Ich lese gerade ein Buch über Gefühle, es heißt, Gefühle lesen. In regelmäßigen Abständen zieht es mich zur Fachliteratur, und dann auch breit durchs gesamte Angebot. Wobei Emotionen mich seit langer Zeit beschäftigen und ich sie oft eher wahrnehme, als dass ich sie gezielt erkenne. Ich spüre eher intuitiv, was mein Gegenüber fühlt, bzw. wie die Stimmung in einer gesamten Gruppe ist. Also – ich komme zum Mittagessen und die Kollegen sind als Gruppe angespannt. Und ohne, dass ich es benennen kann, ohne Gesichtsanalyse oder längeres Nachdenken, finde ich die Person, deren Ausstrahlung die gesamte Stimmung überlagert. Um ihr dann einen Witz zu erzählen, einen Schwank aus meiner Jugend oder einfach zuzuhören – ich habe in der Beziehung intuitiv einen guten Riecher, ich weiß allerdings nicht, woher der kommt.
Weil, wenn mich zum Beispiel Menschen anlügen – Verkaufsmenschen neigen dazu, sich selbst und ihr Produkt toller dazustellen, als es ist – dann kann ich das spüren. Ich fühle mich dann unbehaglich. Unwohl. Irgendwie – nicht richtig. Meine eigenen Gesichtszüge frieren dann ein und ich werde unruhig, trete zum Beispiel vom rechten auf den linken Fuß und zurück. Ich entwickle ein „bloß weg hier, hier stimmt was nicht“. Aber – ich kann es nicht wirklich sehen! Dabei kann man Lügen im Gesicht sehen. Auch Ekel, Wut, Zorn, natürlich auch Begeisterung, die erkenne ich aber meist. Die höre ich auch in der Stimme, der ganze Körper strahlt Glück, Liebe, Begeisterung aus. Bei den negativen Emotionen habe ich mehr Probleme. Die spüre ich, oft aber gehe ich zu spät aus diesen Begegnungen heraus. Oder denke, ach, der ist aber so nett, und gehe über meine Intuition hinweg. Ignoriere sie. Und fühle mich hinterher traurig, benutzt, eventuell auch wütend.
Nun lese ich dieses Buch. Und schon in Kapitel 2 nimmt es mich mit. Auf einen Blick inside. Was macht mich emotional? Weil – das ist kein allgemeingültiger Zustand. Wir haben alle unterschiedliche Momente, in denen wir „anspringen“. Es gibt Einiges, dass wir alle gleich haben – und vieles, das unterschiedlich spielt. Aber ich will gar nicht zu sehr in die Tiefe gehen, dafür gibt es ja Bücker. Das von Paul Ekman kann ich uneingeschränkt empfehlen.
Neben dem Erkennen von Emotionen (weil gewisse Gesichtsmuskeln gewisse Dinge tun) interessiert mich gerade – was löst mich aus?
Letzten Montag hatte ich mein Halbjahresgespräch mit meinem Chef. Neben dem Verteilen von Rollen und dem Erlangen von Rollenklarheit (wir haben immer noch keine, ich habe einfach zu gerne sehr viele Rollen und liebe es, sie in einer Geschwindigkeit zu wechseln, die andere trunken macht) hatte ich noch ein Thema dabei. Mein Gehalt. Ich glaube, ich verdiene mehr. Ich bin mir sicher, ich verdiene mehr. Dabei kommt sofort eine innere Stimme, die sagt (antrainiert, ich habe das jahrelang zu hören bekommen), komm runter. Du bist nicht so toll, wie du denkst. Du kannst froh sein, einen Job zu haben. Du hast letzte Woche dies oder das nicht ausreichend gut gemacht. Deine Wohnung ist unordentlich und du hast das nicht im Griff. Welchen Wert hast du schon, wenn du nicht mal Ordnung halten kannst? Du überschätzt dich. Du bist ganz nett, aber nicht so gut, wie du denkst. Das ist eine schöne Idee, aber das können andere besser als du. Du wirst versagen. Bleib bei dem, was du hast. Verändere dich nicht, das lohnt sich nicht. Sei still. Sei still. Sei still.
Gehaltsverhandlung, das kann ich nicht so gut. All das, all das jahrelang Gehörte denkt in meinem Kopf weiter. Ich neige nicht zur Selbstüberschätzung (auch wenn mein Kopf sagt, genau das sei der Fall), sondern ich halte mich klein. Ich lasse mein Licht nicht leuchten, sondern setze mir gerne einen Deckel drauf, der jeglichen Sauerstoff erstickt und die Flamme immer kleiner und kleiner werden lässt, bis sie ausgeht. Dabei brennt auch der Docht so weit runter, verzweifelt bemüht, das Licht irgendwie noch zu halten – so sehr brennt der Docht herunter, dass dieses Licht nicht mehr entzündet werden kann. Eine Kerze, die weggeworfen wird. Nur ein kleines Licht. Wenn es aber ausfällt, dann wird es dunkel. Auch wenn es nur ein kleines Licht ist …
Auch kleine Lichter haben ihren Wert! Und ich bin kein kleines Licht. Ich bin eher so eine Kerze, mit 5 Dochten, breit und mit viel Fläche. Heute lasse ich mein Licht nicht mehr so schnell abschalten. Und ich brenne auf unterschiedlichen Rollen, damit ich, falls eine Rolle versagt, noch ausweichen kann. Ich lerne auch immer auf verschiedenen Ebenen. Momentan zum Thema Gefühle, zum Thema Finanzierung von Startups und zum Thema Verkaufstexte knackig schreiben.
Ich saß also am Montag in diesem Termin. Und habe geweint. Sehr geweint. Ich wurde sehr emotional, und hatte mich auch die Tage vorher schon hineingesteigert. Nein, wenn ich keine Gehaltserhöhung bekomme, sterben wir hier nicht. Wir müssen uns „nur“ einschränken. Und ich will mich nicht einschränken. Ich will, für den Job den ich mache, das Geld verdienen, das mir ermöglicht, meinen Kindern und mir gesunde Lebensmittel einzukaufen (und sie auch zuzubereiten), das mir ermöglicht, im Zweifel auch einen Puffer für eine neue Waschmaschine zu haben und auch mal wegfahren zu können. Ich weiß, wegfahren, dass das Luxus ist. Und mein Friseur ist Luxus. Und die Fußpflege ist Luxus, allerdings ein notwendiger. Dennoch – Luxus. Ich habe genug. Wir haben genug. Und doch stresst es mich, wenn die Klassenfahrt meines Sohnes 750 Euro zuzüglich Essen und Taschengeld kostet. Das fällt mir nicht leicht. Da bin ich schon am Planen, wo ich das einspare.
Oder der neue Sport meines Sohnes. Ich will ihnen das ja auch ermöglichen können! Ich will, dass sie angemessen angezogen sind, gut essen, ein schönes Zuhause haben.
Warum werde ich so emotional, wenn es um all das geht? Warum habe ich so sehr das Gefühl, bald zu verhungern? Kommt es aus meiner Kindheit, wie so ziemlich alles aus meiner Kindheit kommt? Wenig Liebe, und zusätzlich wenig Geld. Am Monatsende war das Essen knapp. Es gab immer irgendwie genug, um satt zu werden, aber jedes Mahl wurde mit Unsicherheit gewürzt. Und mit einem „iss nicht zu viel, die anderen wollen auch satt werden“. Ich kenne nur diese Unsicherheiten. Wenig Zärtlichkeit, keine Umarmungen, hohe Anforderungen und wenig zu Essen. Schläge für Unzulänglichkeiten.
Was ich viel dringender brauche als mehr Geld (und ja, wir brauchen auch mehr Geld), ist eine Umarmung. Ein Geborgenheitsgefühl. Sicherheit. Ich gebe mir jegliche Sicherheit selbst, und das ist mein schwerster Job. Die Unsichere gibt sich Sicherheit. Ja, das ist cool, für sich selbst sorgen zu können. Und dennoch fasst es mich an. Es ist an manchen Tagen einfach unfassbar anstrengend. Und wenn ich dann in Ruhe sagen soll, warum ich mehr Geld will – und bei der Leistung hat er genickt, er sieht meinen Gehaltsanspruch gerechtfertigt – dann weine ich.
Ich weiß, dass ich in einer wunderbaren Firma arbeite, in der ich schon viel Wachstum erleben durfte – im letzten Jahr habe ich viel gelernt!! Ich weiß auch, dass diese Firma keine Spitzengehälter zahlen kann und das auch bei anderen Angestellten nicht tut. Und dann komme ich. Und sage tatsächlich, was ich will. Verrückt. Normalerweise halte ich in solchen Situationen die Klappe und sage nichts. Weil. Es geht ja der Firma nicht so blendend, da muss ich eher noch mehr arbeiten, damit es wieder besser wird. Mehr Geld darf ich aber nicht verlangen. Weil, das war schon daheim so. Es ging nicht so gut. Da habe ich als Kind noch mehr Rücksicht genommen und meine Bedürfnisse nach hinten gestellt, weil, ich bin nicht wichtig genug. Erst die Firma. Dann ich. Erst die Eltern. Dann ich.
Wundert mich, dass ich an der Stelle emotional werde? Eher nein. Es scheint, für mich ist dieses Thema essentiell. Im übrigen habe ich bisher nur in Firmen gearbeitet, die finanziell nicht so aufgestellt waren, hohe Gehälter zu zahlen. Und immer hatte ich mindestens eine Rolle, die der Firma Geld bringen sollte. Und immer habe ich diese Rolle übererfüllt. Nicht allein, keine Sorge. Allein kann das niemand. Aber immer in führender Rolle. Ich habe Strategien entwickelt, Prozesse angetrieben, Mitarbeiter nachgezogen, das Ding auf die Straße gebracht.
Und mich selbst? Emotional nach hinten gestellt. Und jetzt, mit 50 Jahren, will ich das nicht mehr. Ich will diesen Input bezahlt sehen. Ich will Sicherheit. Ich will finanzielle Sicherheit. Ich will mehr Geld. Und ich heule dabei, weil es finanziell unsicher ist und ich oft überlege, wie soll das weitergehen? Ohne finanzielle Unterstützung von Freunden hätte ich schon dieses Jahr ein arges Problem bekommen. Und – ja, dafür bin ich selbst verantwortlich. Ich kaufe ja auch ständig Geschirrhandtücher und Bettwäsche. Oder so Zeug.
Ja, natürlich bin ich dafür verantwortlich. Natürlich könnte ich mehr sparen, bewusster Billigfleisch kaufen und den Luxus lassen. Keine Sauna mehr für mich. Keine Ausflüge mehr und bloss nicht mit Freunden treffen. Alles weg. Mehr Geld. Einfach mal die Ansprüche runterschrauben und zufrieden sein. Dankbar sein. Am Ende des Monats gab es auch für mich noch ausreichend Essen. Ich habe nicht gehungert als Kind. Nur nach Aufmerksamkeit, nach Liebe und nach Sicherheit.
Nur.
Ja, das ist ein Thema, das mich emotional macht. Und wenn mir das so bewusst ist, wie es heute ist, dann weiß ich, dass ich einen wichtigen Punkt erreicht habe. Ich sehe klar. Aus dieser Klarheit kann neues Wachstum entstehen. Ich verstehe mich selbst. Aus diesem Verständnis kann Liebe entstehen. Also wachse ich in Liebe. Bis zum nächsten Mal.
Und ich weiß noch nicht, wie hoch meine Gehaltserhöhung ausfallen wird. Wenn keine Gehaltserhöhung kommt, fordere ich ein Zwischenzeugnis an. Und ziehe weiter. Weil ich finanzielle Sicherheit brauche. Geld allein macht nicht glücklich, aber es entspannt. Und ich bin nunmal ein Gehalt. Kein Partner. Und ich suche mir mit Sicherheit keinen Partner, um finanziell sicher zu sein. Never! Das hatte ich. Diese Form des Schmerzensgeldes ist gesundheitsschädlich.
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