vor der Laterne

vor dem großen Tor – stand eine Kaserne, und steht sie noch davor –

Das Lied von Lale Andersen (und den Meisten eher bekannt, wenn Marlene Dietrich es singt) beginnt natürlich anders. Es beginnt mit – vor der Kaserne (und in manchen Lied-Interpretationen steht die Laterne auch bei der Kaserne).

Bei mir stand sie letzte Woche in Berlin vor dem Hotel. Und überhaupt geht es mir wohl eher um die Laterne, nicht um den Ort, wo sie steht. Und um die Melodie, traurig, die Stimme, rauh, der Ausdruck, vergeblich. Vergeblich wartend auf ein Happy End. Im Krieg kam es selten, oder – wie auch im Leben – anders als erwartet.

Anders als erwartet beginne ich mein Lied mit “vor der Laterne” und fühle mich frei, den Text anzupassen. Das tue ich sowieso öfter. Melodien gehen mir durch den Kopf und dann mache ich etwas Neues daraus und singe es meinen Kindern beim Zähneputzen vor. Es wird dann ein Zahnputzlied. Oder ein Zimmeraufräumenlied. Oder ein Larissamutmachenlied.

Lili Marleen, so heißt das Lied (fast) ursprünglich, geht mir dabei durchaus durch den Kopf. Daher habe ich gestern mein neues Projektbuch mit diesem Thema begonnen. Lili Marleen. Laterne.

Es war ähnlich meinem Blog ein einfaches runterschreiben. Was ist denn mit diesem Lied. Warum geht es mir nicht mehr aus dem Kopf. Welche Verbindung habe ich da in Berlin geknüpft, warum kam gerade dieses Lied, diese Melodie zu mir.

Gestern war ich abends noch in Amersfoort spazieren, bei leichtem Nieselregen. Vorher habe ich ein paar Nachos gegessen, in der Tapas-Bar, die direkt neben dem Hotel liegt. Ich mag sehr, den Blick aus dem Fenster, auf dem Marktplatz. An Amersfoort fasziniert mich das Altstadtbild. Eine mittelalterliche Festung, die man noch in den Ansätzen sieht. Kopfsteinpflaster. Enge Gassen, schiefe Häuser, auch das Hotel ist in einem alten Fachwerkhaus. Wenn auf dem Gang jemand läuft, knarrt es. Wenn der oder die über mir im Zimmer läuft, höre ich das. Deswegen liegen auch direkt bei Ankunft Oropax auf dem Kissen 😉

Ich allerdings liebe diese Geräusche und brauche definitiv kein Oropax. Ich schlafe dennoch. Auch, gut. Das kleine Stehpult, dass ich im Zimmer habe, habe ich bereits für mich erobert, da kommt auch noch ein Bild. Bilder.

Bilder sind mir sehr wichtig, ich spüre das immer deutlicher. Einer der wenigen Berufe, die mir attraktiv erschienen als junger Mensch, war, Fotografin zu werden. Natürlich haben mir das Alle ausgeredet (alle bis auf meinen Lehrer in der Foto-AG, der hielt mich für begabt). Damit sei kein Brot zu verdienen. Ich solle etwas solides erlernen, etwas, worauf ich mich verlassen kann.

Worauf ich mich verlassen kann, ist, mein gutes Auge für Motive, die mir gefallen. Ja, auch hier ist es ein MIR gefallen, da ich ja für niemanden fotografieren muss. Ich tue es nur für MICH. Ähnlich dem Schreiben. Und jedes Foto, jedes Wort, jeder Text führen mich mehr dahin, wo ich mich auf mich verlassen kann. Zur Basis. Das, was mich glücklich macht.

Laternen! Laternen gehören dazu, so wie alles, was Licht ist. Kerzen und Sonne. Beides spielt.

Laternen geben zudem Sicherheit. Sie erhellen meinen Weg. Ich will jetzt nicht von Erleuchtung sprechen – aber das Schreiben gestern in meinem neuen Projektbuch war schon erhellend. Erst fühlte ich mich unwohl. Warum über dieses Lied schreiben? Was will ich mir selbst damit sagen? Welches Projekt verfolge ich?

  • Will ich Liedtexte auswendig lernen oder
  • alle Lieder von Marlene Dietrich nachsingen?
  • will ich mehr wissen, über die Macht der Musik im 1. und 2. Weltkrieg oder
  • will ich generell mehr wissen zu unserer Geschichte?
  • Kann ich mir vorstellen, Geschichte anhand von Liedern zu erklären? Da gibt es sicherlich noch mehr Lieder, die eine ganze Epoche beleuchten können?
  • Oder will ich Laternen fotografieren und daraus einen Bildband erstellen?
  • Zum Beispiel mit unterschiedlichen Laternen in unterschiedlichen Ländern, mit unterschiedlicher Schönheit, an unvorhergesehenen Orten?
  • Oder reicht es mir, zu wissen, wo in Bremerhaven die Laterne aus dem Lied steht?
  • Im übrigen, den Text hat Hans Leip schon 1915 geschrieben – aus einer Kaserne heraus, in Gedanken bei zwei Mädchen, Lili und Marleen… Nicht die eine Liebe 😉
  • vertont wurde der Text erst 1938 von Norbert Schultze
  • und eingesungen 1939 von Lale Andersen
  • bekannt wurde das Lied erst später, 1941 wurde es quasi aus dem Archiv gezogen –
  • erst der nächste Krieg machte dieses Lied zu einem universellen Soldatenlied. Es wurde von Allen gehört.
  • Das Lied war berührend, für so viele Soldaten an der Front, egal auf welcher Seite sie standen.
  • Musik berührt auch mein Herz.
  • Wo sitzt die Verbindung vom Hören zum Fühlen?
  • Und warum berührt auch Licht mein Herz?
  • Und wie entsteht Licht?
  • Und wie genau funktionieren unsere Augen?
  • Und die Ohren? Sinnesorgane sind so spannend!

Musik ist sehr mächtig. Licht auch. Und die oben stehende (nicht vollständige!) Ausführung zeigt ein wenig, wie meine Gedanken laufen. So ich sie laufen lasse. Immer. Es ist immer ein noch mehr wissen wollen. Tiefer einsteigen wollen. Feststellen, für die Tiefe fehlt mir die Zeit. Und dann – die Frage, die kommt. Warum tue ich das? Ist das sinnvoll? Welchen Zweck verfolge ich? Braucht das jemand?

Und all diese Fragen stoppen mich. Meist schon, bevor ich überhaupt anfange, zu Wissen. Bevor ich überhaupt weitere Fragen stellen kann. Ich erlebe gerade, dass ich das aber tun muss. So, wie, spazieren gehen. Und meine Umgebung beobachten. Fotografieren. Lichtspiele im Wasser. Regentropfen auf Laternen. Weiches Licht. Sicherheit. Klarheit. Pfützen. Alles.

Und ja, ab und an fühlt sich das an, als würde mir der Kopf platzen. Gebe ich zu. Heute morgen wachte ich auf und hatte ein weiteres Lied im Kopf. Es war “Laterne, Laterne, Sonne, Mond und Sterne … ”

Ob ich mir eine dieser Ideen greife, mehr lerne zum Thema Weltkrieg oder ein Fotobuch mit Laternen in Deutschland herausbringe, ich weiß es nicht. Es ist auch nicht wichtig. Es muss nichts großartiges dabei herauskommen. Es darf einfach fließen. Ich lasse meine Gedanken jetzt noch öfter fließen – hier, im Blog, und in meinem Projektbuch. Ich lebe mich aus.

Und denke weiter über Laternen nach.

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