Tabs schließen

Zigtausend offene Tabs legen mich lahm. Mein Computer, das olle Ding, arbeitet in einem Tempo, als wolle er „Die Entdeckung der Langsamkeit, Part II“ schreiben. Das Aufrufen meines Onlinebankings dauert länger als die Frist, die ich für die Zahlung meiner Schnelligkeit anzuweisen habe. Unfassbar. Es jaunert.

Es ist halt auch schon ein älteres Modell. Also, ich. Und der Rechner auch. Und die Dale im übrigen auch. Wir sind alle schon etwas älter. Ich bin gespannt, wer von uns als erstes ausgetauscht werden wird, wegen Verlangsamung. Der Rechner, das Auto oder ich?! Wobei, beim Auto sind weniger Tabs offen. Das hat einfach schon 283tausend Kilometer auf dem Buckel und der Motor wird langsam alt. Irgendwann ist es dann vorbei – und ich bin sehr gespannt, wann irgendwann ist!

Beim Rechner … naja, wie viele Tabs der so auf dem Buckel hat, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, er ist langsam. Sehr. Wenn ich heute mit diesem Rechner meine Weiterbildung machen müsste, würde ich wohl ein Jahr später fertig werden. Es ist unfassbar, wie lange es dauert, auch nur einen Tab wieder zu schließen, der bereits offen ist. Oder, etwas zu speichern. Oder, noch schlimmer, eine Präsentation anzulegen. Es läuft nicht gut. Und dennoch gut genug. Ausreichend, würde man wohl sagen. Dauert zwar alles etwas länger, fertig wird es aber dennoch.

Letzte Woche hat K4 seine schriftliche Abschlussprüfung abgeben müssen. Ganz freiwillig hat er das nicht getan, oder sagen wir, ohne Frist kein Ende. Der Rechner ist dabei ziemlich hohl gelaufen. Zig offene Tabs zum Thema Energie, Verbrennermotoren, Lithium-Abbau und Batterieentsorgung. Und all das – will bis Mitte Januar in einer PowerPoint abgelegt werden, um dann vor Publikum präsentiert zu werden. Ich bin froh und dankbar, wenn wir das hier alle aushalten. Ich und der Rechner. Die Dale hat zum Glück weniger damit zu tun.

Letzte Woche sind hier tatsächlich Kerzenleuchter geflogen, einmal quer durch den Raum. Und eine Maus. Und ein Gesellschaftsspiel. Meine Wut habe ich gut im Griff! Ich habe die Dinge nur aufs Sofa geworfen, so dass sie nicht kaputt gehen konnten 😉
Der Rechner wurde davon leider nicht schneller, mein Teenager aber zumindest überraschend wach. Sein Text, den er zwei Tage später abgeben sollte, hatte die Qualität, mich zu Begeisterungsrufen hinzureißen. Nicht. Unfassbar. Ich bin ja wirklich froh, dass er nicht ChatGPT nutzt, und gleichzeitig wirklich unglücklich, dass er nicht ChatGPT nutzt. Weil, ich glaube, einen passenden Prompt zu schreiben, überfordert ihn ein wenig …

Nun, sagen wir, einige Dinge sind leicht überfordert. Mein Rechner zum Beispiel, von all den offenen Tabs. Und mein Hirn, dass sich verzweifelt aus der Verantwortung stehlen will, für all die offenen Tabs. Und mein zweites Hirn, das sagt, verdammt, du bist aber doch verantwortlich dafür, dass K4 rechtzeitig die passende Anzahl an Worten für seine Abschlussarbeit einreicht …

Heute habe ich die offenen Tabs mal geschlossen. Der Rechner ist immer noch langsam, erholt sich aber zumindest vom Stress der vergangenen Tage. Die Abschlussarbeit wurde rechtzeitig fertig, auch wenn das Ausdrucken eine halbe Stunde gedauert hat. Ungelogen. Das Dokument wollte sich nicht mehr öffnen. Pure Erschöpfung …

Es ist kurz vor Weihnachten. Und wir haben hier alle ein paar zu viele Tabs offen. Ein paar sind zwar wieder geschlossen, dennoch braucht es noch etwas Ruhe für den Rechner, bis er weitermachen kann. Wie gesagt, da steht eine PowerPoint-Präsentation an. Auch dafür muss so ein Rechner hellwach und ausgeruht sein. Sonst wird das nix mit Bilder aussuchen, einfügen, anpassen …

Ich bin ehrlich froh, wenn Mitte Januar diese Präsentation vorbei ist. Schon die Abgabe des schriftlichen Teils dieser Hausarbeit für die Realschulprüfung hat mich mehr Synapsen im Hirn gekostet als mein Sohn überhaupt hat. Schätze ich. Ich bin seit Wochen in so einem Erinnerungsmodus. Hier, ein neues Update, bitte hochladen. Hier, ein weiteres Update, hast du denn das alte Update schon hochgeladen? Nein? Also – das würde ich jetzt aber mal machen! Sonst bricht dir noch die Festplatte auseinander!

Ich habe erinnert, Hilfe angeboten, erinnert, Hilfe angeboten. Was man so tut als Eltern. Geflucht, geschimpft, ihn machen lassen. Am Ende ist es er, der es machen muss. Er dachte zwar letzte Woche, es sei schön, wenn ich seine Sätze ergänze oder gar verschönere, ich aber dachte eher, es sei schön, in diesem Fall mit Kerzenständern zu werfen. Aufs Sofa. Vom Sofa sind die dann abgeprallt auf den Fußboden. Hat schöne Geräusche gemacht! Sehr eindrucksvoll!

Am Ende hat er selbst geschrieben, und seine große Schwester hat ihn noch ein wenig unterstützt. Gemeinsam haben wir dann den Drucker überredet, seine Arbeit auszuspucken. Und dann haben wir diese Tabs geschlossen. Schwer. Langsam. Ruhe. Jetzt, bitte Ruhe.

Im Job habe ich auch noch ein paar Tabs offen, hier handelt es sich aber um ein MacBook. Das ist an Geschwindigkeit kaum zu überbieten. Sogar 300 offene Tabs können es nicht schocken. Allerdings – ist das wenig übersichtlich, so dass ich mir hier für die kommende Woche auch vorgenommen habe, Tabs zu schließen. Ein Aufräumen. Damit auch das MacBook bei aller Geschwindigkeit über Weihnachten ausruhen kann. Es hat es sich ebenso verdient wie der alte Acer-Rechner hier. Und wie K4, der am Ende alles noch geschafft hat. Und ich, die es überlebt hat, ohne weitere Schäden. Nur mit ein paar durchgebrannten Synapsen im Hirn.

Das Kinder einen so sehr stressen können, ich hatte ja keine Ahnung. Noch bis letztens hatte ich keine Ahnung. Die beiden Großen waren im Vergleich zu den beiden Mittleren irgendwie weichgespült. Harmlos. Die haben ihren Schulkram allein bewältigt, ohne groß Aufhebens zu machen. Vielleicht war da auch der Rechner noch frischer, ich weiß es nicht. Es war jedenfalls – anders. Selbstorganisierter. Weniger hilflos. Manchmal frage ich mich, liegt das an mir? War ich damals auch anders? Selbstorganisierter? Weniger hilflos? Oder liegt es an ihnen und sie haben einfach ein anderes Gen-Set erhalten? Vermutlich ist es eine Mischung aus beidem. Bei den Großen war ich jünger, schneller, und bin ohne ein ständiges schlechtes Gewissen durch die Welt gelaufen. Ich glaube, ich war anders. Und dennoch, offene Tabs hatte ich auch da genug. Es hat auch (noch) nicht so lange gedauert, die wieder zu schließen. Und die Ruhevorgänge waren auch weniger langsam.

Es ist jedenfalls, wie es ist. Geschlossen. Etliche Tabs geschlossen. Geöffnet wird dann im Januar wieder, zur Abschlusspräsentation. Ich ahne, auch, wenn ich jetzt jeden Tag in den Erinnerungsmodus gehe, wird sich K4 dennoch nur langsam bewegen. Oder gar nicht. Er scheint ein festes Datum und ein paar Kerzenständer zu brauchen, um ins Tun zu kommen 😉
Was bedeutet, ich erinnere nur sanft. Einmal am Tag. Das sollte reichen …

Ich bin jedenfalls stolz auf unseren Rechner, der all das geschafft hat. Ich fahre ihn jetzt mal runter! Außerdem bin ich stolz auf mich, die sich hingesetzt und die Tabs geschlossen hat. Und ich bin stolz auf meinen Sohn, der wirklich Begabungen hat – allerdings keine, wenn es ums Schreiben oder Präsentieren geht. Und dennoch ist er irgendwie fertig geworden. Die Note ist dabei völlig egal. Hauptsache – Erledigt.

Tabs zu. Geschlossen.

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