Tag 26

Heute, chillen auf dem Sofa und endlich mal die Füße hoch legen! Das hatte ich mir doch gewünscht.

Hatte ich? Nein, hatte ich nicht. Das ist eines von den Geschenken, das ich mir nicht gewünscht habe. Ich darf dann noch herausfinden, was ich damit anfangen will. Ob es zu irgendwas Nutze ist. Zum Wäsche waschen taugt es jedenfalls nicht.

Beim Schrott – Wichteln kann ich das auch nicht einsetzen – den Schmerz am Fuß wünscht man auch niemand. Wobei es jetzt ein harmloser, nahezu unwichtiger Schmerz ist, weil, es ist nichts gebrochen. Daher ist im Grunde nichts.

Das Nichts ist allerdings voll fett und tut böse weh, trotz Mittel zum Schmerz. Ich kann quasi nicht auftreten und jeder Gang, auch der zum Kühlfach, um ein Eis, äh, ein Kühldings für den Fuß zu holen, ist Hölle anstrengend. Ich will auch nicht trinken, ich könnte ja aufs Klo müssen.

Ich will nicht jammern, weil, ich hab ja nichts. So jedenfalls fühlte ich mich gestern, in der Notaufnahme.

Ein mir sehr vertrautes Denken. Ich wollte ja gestern schon nicht in die Notaufnahme gehen, weil, bestimmt lachen die über mich, ich habe ja nichts. Andere sind schlimmer krank, und ja, das ist tatsächlich so. Andere sind aber auch nicht im Kopf krank. Oder vielleicht ja doch?

Nach dem Röntgen war klar, die Knochen sind intakt. Danach fühlte ich mich, als sei ich störend. Nicht wichtig. Es gab noch einen Salbenverband. Nicht mal etwas Stützendes. Es können durchaus auch die Bänder sein, und vielleicht wäre es nett, mit dem Rollstuhl raus zum Auto gebracht zu werden. Vielleicht.

Stattdessen humpelt man mehr schlecht als recht aus dem Krankenhaus, mit einer Tasche und einer Jacke im Arm, an der Hauswand entlang, zum Auto. Immerhin mein Schwiegersohn ist aufmerksam. Spontan fühlt man sich sehr alt. Kann nicht laufen und der Schwiegersohn ist sehr aufmerksam 🙈

Im Krankenhaus der Hinweis, ich solle das Bein hoch legen und kühlen. Leichter Vorwurf in der Stimme. Leichter Frust in meiner Antwort. Ich hatte nicht die Möglichkeit, das Bein hoch zu legen und ich habe auch nichts zum Kühlen bekommen. In den knapp vier Stunden, die ich da war. Ach – ich hätte dafür mehr Verständnis, wenn viel los gewesen wäre. Es waren aber nur drei Patienten in der ganzen Zeit…

Ich kämpfte heute damit, dass ich den Fuß nicht belasten kann und jeder Weg weh tut. Sogar im Liegen tut es weh. Und ich kämpfe mit diesem depressiven Gefühl, nicht wert zu sein. Als Mensch nicht wert zu sein. Ich weiß, dass ich wertvoll bin, und den Kampf gewinne ich auch. Es ist aber kein leichtes, wenn man allein ist und einem niemand hilft. Freunde haben das zwar angeboten, ich kann aber auch kaum zur Tür gehen, die müsste ich ja öffnen.

Und wenn ich denke, dass ich es ja nicht wert bin, dann öffne ich keine Türen… Ich will niemand zur Last fallen. Ich bin nur ein Schatten, ein Umriss.

Diese fatalen Gedanken gehen einem durch den Kopf, wenn Personal wie gestern im Krankenhaus ihren Job so schlecht machen. Ich schleppe mich an der Rezeption vorbei, drei Damen drin, die mir dabei zusehen, wie ich in den Behandlungsraum hüpfe. Da hole ich doch mal einen Rollstuhl oder nehme der Person zumindest die Tasche ab.

Vielleicht frage ich auch, geht es Ihnen gut? Tut es weh? Ja, es tut weh, behandelt zu werden als sei man ein Fuß. Ein klein wenig Emphatie, nur ein Fitzelchen, hätte auch der Frau im Nebenraum mit Rückenschmerzen gut getan. Die hat sich mehrfach entschuldigt, überhaupt vorbei gekommen zu sein. Der ging es ähnlich wie mir. Nur, ich habe mich nicht entschuldigt. Immerhin das habe ich gelernt.

Ich habe versucht, ein Gespräch zu beginnen. Das tue ich immer. Zudem mache ich auch immer gerne einen Witz, ich bin sehr ironisch und kann mich wunderbar selbst auf den Arm nehmen. Ich öffne immer einen Raum für Austausch. Was ich lange nicht mehr erlebt habe, ist so eine tiefe Stille. Niemand kommt mit in den Raum. Die Menschen, die ich gestern vor Mitternacht in der Notaufnahme erlebt habe, sind unglücklich, unsichtbar und mein Fuß ist im Vergleich tatsächlich kein Problem, weil – mir geht es sonst gut! Und das strahle ich sogar mit Schmerzen aus. Ich bin in einem Leben, das mir gut tut. Mit einem Sofa, auf dem ich mich wohl fühle.

Nur am Ende, als klar war, dass ich nichts habe, kamen diese depressiven Gedanken und eine leise Wut, nicht gesehen zu sein. Ich hatte ehrlich noch nie eine so schlechte Erstversorgung wie gestern. Aber ich habe auch Verständnis und ein wenig Mitleid. Gestern waren Menschen in der Notaufnahme, die mehr meiner Hilfe bedarft haben als ich ihrer.

Unser Gesundheitssystem krankt und die Menschen, die darin arbeiten, auch.

Ich ruhe derweil aus und überlege, wie ich nachher mit den Kindern klar komme, wie ich Essen machen kann und all das. Es wird nicht einfach. Mal wieder. Und es interessiert im Grunde niemand. Das ist so. Das sind die Dinge, die man alleine schaffen darf. Das kenne ich schon aus den schweren Tagen der Depression, als ich nur liegen konnte und kaum in die Küche kam, um den Kindern etwas zu essen zu machen. Daraus kommst du nur allein. Weil sich niemand für dich Zeit nimmt.

Manchmal wünsche ich mir einen Partner. So ganz manchmal. Es wäre schön, Ablenkung zu haben, ein fröhliches Gespräch, jemand, der einem das Kühlpad am Fuß anlegt. Jemand, mit dem man gemeinsam ist, füreinander ist. Aber hey – Depressionen machen einsam. Und jetzt bin ich zwar nicht mehr depressiv, aber einsam bin ich dennoch. Ich habe meine Kinder, die mich brauchen und Freunde, die ihre eigenen Beziehungen pflegen. Ohne Vorwurf. Die kommen nicht und kochen mir was. Die kochen für ihre eigenen Familien.

Ich sollte mehr raus gehen. Menschen kennenlernen. Vielleicht finde auch ich dabei jemand, der sich ein Wir mit mir vorstellen kann. Daheim werde ich das nicht herausfinden. Also, los geht’s!

Eine Antwort zu „Tag 26“

  1. […] Tag 26 liest man meine Themen deutlich zwischen den Zeilen. Ich gebe mir selbst etwas Mut, am Ende des […]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert