Woher ich das weiß

Man diagnostiziert sich natürlich nicht mal eben ein Trauma, aus der Hüfte geschossen… Und man googelt sich auch keine Diagnose.

Das, was man aber weiß, darf man aufschreiben und im gesamten Betrachten. Das habe ich getan.

Dabei herausgekommen ist eine Situation, die eine Frau zeichnet, die vor 51 Jahren ungewollt schwanger wurde und ihr viertes Kind nicht wollte. Die in der Situation überfordert war und aus ihrem Glauben heraus wusste, ein Abbruch der Schwangerschaft ist nicht gestattet. Also hat sie getan, was sie schon davor getan hat – das, was von ihr erwartet wurde. Das Kind bekommen. Das Kind versorgen. Was man so tut.

Bis heute habe ich keine emotionale Bindung an meine Mutter. Sie liegt in einem Heim, und sehnt sich nach dem Ende. Ich sehne das ein wenig mit.

Ab und an habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich das, was man so tut, nicht tue. Ich fühle wenig bis nichts. Mitleid, wenn überhaupt. Mitleid mit der Frau, die ihr Leben nicht leben konnte, die gefühlt im falschen Leben leben musste. Mit Kindern, die sie gar nicht mag und auch nie wollte 🤷‍♀️

Ich nehme an, dass ich erleichtert sein werde, wenn sie stirbt. Weil es dann vorbei ist und ich kein schlechtes Gewissen mehr haben muss. Weil ich so selten zu Besuch bin. Weil ich so wenig fühle. Weil sie trotz allem ein liebenswerter Mensch ist und auch nicht alles schlecht war in meiner Kindheit. Ich trage auch schöne Erinnerungen in mir.

Wütend bin ich in dem Kontext nur noch selten. Ich habe verstanden, dass es nichts mit mir zu tun hat. Ich war völlig okay, so, wie ich war. Ein quietschlebendiges, neugieriges, singendes und tanzendes Kind. Wissbegierig.

Die Freude und die Wissbegierde wurden mir mit Wort und Tat genommen. Irgendwo ist der schlagende Punkt, der den Sprung in der Platte verursacht hat. Nehme ich an. Wissen, nein, wissen tue ich das (noch) nicht. Ich weiß nur, die Platte leiert. Seit so vielen Jahren.

Ich erinnere, ich wollte oft das Kind anderer Eltern sein. Ich bin früh aus der Familie geflohen, mit 16 im Internat. Davor war ich mehr bei meiner Freundin als daheim. Alles ganz normal, denkt man vielleicht.

Ich war innerlich ohne Heimat. Lieben, kann ich das? Ich weiß es nicht. Die Gefühlskälte gegenüber meinen Eltern, die fällt ja nun auch nicht vom Himmel. Nehme ich zumindest an. Mitleid ist da noch, als Gefühl. Vermutlich besser, als gar nichts mehr zu fühlen.

Mitleid habe ich auch mit mir, mit dem Kind in mir. Ich möchte es gerne in den Arm nehmen. Und ihm zeigen, dass es daheim Willkommen ist. Sicher ist.

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