eiskaltes Wasser

(Dieser Text ist noch unfertig. Er ist der erste Text seit langem, an dem ich aktiv arbeite, um ihn noch besser zu machen. Das hier ist die zweite Version. Ich freue mich schon jetzt auf das Endergebnis.)

Im eiskalten Wasser schwimme ich schneller. Jedenfalls zu Beginn. Weil ich dringend raus will aus dem Wasser. Und natürlich in der Hoffnung, dass es mir warm bleibt, in der Bewegung. So ums Herz. Und in den Beinen.

Beinahe ertrunken bin mit 19. Die Temperatur des Wassers habe ich dabei nicht mehr gespürt. Ab einem gewissen Punkt ist die Temperatur nur noch Nebensache. Sterben kann man auch im warmen Wasser …
Fakt ist – ich kann nicht sonderlich gut Schwimmen. Und ich mache manchmal Fehler.

Ich springe sehr gerne und kurz ins eiskalte Wasser, nach der Sauna. Das tut mega gut! Und bis November letzten Jahres habe ich morgens kalt geduscht. Zum einen, um Heizung und Wasser und Zeit zu sparen (duschen ging in wenigen Minuten), zum anderen für die Gesundheit. Abhärtung. Stärkung meines Herz-Kreislauf-Systems.

In die Sauna gehe ich noch regelmäßig, doch die kalte Dusche habe ich mir parallel zum neuen Job abgewöhnt… Im Dezember letzten Jahres ging es los. Mit dem neuen Job. Und nun Dusche ich auch im übertragenen Sinne wieder warm. Auch mein Arbeiten im neuen Job und mein sonstiges Leben ist gerade sehr warm. Wohlig warm.

Okay, ich gebe zu, aktuell sind es 30 Grad da draußen. Wenn ich zurückschaue auf den Juni im vergangenen Jahr, hatte ich vergleichsweise Winter und bin mit dicker Jacke und Pudelmütze herumgelaufen, um mir keine Frostbeulen zu holen. Warum? Wenn man so richtig unglücklich innen drin ist, ist es halt sehr kalt. Da hilft auch nicht viel. Es ging mir hundsmiserabel arschmannskalt letztes Jahr im Sommer.

Ich habe damals kaum geschrieben, was Schade ist. Ich könnte jetzt so viel daraus lernen. Was passiert, wenn man Menschen, Mitarbeitende, die voller Freude und Motivation in einen neuen Job gehen, einfach ins kalte Wasser schmeißt. Ja, die schwimmen. Ich bin sogar ziemlich lange geschwommen und wurde dabei auch immer sicherer. Und irgendwann kommen die an, klettern nass und durchfroren aus dem Becken und es ist scheißegal, WIE sicher sie sich im Schwimmen inzwischen fühlen, sie sehnen sich nach Wärme, einer heißen Schokolade oder einem Schluck Grog. Ganz sicher gehen sie so schnell nicht mehr ins kalte Wasser. Was für eine kurze Zeit wohltuend für das Herz-Kreislauf-System ist, ist definitiv schädigend für alle halb erfrorenen Zellen. Es braucht auch für Experimente mit kaltem Wasser die richtige Dosierung.

Oder, man atmet das halt weg. Das soll auch gehen. Ich habe es noch nicht probiert, aber irgendwann kommt sicherlich auch das. Ich probiere ja ständig und mit vollem Einsatz neue Dinge aus. Mitunter springe ich auch ganz von alleine ins kalte Wasser. Meist schwimme ich dabei nur am Rand herum, ich möchte ja selbständig aus dem Wasser klettern können und nicht notfallmäßig mit Unterkühlung gerettet werden.

Mein Job vor dem Job, den ich heute bei cosee mache, das war so ein kaltes Wasser. Dabei standen sehr nette Menschen am Beckenrand und haben geklatscht, als sie mir beim Schwimmen zugesehen haben. Und ich bin schön geschwommen! Mit angehaltenem Atem und eingezogenem Bauch … Ich wusste von Tag 1 an, dass ich mit der Kaltakquise im falschen Job bin. Dass ich das gar nicht will. Aber irgendwie – mochte ich den Laden und ich mochte das Produkt und ich war dankbar, überhaupt einen Job gefunden zu haben. Ich dachte auch, froh sein zu können, dass mich jemand einstellt. Ich war noch sehr unsicher, kam aus einer ganz anderen Branche, wusste nicht so recht, was ich eigentlich wirklich will und tja. Es war ja nett! Ich mochte das Team sehr gerne! Ich dachte, dort kann ich mich entwickeln. Hin zur Durchquerung des Ärmelkanals, nur im Bikini.

Tatsächlich war es eine monatelange Herausforderung, ein monatelanges mir-selbst-gut-zureden um in diesem Job zu bleiben. Meine anfängliche Motivation wurde kleiner und kleiner. Ich war bald schon Sonntag abends unglücklich und konnte am Montag kaum telefonieren. Alles war schwer, meine Stimme, meine Beine. Ich war alle naslang krank, man bekommt halt Schnupfen, wenn man ständig im eiskalten Wasser herumschwimmt. Es war auch, ein beginnender Tinitus. Nackenverspannungen bis hin zum HWS. Und Selbstzweifel des Todes. Und immer dann, wenn meine Arme zu schwer wurden, um weiter zu schwimmen, kam ein Erfolgserlebnis und hat mir Schwung gegeben. Dann kam ich eine kurze Zeit in den Golfsstrom, da ist es auch schön warm im Wasser!

Die Erfolgserlebnisse hielten immer kürzer vor. Ich konnte spüren, dass sich mein Akku immer schneller entladen hat. Klar, wenn es kalt draußen ist, dann hält der Akku nunmal deutlich kürzer.

Das Schlimmste war wohl, dass ich so beschäftigt war mit über Wasser halten, dass ich nicht reden konnte. Ich konnte weder zu mir selbst noch zu meinen Kollegen sagen, wie es mir geht. Hätte ich ausgesprochen, WIE es mir wirklich geht, mir wäre vielleicht das Wasser in den Mund geflossen und hätte bewirkt, dass ich doch noch untergehe …
Ich habe also krampfhaft den Mund gehalten, um kein Wasser zu schlucken.

Es war ein hilfloses Paddeln auf der Stelle. In echt habe ich das einmal erlebt, in einem Urlaub mit 19, an der Atlantikküste. Ich war aus der Bucht herausgeschwommen, und hatte völlig unterschätzt, dass es ab da ungemütlich werden würde. Ein Sog, raus, ins offene Meer. Ich, die ich schon immer nur sehr schlecht schwimmen konnte. Und das Gefühl, dass meine Arme brennen und ich einfach nicht mehr kann. Die Überlegung, gebe ich mir die Blöße und schreie? Winke? Ich habe damals Beides unterlassen und nur verbissen darauf zugehalten, zurück an den Strand zu kommen. Dabei habe ich mich mit jedem Schwimmzug weiter vom Strand entfernt …

Wäre in dem Moment nicht dieser sehr junge Surfer, vielleicht 14 oder 15 Jahre alt, gekommen und hätte mich gefragt, ob er mich mit reinnehmen soll ans Ufer, ich wäre heute nicht mehr hier. Ich würde heute nicht mehr schreiben, über gar nichts mehr. Nicht über eiskaltes Wasser, nicht über salziges Wasser. Ich wäre ertrunken. Und ich wusste es. Und es wäre leise geschehen. Zuzugeben, einen fatalen Fehler gemacht zu haben, das ist mir damals noch sehr schwer gefallen. Und so ist es auch heute. Es ist mir auch letztes Jahr sehr schwer gefallen.

Gesprochen habe ich im Juli. Im August die Kündigung vorbereitet. Im September war sie ausgesprochen, die Kündigung, mit Freistellung bei vollem Gehalt bis Ende des Jahres. Und im November bin ich zufällig wieder über cosee gestolpert, bei denen ich schon zwei Jahre vorher ein Praktikum machen durfte und mich schon damals in den CTO verliebt habe. Also – rein platonisch. Der junge Mann auf dem Surfboard, der mich mit rein genommen hat, zurück, an den Strand. Der freundlich gefragt hat, ob alles gut ist. Dem ich freundlich zunickte, wirklich danken konnte ich ihm gar nicht. Er sprach nur IT, äh, französisch und ich war viel zu verwirrt und viel zu sehr unter Adrenalin, als das ich die Situation damals hätte wirklich begreifen können. Ich wäre ertrunken. Es war niemand da draußen, an diesem Tag, alle Köpfe und Surfbretter wurden immer nur immer kleiner. Ich begreife heute viel mehr, was für ein Wunder das damals war.

Und ich begreife auch, was für ein Wunder mein heutiger Job ist. In dem ich so arbeiten kann, wie ich nunmal arbeite. Auch hier gab es kaltes Wasser. Und auch hier bin ich eine zeitlang geschwommen. Das liegt daran, dass ich schon wieder einen Job mache, den ich davor in der Form noch nie gemacht habe. Aber! Diesmal habe ich mir ein Thema ausgesucht, das zu mir passt. Die Kaltakquise, und dafür kann die Kaltaquise nichts und auch das Team im letzten Job kann dafür nichts – die passt nicht zu mir.

Was passt? Und wem ich danken will?

  • Dem jungen Mann von damals, mit dem Surfbrett. Der mich im Wasser gesehen hat. Und der mich sehr unaufgeregt aus dem Wasser geholt hat. Er hat mir das Leben gerettet.
  • Mir, die ich heute früher um Hilfe rufe und sicherer schwimme. Ich weiß, ich muss mich um mich kümmern, wenn ich mich im Leben über Wasser halten will. Ich habe mir das Leben gerettet.
  • Und meinem heutigen Chef, der mich immer mal wieder auffordert, dass ich mich am Surfbrett festhalte. Damit er mich mitnehmen und mir was zeigen kann. Damit ich voran komme. Damit ich lerne, Wellen zu reiten. Damit ich sicherer werde. Damit ich ankommen kann. Er gibt Hilfe zur Selbsthilfe.

Konstantin fordert mich heraus. Schenkt mir volles Vertrauen und reicht mir die Hand, wenn ich sie brauche. Ich habe selten ein so großes Wachstum bei mir selbst erlebt wie in den letzten sechs Monaten im Job. Wenn ich etwas noch nicht kann, bekomme ich die Hilfe, es zu lernen. Mein Wunsch, ständig über meinen Tellerrand hinaus zu schauen, wird begrüßt. Ich bekomme genug Teller. Genug Nahrung. Wenig Einschränkung. Ich bin ein einem Team, dass gemeinsam schwimmt, mal im kalten, mal im warmen Wasser. Meine Motivation, für diese Firma zu denken, zu schwimmen, zu atmen, wächst von Tag zu Tag. Weil ich gesehen bin! Weil ich herausgefordert bin! Weil ich im richtigen Job bin! Und falls sich das jemals ändern sollte, dann habe ich jetzt einen Blogpost, den ich immer und immer wieder lesen kann um zu diesem Gefühl zurückzufinden.

Ich bin ganz sicher keine klassische Angestellte, die 9 to 5 arbeitet, das tut, was man ihr auf den Tisch legt … Ganz sicher nicht. Und sicher gibt es von meiner Sorte nicht so viele Menschen. Ich weiß das. Umso mehr weiß ich zu schätzen, dass ich gerade in meinem Chef einen Menschen habe, der versteht. Der mich versteht. Der mit mir Surfen geht. Obwohl ich so schlecht schwimme und keine Kraft fürs Surfen habe. Seine unbedingter Glaube an mich gibt mir die Kraft, die ich brauche. Mit ihm und mit dieser Firma feiere ich auch das eiskalte Wasser. Weil es ab und an und gerade nach der Sauna einfach wunderbar ist.

Endlich! Die richtige Dosierung! Ich bin mir selbst sehr dankbar, den Job des letzten Jahres abgebrochen zu haben! Ohne die Sicherheit eines neuen Jobs. Ich habe es einfach getan! Ich bin einfach ins kalte Wasser des Neubeginns gesprungen und das! War eine wunderbar erfrischende Erfahrung. Kein Vergleich zu dem Schwimmen im eiskalten Wasser einer neuen Aufgabe, für die ich keine Schulung erhalten habe und die ich einfach mal – freestyle paddelnd – ausgeführt habe. Ein Tipp an meinen letzten Arbeitgeber: investiert in Weiterbildung! Das hilft auch beim Schwimmen. Egal bei welcher Temperatur.

(Dieser Text ist gestern einfach aus mir heraus geschwommen. Er hat so viele Ebenen, so viel Temperatur und so viel Tiefe, dass ich ihn so, wie er ist, einfach stehen lasse. Und mir die einzelnen Aspekte anschaue, in weiteren, einzelnen Beiträgen. Als ich gestern begonnen habe, zu schreiben, wusste ich noch nicht, wo ich landen werde. Über die Erinnerung an das verzweifelte Schwimmen im Atlantik bin ich gestolpert. Weil ich, wie so oft, ein intuitiv geschrieben habe. Und darauf darf ich schauen, diese keine Episode ist wichtig für mich. Um zu lernen. Wie es auch anders gehen kann. Und auch, was ich brauche. Was wirklich wichtig für mein Überleben ist.)

Eine Antwort zu „eiskaltes Wasser“

  1. […] des Erlebnisses als junge Erwachsene. Mit 19, am Atlantik. Einen Teil davon liest du im Blog-Post eiskaltes Wasser […]

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