Ich bin Linkshänderin

und wurde als Kind auf rechts umerzogen –

Und das bedeutet? Erstmal – nicht so viel. Und dann, doch Alles. Dabei ist die Tatsache, mit welcher Hand ich händisch bin, zweitrangig. Ob links, ob rechts, gerade lebe ich beides. Ein Zurückziehen auf die linke Hand habe ich Anfang 2022 begonnen, in der naiven Annahme, dass das ein Klacks sei. Mal eben. Alles zurück auf Anfang. Kann ja nicht so schwer sein, schließlich bin ich ja geborene Linkshänderin. Da sollte ich doch ganz schwupps. Gedacht. Ja, manchmal denke ich gänzlich falsch.

Zuerst kam die Überlegung, ob ich mich nicht selbst zu ernst nehme, nicht schon wieder Dinge in Dinge interpretiere, die völlig überflüssig, egal, unnötig sind. So wie, mich benachteiligt zu fühlen, weil ich meine linke Hand nicht leben konnte. So what. Ich lebe seit jetzt 50 Jahren ja auch sehr gut mit der rechten Hand. Und überhaupt, wer sagt mir denn, dass das stimmt? Vielleicht – habe ich mir das ausgedacht? Vielleicht – ist es wirklich egal? Warum im alten Müll meines Lebens kramen? Am Ende kommen nur Unterhosen mit Bremsspuren zum Vorschein, und wer will das schon sehen? Oder – noch schlimmer – riechen? Bekommt man so alte Buxen überhaupt nochmal sauber? Und lohnt sich das? Ist es nicht einfacher, einfach neue Buxen zu kaufen? Für was also all der Kampf? Tiefe Themen angehen, mit Gallseife? Wie lange einweichen, bis es wirklich sauber wird? Oder einfach Chlorex drauf, das bleicht auch alles weg.

Und dann?

Ist es also ernst, oder überbewerte ich mich?

Immer. Selbstzweifel, immer. Sie sind so willkommen wie Fruchtfliegen im Spätsommer oder Motten in den Nüssen. Immer da. Manchmal unsichtbar, und dennoch, immer da. Meine Zweifel. Ist doch nicht so wichtig, dass ich Linkshänderin bin. Ist doch nicht so wichtig, dass ich mich schlecht konzentrieren kann. Ist doch nicht so wichtig, dass ich geschlagen bin.

Ich lasse die linke Hand immer mal liegen. Ganz bewusst. Auch, aus Faulheit. Das Arbeiten an meiner geschickten Linken ist anstrengend für mich, weil es immer auch ein Arbeiten an meiner Kindheit ist. An meinem Anderssein. An meinem Falschsein. An der Annahme, niemals gut genug zu sein. Tränen, beim Schönschreiben, Stunden mit dem A. Ich war ein wissbegieriges Kind. Das schon in der ersten Klasse gelernt hat, alles Wissen ist umsonst, wenn du nicht schön schreibst. Und schön schreiben, das konnte ich nicht. Weil ich kein Geschick in meiner rechten Hand hatte. Ich fühlte mich – unfähig. Und verlor dabei die Freude und das Lernen. Lernen. Ich kann nur lernen, wenn ich Dinge anfassen kann. Wenn ich den Weg anfassen kann. Wenn ich körperlich verinnerliche. Das hat auch mit den Schlägen gut geklappt.

Ich brauche allerdings auch Wiederholungen. Immer und immer wieder, bis es wirklich sitzt. Vokabeln. Schönschrift. Schläge. Oft genug geschlagen, meine Mutter fragte irgendwann, ob man mich totschlagen müsse, bis ich begreife, dass ich doch einfach nur brav sein muss. Einfach nur mit der richtigen Hand schreiben. Einfach nur leise sein. Einfach nur Ruhe geben. Nicht so viele Fragen stellen. Nicht so viel wissen wollen. Nicht so viel besser können.

Ich weiß heute, dass meine Eltern, vor allem meine Mutter, mein Bestes wollten und nicht wussten, was das ist. Sie hatten Angst, ich würde abartig, lesbisch, andersherum, krank, wenn ich mit links lebe. Nicht normal. Und daher wurde mir das anderssein sehr deutlich gezeigt. Ich fühlte mich bis zu dem Zeitpunkt ganz normal. Singend, laut, lachend, wissbegierig, frech, wuselig. Vielleicht auch trotzig, das kann ich nicht erinnern. Ich erinnere nur, was mir immer und immer wieder gesagt wurde. Falsch. Zu laut. Zu vorlaut. Zu viele Fragen. Falsche Hand.

Das tut noch heute weh. Und dieses sich nicht angenommen fühlen mit der linken Hand und einigen anderen Attributen, das tut noch heute weh. Deshalb dauert auch meine Umschulung so lange. Es sind immer Episoden, die ich nur langsam gehen kann. Weil ich auch ein Leben führe, Kinder habe, arbeiten gehe, eine Freundin bin. Ich kann nicht einfach versinken in meinen Erinnerungen, meinem Schmerz und mich dem Heilen gänzlich hingeben. Ich muss auch – den normalen Anforderungen Genüge tragen. Mein Leben braucht mich. Meine Kinder brauchen mich. Also falle ich auch immer mal zurück und ruhe. Bis ich wieder genug Kraft habe, weiter zu machen.

Aktuell schreibe ich beinahe alles mit links. Ich beginne auch, mit links zu unterschreiben, auch wenn ich weiß, dass die Unterschrift der mit rechts nicht ähnlich ist. Außerdem beginne ich (wieder) mit links zu schneiden und mein Brot zu schmieren. Das sind Tätigkeiten, die ich oft immer noch mit rechts mache. Weil ich mit rechts immer noch schneller bin. Es ist auch Übungssache, das Messer richtig anzusetzen, um die Zwiebeln ordentlich zu schneiden. Und, ich habe wenig Zeit, ich möchte in der Küche möglichst schnell fertig werden.

Momentan nehme ich mir die Zeit. Ich vollziehe den nächsten Schritt. Ich weiß, dass ich irgendwie auch Ambidexter sein kann, beide Hände nutzen kann. Und dennoch – will ich weiter. Ich will wieder ganz konsistent mit links leben. Ich spüre, wie gut mir das tut. Ich kann mich besser konzentrieren. Ich kann besser lernen. Ich nehme Informationen besser auf und kann sie besser verarbeiten. Ich fühle mich – gesünder, wacher, aufmerksamer und – irgendwie ganz.

Ich beginne, mich mehr und mehr richtig zu fühlen.

Meinen Eltern beginne ich, mehr und mehr zu verzeihen. Früher habe ich an der Stelle geschrieben, dass sie es ja nicht besser wussten und es sicherlich auch nicht leicht mit mir hatten. Dass tue ich heute nicht mehr. Heute weiß ich, ich bin nicht Schuld an der Misere. Meine Eltern haben es verkackt. So richtig. Und ich darf wütend sein deswegen. Ich war ein kleines Kind. Mein kleines Kind weint heute noch manchmal. Weil es sich so unsicher fühlt. Und dann – klopfe ich mir selbst auf die Schulter und sage, schau. Was aus dir geworden ist! Wer du geworden bist! All das aus all den Herausforderungen deines Lebens! Du bist richtig gut geworden! Danke, dafür!

Dennoch halte ich es für sehr wichtig, darauf hinzuweisen, dass es Menschen gibt, die mit rechts schreiben und Menschen, die das mit links tun. Und beides ist völlig in Ordnung. Man sollte immer genau so schreiben, wie es für einen gut ist. Ich, zum Beispiel, ohne Punkt und Komma und mit ganz viel Gefühl. Und ohne Zwischenüberschriften. Man muss es lesen oder es sein lassen.

Ich übe weiter. Jetzt, Ende 2023, bald sind es zwei Jahre, seitdem ich an meiner Rückschulung arbeite. Ich habe immer gesagt, dass ich nicht üben kann, das üben mir besonders schwer fällt. Stimmt. Umso wichtiger, dass ich weiter übe. Ohne Üben kein Vorankommen.

Die wichtigste Übung in den vergangenen Monaten und Jahren ist diese hier: das üben in Geduld!

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