Alter Sand

Übers eiskalte Wasser habe ich ja schon geschrieben, da wird es Zeit, auch über den Sand zu sprechen. Den Sand, der auf dem Fensterbrett in meiner Küche steht. Ganz dekorativ. Mit Muscheln und einem kleinen Boot. In einem Glas. Mit Deckel. Und ich weiß absolut nicht, wo der Sand herkommt.

Seit Wochen, ach, was sage ich, seit Monaten. Seien wir ehrlich, auch schon seit Jahren mache ich dieses Glas sauber und stelle es zurück aufs Fensterbrett. In der jüngeren Vergangenheit habe ich mich ab und an gefragt, ob ich das noch schön finde. Um dann das Glas wieder hinzustellen.

Heute habe ich mich gefragt, wo der Sand herkommt. Ich weiß, er ist aus einem Urlaub. Nur, aus welchem Urlaub? Und wer hat ihn mit nach Hause genommen? Wo sind die Muscheln her, sind die gekauft oder hat die jemand gefunden? Wenn ja, wer? Und wer könnte den Sand samt Muscheln und Boot vermissen?

Ich meine ja nur, wie kann das sein, dass ich etwas aufhebe, von dem ich keinen blassen Schimmer habe, wo es herkommt? Wer es gebastelt hat? Wer das in seinem Koffer mit nach Hause genommen hat? Ich bin mir sicher, dass es sich hier nicht um den gesammelten Sand aus den Hosentaschen meines Sohnes handelt! Den verteilt er lieber geschickt in der ganzen Wohnung, damit wir alle was davon haben 😉

Dieser Sand steht seit Jahren auf dem Fensterbrett. Ich weiß im übrigen auch nicht, wo das Glas herkommt. Ist mir ebenfalls entfallen. Nur das Boot aus Stein, da erinnere ich mich, wo wir das gekauft haben. Hier um die Ecke in einem kleinen Laden mit Küchenkitsch. Den Laden gibt es auch seit 6 Jahren nicht mehr (geschätzt) und ich habe null Bezug zu Booten. Sie berühren mein Herz Null. Also –

Glas, Sand, Muscheln, Boot

Was da los? Warum hebe ich Erinnerungen auf, an die sich niemand erinnert? Ich meine, ich stelle mir vor, ich mache das noch weitere zig Jahre und sterbe dann irgendwann. Und meine Kinder stehen vor diesem Fensterbrett und überlegen. Das Glas mit dem Sand, das hat die Mama da jetzt seit 30 Jahren stehen, das ist ihr sicherlich sehr wichtig. Vielleicht stellen wir es auf ihren Sarg? Vielleicht ist das eine schöne Geste?

Ja, Nein, den Teufel macht ihr! Der Sand kommt jetzt und Pronto weg. Ich brauche auch das Glas mit dem nicht mehr fest schließenden Deckel nicht. Ich wüsste gar nicht, für was! Um wieder Dinge hinein zu legen? Vielleicht – ein paar Steine von K5, der sammelt immer mal gerne Steine. Das wäre etwas Neues, eine Abwechslung. Haha.

Die nächste “Zu verschenken” Kiste packt sich gerade. Darin, ein Glas. Und ein Boot. Ich überlege, auch den Sand dazu zu legen, ahne aber, dass den niemand mitnimmt. Vielleicht zerstreue ich ihn in alle Winde? Das wäre eine hübsche Geste. Dabei denke ich dann an all meine Kinder, weil ich ja nicht weiß, welches von ihnen den Sand mit nach Hause gebracht hat. Und ja, ich habe überlegt, sie alle zu fragen, was mit dem Sand passieren soll. Aber seien wir ehrlich, eines hätte vermutlich gesagt, ach, jetzt steht der da schon so lange, ist doch auch schön so!

Sind ja schließlich meine Kinder, und die ein oder andere Macke habe ich garantiert vererbt! Was ich tunlichst nicht vererben möchte, ist, dass sie sich an Dingen festhalten, von denen sie nicht mal wissen, warum sie das tun. Es darf einen triftigen Grund haben. So, wie hier der Gipshandabdruck von K1 am Bücherregal hängt. Seit über 20 Jahren. Da weiß ich wenigstens, von wem der ist. Und ich sehe noch diesen kleinen, wissbegierigen, neugierigen Jungen vor mir. Und dabei wird mir ganz warm ums Herz. Und manchmal verfluche ich, dass die Zeit sie alle hat wachsen lassen, in dieser unglaublichen Geschwindigkeit. Es kommt mir vor, als sei es gestern gewesen, als der Kindergarten mir diesen Gipsabdruck seiner Hand in die Hand gedrückt hat. Mein ältester Sohn. Mein Erstlingswerk. Mein Sandburgenbauer. Mein Flußerforscher. Mein Herr Richter.

Die Zeit, sie verrinnt, wie Sand, zwischen den Händen …

Liebe Kinder, gerne dürft ihr mir den Gipsabdruck und die anderen gebastelten Dinge aufs Grab legen. Lauter wunderschöne Nägel zum Sarg. Den Sand aber, der aus irgendeinem Urlaub überdauert hat, den gebe ich frei. Und ich bin sehr gespannt, ob das irgendjemand merkt. Sobald eines der Kinder weinend in der Küche steht und seinen Sand sucht – werde ich darüber berichten.

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