Ekel

Ich bin hart im Nehmen. Auch wenn es eklig wird. Wenn du das nicht bist – liest du besser etwas Anderes. Weil ich mich einem Gefühl annähere, dass ich nicht fühle. Oder, wenig fühle. Wie Angst. Meine Schutzmechanismen sind unterentwickelt. Es ist ein Wunder, dass mich noch niemand im Park mitgenommen hat, des Nachts 😉

Tatsächlich fühle ich Ekel und auch Angst. Aber nur diffus, sie greifen von unten nach mir, machen sich bemerkbar. Wenn ich in großer Höhe bin und es wackelt (ja, im Kletterwald!). Das ist dann Angst. Ich lache die dann weg. Und wenn ich durch Unterführungen laufe und es riecht nach Pisse, dann ekele ich mich. Und gehe schneller. Schneller gehen und lachen, sehr hilfreiche Methoden …

Das sind keine alltäglichen Momente. Ich bin selten im Kletterwald und ich laufe selten durch Unterführungen. Daher bin ich selten mit meiner Angst und meinem Ekel konfrontriert. Im Alltäglichen schließe ich nie die Tür ab (wer rein will, schafft das auch mit abgeschlossener Tür) und bin auch ansonsten sehr vertrauensvoll. Und Ekel – ja, den spüre ich, aber eher im Extremen. Mottenbefall einer Nusstüte jagt mir den Ekel über den Rücken. Das habe ich nun auch nicht täglich. Zum Glück!

Du wir momentan an der Oberfläche ziemlich ordentlich sind, habe ich heute weiter in die Tiefe gearbeitet. Das kleine Bad war dran, in dem jetzt der neue Spiegelschrank hängt. Das Bohren hat Dreck verursacht. Außerdem standen über Monate Dinge aus dem alten Schrank in der Gegend herum. Das ganze kleine Zimmer war vernachlässigt. Es ist auch “nur” der Ort, an dem K5 auf Klo geht und sich die Hände wäscht (das Waschbecken hängt niedriger) und wir unsere dreckige Wäsche sammeln. Warum sollte man damit auch ordentlich umgehen? Ab und an das Klo putzen, das reicht doch?

Offensichtlich reicht das nicht. Ich habe heute Alles sauber gemacht. Auch die Fliesen. Überraschend wurde mir klar, warum es ab und an in diesem Raum nicht so gut riecht. Ein komischer Geruch, der einen leichten Ekel bei mir auslöst. Es ist der Geruch nach – Pisse. Unterführung.
Und wo kommt der her? Nun, ich lebe mit drei Jungs zusammen. Zwei davon sind brav und sitzen immer auf dem Klo. Der Kleine im kleinen Klo und der Große im großen Klo. Ja, wir haben zwei davon. Und der Gastsohn, naja, der steht ab und an mal. Er weiß, dass ich das nicht akzeptiere und denkt sich vermutlich, mir doch egal, die sieht mich ja eh nicht …

Er ist dabei der Harmloseste. Der, der wirklich Ekel bei mir auslöst, ist der Vater von K5. Der setzt sich selten. Das verletzt ihn in seiner männlichen Ehre. Sitzen auf dem Klo. Wo kommen wir denn da hin!

Ich habe das deutlich formuliert. Gerade in der Zeit, Anfang von Corona, wo er quasi hier gewohnt hat. Er hat es bis heute nicht verstanden. Er denkt ernsthaft, seine Pipi spritzt nicht. Er pinkelt doch immer in die Schüssel! Und manchmal auch daneben, wie im Urlaub vor drei Jahren passiert. Da war Pipi auf dem Boden vor dem Klo. Und mir wurde übel. Ich ertrage das nur schlecht. Ekel.

Das Pipi in dem Urlaub, das habe ich zumindest ansprechen können. Es wurde weggewischt, und mein Ekel mit dazu. Herabgespielt. Mein Ekelgefühl schämte sich für so viel Unverständnis. Ist doch nicht schlimm, so ein wenig Pipi am Boden. Passiert den Kindern doch auch. Da finde ich es doch auch nicht schlimm.

Stimmt. Bei den Kindern hat es mich nie gestört, nicht beim Wickeln, nicht beim Angepinkelt werden, nicht beim Töpfchen sauber machen. Ich kann auch ohne Ekel Toiletten putzen. Zumindest glaube ich das. Im Internat war das damals mein “Heimdienst”. Ich hatte für eine ganze Etage die Klos zu säubern. Und das war mitunter wirklich ekelig. Ich habe das ohne mit der Wimper zu zucken gemacht. Einen Ekel habe ich mir da nicht geleistet. Und auch in weiteren putzigen Situationen für andere Menschen habe ich mich nicht geekelt. Ich habe geputzt. Und Geld dafür bekommen. Und mich hinterher dennoch immer dreckig gefühlt. Ich hatte einige Putzjobs, als ich 19 / 20 war. Und dann, vor drei Jahren, in der Weiterbildung, als das Geld nicht gereicht hat. Da bin ich auch Putzen gegangen. Ein ehrbarer Job, in jedem Fall! Und dennoch, ich war danach gereizt, wütend, aufbrausend, habe daheim herumgeschrieen. Ich war am Limit. Vermutlich auch am Limit meines eigenen Ekels.

Darauf gehört? Habe ich nie.
So habe ich beim Kindsvater daheim ertragen, dass der Kühlschrank von innen verschimmelt war. Das die ganze Küche schon jenseits von Ekel war. Widerlich. Im Bad, die Fliesen, gelb gepisst. Ich habe es ignoriert. Ich habe es gesehen, ich fand es eklig, ich habe es ignoriert. Ich war der Meinung, dass ich mit meinen 40 Jahren und nach der zweiten Trennung keinen Mann mehr finden werde. Dass ich froh sein kann, dass mich überhaupt einer anschaut. Dass ich dick bin, fiesen Nagelpilz habe und dankbar sein darf, dass er mich beachtet. Er. Toll. Die Schlampe.

Er. Der mich aktuell immer wieder durch bloße Anwesenheit in Wut versetzt. Und gerade lerne ich zu differenzieren. Meine Innensicht wird klarer. Es ist anders. Das ist keine reine Wut. Oder, wenn, dann auch auf mich. Die ich mich mit dem Ekel arrangiert habe, weil ich dachte, das sei passend für mich. Selbst ekelig!
Ich ekele mich vor ihm. Ich ekele mich vor seinen Füßen, die schweißig sind und im nackten Zustand Geräusche auf dem Boden machen. Außerdem Abdrücke hinterlassen. Daher darf er nicht barfuß in der Wohnung laufen. Er tut es dennoch, sobald ich die Wohnung verlasse. Außerdem ekelt es mich, dass er auf meinem Platz auf dem Sofa sitzt. Ich finde das widerlich. Und ich könnte es mit etlichen Dingen ergänzen. Mein Ekel greift. Aktuell um sich.

Spannend, dass der Ekel als erstes “neues” Gefühl zu mir zurück kommt. Ich habe das so viele Jahre unterdrückt. Eventuell schon seit immer. Als 11jährige habe ich meine Tage bekommen. Es war ein wenig dunkler Ausfluß in meiner Unterhose. Ich wusste absolut nicht, was ich tun soll. Da habe ich die Unterhosen einfach nach unten in den Wäscheberg gelegt und gehofft, niemand entdeckt das. Meine Mutter fragen? Irgendwen fragen? Keine Option!
Irgendwann hat meine Mutter die Unterhosen natürlich gefunden. Und sich zwei und zwei zusammengereimt. Und mich zur Seite genommen und mir gesagt, dass ich jetzt wohl meine Periode hätte und mich in Acht nehmen solle, vor den Männern.

Das war meine Aufklärung. Halleluja.

Zurück zum Ekel. Ich habe auch gesagt bekommen, mehr als einmal, ich sei eklig. Ich habe als Letzte gebadet, immer freitags. Eine Badewanne. Vier Kinder. Ich war als viertes Kind in der Wanne. Dafür durfte ich länger drin bleiben. Die anderen mussten schneller raus, weil das Wasser ja noch warm bleiben sollte. Und ich, ich konnte ganz lange in der Plörre meiner Geschwister planschen. Fragt nicht, wie es mir heute bei dem Gedanken geht. Damals? Keine Spur von Ekel. Es war einfach normal.

Über Jahre habe ich mich ansonsten mit dem Waschlappen gewaschen. Mehr war nicht. Erst im Internat habe ich gelernt, dass ich stinke und mich waschen muss. Ein Dank an meine Zimmernachbarin, sie hat mir das Duschen beigebracht. Außerdem hat sie den Pelz an meinen Beinen entfernt. Mit Enthaarungscreme. Das durfte ich von daheim aus nicht. Weil, was Gott gegeben hat, darf man nicht entfernen. Also auch keine Haare. Im übrigen cremt man sich auch nicht ein. Weil, das schafft der Körper aus eigener Kraft. Und wenn nicht – dann ist der Körper halt zu schwach!

Zu schwach. Um Ekel zu fühlen. Zu sehr darauf fokussiert, gemocht, geliebt zu werden. Blendete ich den Ekel aus. Gerade und vor allem beim Vater von K5. Der war schon ekelig, als ich ihn kennenlernte. Damals, mit 19. Ich dachte Jahrelang, er sei meine wahre Liebesgeschichte, die Geschichte von Liebe, die nicht sein kann, nicht sein darf. Romantische Liebe, die ich mir immer gewünscht habe. Dabei war es das Gegenteil. Keinerlei Liebe, ekelhafte Liebe, dreckig und abwertend. Und ich habe es nicht gesehen. Nicht sehen können. Ich war immer noch das vierte Kind im Badewasser. Am Limit des Ekels.

Heute mache ich die Bäder sauber. Sauberer als sonst. Auch der Rest der Wohnung zieht nach. Ich öffne mich. Dem Ekel. Dem Gefühl. Es ist nicht mein Lieblingsgefühl. Aber ich habe schon geahnt, dass ich nicht mit Glücksgefühlen überrollt werden, wenn ich die Tür öffne und meine Kindheit hereinbitte. Und so ist es. Es ist dreckig und verdammt anstrengend. Ekelig.

Dabei ist Ekel ein sehr wichtiges Gefühl. Es schützt uns, vor schlechten Entscheidungen, vor Dingen, die uns krank machen. Es ist relevant und wichtig, dass ich mich in dem Punkt endlich fühlen kann. Auch wenn es sich gerade ekelig anfühlt. Ich werde sauber werden! Von innen! Ich ahne, auch mein Nagelpilz wird von Ekel gefüttert. Andere bekommen Herpes. Und ich Nagelpilz. Das ist eine sehr vereinfachte Ableitung, ich spüre allerdings in meinem Herzen, dass sie wahr ist.

Ich bin dankbar, dass ich Ekel fühlen kann. Und zwar als das, was er ist. Ekel. Pisse. Gestank. Motten im Glas. Schimmel auf dem Joghurt. Ekel.

Was Ekel nicht ist – Ekel ist keine Liebe! Ich darf mich lösen, aus dem Gefühl, dass ich zum Ekel passe. Das ich Ekel bin. Dass ich den Ekel wert bin. Ich bin sauber, ich bin Glück, ich darf gehen und den Ekel hinter mir lassen!

Und, einen Teil des Ekels, der ungünstigerweise der Vater meines Sohnes ist, den muss ich fern halten. Warum der immer noch in meiner Wohnung herumläuft, das frage ich mich auch. Es ist nicht so einfach. Es ist kompliziert. Ich muss mehr Abstand schaffen. Als erstes werde ich meinen Sohn immer baden und Haare waschen, wenn er vom Vater kommt. Außerdem kommen alle Klamotten in die Wäsche.

Noch bin ich abhängig davon, dass er Babysittet. Leider. Ich versuche ab September, meine Tochter wieder mehr einzubinden. Es sind zwei-drei Veranstaltungen im Monat, für die ich Unterstützung brauche. Schaffe ich das? Kann ich den Ekel soweit in Schach halten, dass ich das aushalte? Oder ist genau das gerade komplett falsch? Wer kann mir das sagen? Ich nehme das mit, als Thema, für meine nächste Stunde Traumatherapie. Weil, ja, damit habe ich begonnen. Und mein ekelhaftes Trauma, es wird gehen. Was ich sehe, was mich schwächt, daran kann ich bewusst arbeiten. Viertes Kind im Bade.

Danke für viel. Danke, dass mein gesunder Ekel wieder zurück kommt. Danke, damit werde ich bessere Entscheidungen für mein Leben treffen können. Ich bin nicht ekelig und ich habe keinen Ekel verdient. Ich säubere meine Seele. Und die Fliesen.

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