Fehlerkomplex

Ich mache. Keine Fehler. Falls ich doch Fehler mache, gilt vorangegangenes. Ich mache. Keine Fehler.

Ich mache ständig Fehler, jeden Tag, von früh bis spät. Genauso, wie ich ständig lüge, jeden Tag, von früh bis spät. Schon morgens lüge ich mir frech ins Gesicht, wenn ich sage, hey, wunderschön siehst du heute aus (und mir denke, wem will ich das eigentlich verkaufen?)

Spannend auch, erstes Meeting, und Zoom flüstert mir zu, ich sähe heute besonders gut aus. Sogar Zoom lügt! So ein Schwindel.

Täglich also, mache ich Fehler und ich lüge. Ich manipuliere. Mich, meine Ergebnisse, meine Kinder, den Nachbarn, ich spiele etwas vor, um mir einen Vorteil zu verschaffen, um besser auszusehen. Dafür leuchte ich mich auch geschickt aus, damit Zoom mir die nächste Lüge erzählt, siehe oben. Sieht gut aus bei mir!

Und ihr so?

Ja, ich will ja den Blick weg halten von all dem Negativen und das Positive bestärken! Positiv ist, ich nehme wahr, wie es ist. Fehlerbehaftet, manipulativ, verlogen 😉

Tatsächlich nehme ich es mit Humor. Mir ist bewusst, dass wir alle lügen und dass wir auch alle Fehler machen. Ich lüge meinen Kollegen glatt ins Gesicht, und auch dem ein oder anderen Menschen. Ich lüge, um meine Ruhe zu haben. Ich lüge, um nicht die Wahrheit sagen zu müssen. Ich lüge, um mein Gegenüber zu schützen. Ich lüge, um mich zu schützen. Ich lüge, um mir einen Vorteil zu verschaffen. Ich zeige mich nach außen als emphatisch, gefühlvoll, verständnisvoll, dabei sondiere ich den ganzen Tag die Lage, wie ich am Besten – unauffällig gut dastehen kann, voller Expertise und mit lupenreiner Weste. Verständnisvoll.

Ich lüge auch, um mir selbst zu gefallen. Manchmal manipuliere ich dabei auch meinen Spiegel. Oder Zoom. Anderes Licht, anderer Blickwinkel, schwupp, schlank. Dabei bin ich es nicht. Sehe ich Bilder, sehe ich der Realität relativ schonungslos in die Augen 😉

Wie ich heute drauf bin? Eine gute Frage.
Gestern habe ich im Arbeiten tatsächlich einen doofen Fehler gemacht (und ihn auch direkt zugegeben), ich bin dann aber im Nachgang nicht sehr nett mit mir selbst umgegangen, und ein wenig kindlicher Trotz hat sich in meinem Verhalten gezeigt. Ich will keine doofen Fehler machen. Ich will nach außen zeigen, dass ich weiß, was ich tue, und dass ich verantworte, was ich tue. Was ich nicht will, ist, so wirken als brauche ich Hilfe. Ich kann meinen Job. Okay, in Teilen. Einige Teile sehr gut. Andere Teile, wie DOKUMENTATION eher nicht so gut. Reporting. Listen führen. Ergebnisse notieren. Anstrengend. Da darf ich dazulernen. Gerne auch durch Fehler. Mich hier selbst zu belügen ist Schwachsinn und bringt mich nicht weiter.

Aber – ich will die Hilfe nicht. Hilfe, die mir aus vermeintlicher Überforderung angedient wird, lässt mich spüren, dass ich nicht gut genug bin. Ich bin fehlerhaft. Man muss mir helfen. Ich bin nichts wert. Hilfe!

Hilfe, die ich nicht will, macht mich wütend. Ich fühle mich dann nutzlos, fehlerhaft, ungenügend, setzen.

Hilfe, die ich nicht will, kotzt mich an.

Woher kommt das? Warum fühle ich mich hilflos, wenn ich ungefragt Hilfe bekomme? Und geht es Anderen auch so?

Ich glaube, ich fühle mich – nicht so gut, wenn man mich nicht fragt. Ich weiß schon, wo ich Hilfe annehmen kann und möchte und tue das auch. An den Stellen, an denen ich keine Hilfe will – darf ich das auch so entscheiden.

In Zukunft – lasse ich meine Gefühle länger sacken, rede weniger, höre mehr zu und lehne dankend ab. Ich darf gelassen fehlerhaft sein, ab und an lügen und Hilfe dann annehmen, wenn es für mich passt. Und ich darf im positiven lügen. Wenn ich meine Mitmenschen bestärken will, sage ich ihnen besser nicht, was ich von ihnen halte. Wenn ich mich bestärken will, werde ich gelassener und nehme Hilfe an. Nachdem ich sie geprüft habe, die Hilfe.

Ich habe einen zu dicken Schatten weg aus der Vergangenheit, in der ich immer jedem beweisen musste, dass ich gut bin. Gut genug! Dass ich Dinge ganz alleine an die Wand fahren kann. Dass ich keine Hilfe dabei brauche. Dabei sollte ich langsam an den Punkt kommen, an dem ich diesen Schatten ins rechte Licht ziehe, um genau hinzuschauen. Um zu sehen, ungelogen, ich muss nicht alles machen. Ich darf ein paar Fehler abgeben.

Das dünkt mir, ist ein guter Anfang, damit umzugehen. Fehler vor!

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