Achtung! Störung!

In meinem Kopf summen heute Ohren. Beziehungsohren. Appellohren. Ich habe gefühlt keine anderen Ohren. Ich höre Kritik und habe das Gefühl, noch mehr tun zu müssen, um gut genug zu sein. Ganz oft. Mein Sachohr habe ich gegen Schokolade eingetauscht und die Frage meiner Kollegin, warum ich eigentlich so viel persönliches teile, googelt mir eine Persönlichkeitsstörung.

Himmel hilf, ich bin gestört!

Es stellt sich dann halt die Frage: stört mich das?

Oder ist es okay für mich, gestört zu sein?

Was stört denn genau?

Mein Feedback war recht eindeutig. Und gerade Punkt 1 ist mir auch total bewusst, es ist der Part, der mir besonders weh tut, weil ich er mir besonders bewusst ist. Ich bin eine Quasselstrippe, ich interessiere mich fast ausschließlich für mich selbst und ich lasse das mein Umfeld hören. Indem ich gerade in stressigen Situationen ihre Gedankenworte unterbreche. Ich störe. Ich will, dass es schneller geht. Es dauert mir alles zu lange. Ich will meine genialen Ideen an die Frau und den Mann bringen. Sofort natürlich. Und, bedauerlicherweise will ich auch diejenige mit den besten Ideen sein. Ich will gewertschätzt und bewundert werden.

Und so plappere ich mich seit Grundschultagen durchs Leben.

Klassenclown. Hier.

Nicht erstgenommen. Hier.

Sich oft geschämt deswegen. Hier.

Voll gestört. Hier.

Warum tue ich das?

Mangel an Wertschätzung. Stetige Kritik an der eigenen Person. Kaum Können. Viel Improvisation. Dazu, diese absurde Schnelligkeit im Denken, Bewerten, Abwägen. Andere fangen den Gedanken an, ich war schon einkaufen und habe die Girlanden aufgehängt. Damit macht man sich keine Freunde und Gäste kommen auch nicht zum Fest …

Was kann ich tun, um mehr zu werden, wie der Rest der Welt?

Will ich werden wie der Rest?

Oder ziehe ich mich einfach zurück und werde klein?

Einsam bin ich auch so schon, da kann ich auch weiter fröhlich vor mich hin plappern?

Bin ich wirklich so emphatielos wie ein Stein?

Warum werfe ich mich in die Menge?

Warum ist es mir wichtig, wichtig zu sein?

Warum bin ich so arrogant und beziehe alles auf mich? Es ist ja absurd – dass immer ich gemeint sein könnte glaube ich ja selbst nicht.

Ich hadere mit mir selbst. Zwischen – so will ich in keinem Fall sein – und – so bin ich leider. Ich habe oft gedacht, gerade in den intensiven Phasen der Depression, dass ich eine Psychopathin bin. Ohne Gefühl. Nicht mal für mich selbst. Eiskalt. Ein Killer von Emotionen.

Dein Hund ist gestorben? Und du bist unglücklich deswegen? Da rufst du besser nicht bei mir an. Ich habe dafür kein Gefühl. Es ist mir einfach egal. Zum einen habe ich keinen Hund und auch keine Katze. Zum anderen bin ich da schrecklich rational. Es ist ein Haustier. Die sterben in der Regel im Zeitraum X. Das ist normal. Komm klar damit.

Dein Kind ist gestorben? Andere Geschichte. Das kann ich fühlen, so sehr, dass ich beim Gedanken daran direkt anfange zu weinen. Da bin ich Gefühl.

Also doch nicht ganzheitlich gestört? Noch ein wenig Normalität vorhanden?

Wenn es kleinen Kindern schlecht geht, werde ich traurig, wütend, will etwas verändern, bin betroffen, weine, tröste, kann es kaum glauben. Es nimmt mich mit.

Warum?

Das ist eine einfache Frage. Ich bin oft noch ein kleines Kind, dem es schlecht geht. Ab und an schreibe ich darüber. Mein Mangel an Liebe in den ersten Lebensjahren hat mich zu dem Mädchen gemacht, dass ich heute bin. Ich unterlasse hier bewusst das Wort Frau. Ich bin Mädchen. Ich suche Schutz. Ich bin einsam. Ich bin unfertig. Ich bin falsch. Ich bin zu laut. Ich rede die ganze Zeit, damit ich mir selbst nicht zuhören muss. Ich will geliebt werden.

Für Liebe braucht es Vertrauen. Vertrauen in mich selbst. Vertrauen dahin, dass ich okay bin, wie ich bin. Auch mit den beschissenen Komponenten. Auch mit Störungen. Dieses Vertrauen darf ich mir selbst aufbauen. Als Kind habe ich es nicht bekommen – es gab kein „du bist okay und wir lieben dich“. Es gab nur „du bist falsch und wir schämen uns für dich – was soll aus dir nur werden!“

Aus mir wurde eine kommunikative Störung. Ewig sprechend, ewig erzählend. Eloquent und begeisternd. Nervig und anstrengend. Je nach Ohr, das mich hört.

Ich weiß, die hohe Kunst ist, sich auch dann zu lieben, wenn man Scheiße ist. Die eher negativen Anteile anzunehmen und mit ihnen zu leben. Hinzusehen, wann zeigen die sich denn besonders deutlich. Und was hilft, damit die positiven Aspekte auf der Bühne stehen? Die habe ich ja auch. Nicht alles ist hier gestört.

Ich störe ungern. Im Grunde will ich niemand stören. Es stört mich, dass ich eine Störung habe. So wie im Vertrieb, ich will ja auch keinen Vertrieb machen. Es stört mich, weil ich andere Menschen stören könnte. Ich will nicht als unangenehm wahrgenommen werden. Da erzähle ich lieber noch einen Witz …

Traurig. Wenn der Clown sich abschminkt, ist da kein Lächeln mehr. Nur tiefe Erschöpfung und Stille.

Stille, wie ich sie heute in der Sauna hatte. Der perfekte Ort zum Fühlen und Denken und in mich hineinhören. Um über meine Ohren nachzudenken. Und um mir Gedanken zu machen, wie ich weiter wachsen kann. Sinnvoll wachsen kann. So, dass es mir gut geht. Für einen störungsfreien Alltag und störungsfreie Gefühle.

Ich übe jetzt. Weniger zu sprechen, andere aussprechen zu lassen, und ich mache mir in Meetings jetzt eine Strichliste, wie oft ich unterbrechen will – wie oft dieser Impuls hochkommt, etwas dringendes sagen zu wollen. Und warum. Liegt es an bestimmten Personen? Wenn ja, was kann ich ändern in der Zusammenarbeit? Wie kann es besser werden?

Ich will echt viel. Die gestörte Kollegin aus der Hölle will ich nicht sein. Mir ist das Seelenleben meiner Kollegen eventuell egal – die dürfen ruhig auf sich selbst aufpassen, das ist nicht mein Job – aber! Aber ich brauche auch ein Maß an guter Kommunikation, für mich und für die Zusammenarbeit. Ich will mich auch wohl fühlen. Und ich fühle mich mit meinem „ich unterbreche dich“ total unwohl.

Dahinter steht – viel Unsicherheit. Immer noch. Ich darf weiterhin nachwachsen. Für mich und die Liebe zu dem kleinen, wunderbaren Mädchen, dass ich war.

Ich wünsche mir kein Mitleid. Nur Verständnis. Und verdammt, achtet auf eure Kinder. Nehmt sie in die Arme, liebt sie, für das, was sie sind. Unperfekte Wunder.

Ich lerne zu lieben, was ich an mir nicht mag. Auch das gehört dazu. Alles in kleinen Schritten. Sind wir nicht alle ein wenig Bluna?

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