.

Heute gehe ich jedenfalls nicht. Hans ist schon müde und ich muss ihm noch die Krümel aus dem Fell bürsten. Außerdem habe ich den Muskelkater des Todes vom Joggen gestern. Peinlich! 40 Minuten joggen, und heute kaum noch vom Stuhl aufstehen können. Das ist ja prima!

Ich war auch vor 19 Jahren oft sehr müde. Damals alleine mit einem 7jährigen und einer 5jährigen. Allein, erziehend, müde, sucht –
Das ist gut 19 Jahre her, dass ich den Vater von K3 und K4 kennengelernt habe. Ein Freund einer Freundin, mit der ich oft im Steinbruch tanzen war. Ironie des Schicksals. Mit ihm habe ich das Tanzen aufgehört –

Dieses Jahr sind es dann auch 10 Jahre seit der Trennung von diesem Mann. Vielleicht an der Zeit, den Hans zu K5 ins Bett zu legen und mal wieder tanzen zu gehen. Gerne auch montags. Nur bitte ohne Muskelkater. Und ich kann ja auch um Mitternacht heim gehen … vermutlich bin ich dann schlagskaputt am nächsten Tag, aber eventuell dennoch happy? Ich werde es testen! Eventuell auch noch in diesen 28 Tagen Content, damit ihr das nachlesen könnt 😉

Von damals gibt es noch aufgeschriebene Geschichten. Die liegen im Keller. Vielleicht sollte ich mich mal zurücklesen. Ich ahne aber, dass das genauso zeitintensiv wäre, wie, alte Bilder zu sortieren … Schön, sentimental, danach hat man dann Rückenschmerzen, weil man so verkrümmt da herumsitzt.

Die Zeit, sie vergeht. Sie hinterlässt ein paar lustige und ein paar traurige Geschichten. Und auch die verblassen mit der Zeit. Wie alte Fotografien. Schön, wenn man eine Möglichkeit findet, sie zu konservieren. Vielleicht hier, auf diesem Blog. Ich ahne, wenn ich in weiteren 19 Jahren lese, wie es mir 19 Jahre zuvor ging, werde ich mich dabei auch an den Geruch von Zitronenwaffeln erinnern!

Eine Antwort zu „Tag 20“

  1. […] Wer Hans ist? Just read here: Tag 20 […]

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