erwarten und halten

Ich erwarte. 50 mal mehr. Mehr Perfektion. Mehr Geschmack. Mehr Auswahl. Mehr Lässigkeit. Mehr Kreativität. Mehr Pop. Mehr Cake.

Meine Erwartungshaltung an meine Instagrammability ist bunt, schillernd, perfekt glasiert, dabei natürlich und lecker. Und lässig. So, wie man es alle naslang sieht, wenn man den Feed in den Sozialen Netzwerken öffnet. Hier und da, wunderbar.

Ganz in echt sind meine Erwartungen, vor allem an mich selbst, total absurd. 50 Cakepops zum Geburtstag, das war mein Plan. Also – zu meinem eigenen Geburtstag. Der Geburtstag im Mai, bei dem ich beschlossen hatte, mir KEINEN Aufwand zu machen und nur im kleinen Rahmen zu feiern. Am Feiertag nur Familie. Morgens brunchen gehen. Ganz entspannt daheim mit den Kindern spielen. Also – Brettspiele. Und ein wenig Kuchen, was einfaches. Nur ein selbstgemachter Kuchen – ohne selbstgemachten Stress.

Tatsächlich konnte ich dem Stress (mal wieder) nur bedingt ausweichen. Meine Teenager haben die Situation gerettet, nachdem ich am Vortag nach stundenlangem in der Küche stehen kurz davor war, sämtlichen Pop in den Müll zu werfen. Pop hier und Pop da. In drei verschiedenen Geschmäckern, mit drei verschiedenen Schokogüssen. Die Kugeln, die beim schokolieren vom Stiel gefallen sind. Der Dreck überall. Das Kühlen der Cakemasse. Der Aufwand. Unfassbar.

Und für was? Um ganz easy 50 Cakepops zum 50.igsten Geburtstag präsentieren zu können. Den eigenen Kindern. Weil, kann ich locker! Kann man in anderen Blogs lesen, wie locker, leicht, fluffig, easy das geht. Im Vorbeiflug. Nebenbei kann man locker noch drei Marketingkampagnen schreiben und ein Zimmer streichen. Kein Thema!

In schönen Bechern…

Ich muss heute noch lachen, drei Monate später, über diesen letzten verzweifelten Versuch, unerwartet perfekt zu beeindrucken. Wem will ich etwas vormachen? Mir selbst? Für Insta? Für mein Außen? Schaut her, alles selbstgemacht, alles total easy. Kann man kaum glauben.

Ich war schon am Abend genesen, aus diesem Erwartungen halten. Erwartungen, die nur ich selbst an mich habe. Niemand sonst hat so hohe Erwartungen an mich, wie ich selbst. Niemand hat 50 Cakepops erwartet. Ein Eigentor, unhaltbar. Eines von vielen. Wer so oft vor dem eigenen Tor steht und immer wieder trifft, der darf überlegen, ob eine neue Brille helfen würde. Eine mit mehr Klarsicht. Meine unrealistischen Erwartungen an mich selbst verursachen Stress. Chaos. Dreck. Überall klebt Schokolade, die Küche ist ein Schlachtfeld, die Nerven liegen blank, die Tränen drücken sich hinterm Auge herum und warten nur darauf, in Szene gesetzt zu werden. Schöner Weinen. Wegen Cakepops. Das kann doch so schwer nicht sein! Andere können das doch auch! Bei denen sieht das so perfekt aus! Warum kann nur ich das nicht? Warum?

Für diesen Tag im Mai, einen Tag vor meinem Geburtstag, habe ich mir extra Urlaub genommen. Weil, wer lernen will, braucht dafür Zeit und Ruhe. Ich habe viel gelernt an diesem Tag. Vor Allem, dass ich nicht Alle bin und sie nicht Alle habe. Weniger ist mehr. Realistisch planen eine Kunst. Diese Kunst zu erlernen, realistische Ansprüche an mich selbst zu stellen – und somit auch an mein Umfeld – habe ich mir vorgenommen. An diesem Tag im Mai. Und heute schaue ich auf das bildlich festgehaltene Schlachtfeld und denke, ja, das war so einprägsam süß, das darf ich aufschreiben. Um es mir bei der nächsten Anwandlung durchlesen zu können.

Ich bin großartig! Auch wenn ich einen Kuchen kaufe für meinen Geburtstag. Sogar dann, wenn ich gar keinen Kuchen da habe für meinen Geburtstag. Ich bin gut. Genug. Ich brauche diese schrägen Erwartungen an meinen Perfektionismus nicht zu halten. Ich darf – ausruhen. Mich von mir selbst befreien.

Ich überlege, ob man einen neuen Social-Media-Kanal schafft, in dem man nur ganz realistische Bilder einer ganz realistischen Welt zeigt. Also – nix Instagrammability, sondern Normalability. Dreckige Küchen, zerstörte Cakepops, Schokolade an den Wänden, verzweifelte Tränen. Wobei, halt, Tränen, das ist gerade ein Problem, von dem Linkedin überschwemmt wird. Da wird im großen Stil geweint. Menschen brechen zusammen und machen dabei Selfies, die sie mit der Welt teilen. Weil die Cakepops ständig vom Stiel fallen oder auseinanderbrechen. Das teilt man mit der Businesswelt. Dazu eine schöne Geschichte von gescheiterten Ansprüchen. Und viel Aufmerksamkeit. Viele Likes. Und das Gefühl, dass das ja so authentisch ist – ist bei mir ungefähr so groß wie der Glaube daran, dass irgendjemand wirklich perfekte Cakepops machen kann.

Die Frage ist jetzt – will ich denn wirklich perfekte Cakepops machen können? Ist das wichtig für mich? Wenn es wichtig für mich ist, dann kann ich das sicherlich lernen. Es gibt so viele Dinge, die ich lernen will.

Allen voran will ich lernen, meine hohen Erwartungen an mich selbst in liebevolle Achtung meiner selbst zu wandeln. Eines meiner Themen, die ich aus vermutlich frühester Kindheit mitbringe. Immer noch besser sein, immer noch toller sein, damit ich geliebt werde, damit ich beachtet werde, damit ich gut genug bin. Dabei konnte ich es nie gut genug machen – immer fielen Cakepops vom Stiel oder direkt auseinander. Immer war da Teig in der Schokolade. Immer war Schokolade klumpig. Und immer – war das gar nicht wichtig. Niemand kommt zu Besuch, um zu testen, ob ich ausreichend gut Cakepops machen kann. Wer zu Besuch kommt, kommt, um mich zu sehen. Nicht, um mich zu beurteilen.

Ich bin liebenswert, auch ohne perfekte Cakepops. Und genau für das Gefühl, für dieses “ich bin liebenswert” stelle ich mich in Zukunft in die Küche und mache einen Rührkuchen mit Puderzucker. Einfach, schnell, easy, lecker, locker, fluffig. Keine Verrenkungen mehr für die perfekte Inszinierung. Weil ich gut bin, so, wie ich bin. Endlich mal tief in den Bauch atmen. Ich darf das.

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